Donnerstag, 25. April 2024

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Drei Bläser
Experimentierfreude an Flöte, Bassklarinette und Horn

Blasinstrumente gibt es seit prähistorischer Zeit. Es ist das Verdienst der Neuen Musik, sie in solistischer Weise zum Klingen zu bringen und dabei aus dem kanalisierenden Zwang klassischen Schönklangs zu lösen, um auszuloten und auszureizen, welche Klang-Universen in ihren Korpussen schlummern.

Von Frank Kämpfer | 14.09.2014
    Feinbehandlung der Oberflächen beim Flötenbauer Moeck in Celle am 18.11.2003.
    Flöten bei der Feinbehandlung. (picture-alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Musik: Violeta Dinescu,"Rose I" und Violeta Dinescu, "Joc de 17"; Ion Bogdan Stefanescu (Flöten)
    Die Erwartungshaltung "Querflöte“ - etwa à la Fasch oder Friedrich des Großes - bedient das hier zu Hörende nicht! Dazu fehlen alle Klischees des Sanften, Hellen, dazu sind viel zu viele Geräusche, schrille Farben, formale Freiheiten im Spiel. "Heterophonie" ist das Stichwort für Komponistin Violeta Dinescu - horizontale und zugleich vertikale Mehrstimmigkeit. Die Urheberin bedient sich beim Komponieren für ihr Lieblingsinstrument alter Techniken aus der rumänischen Volksmusik und dem byzantinischen Kirchengesang und schafft klang-sinnliche Gebilde befremdlich-faszinierender Art.
    Dinescus neueste Solo-CD fokussiert allein die Querflöte, und sie birgt - ineinander verschachtelt - zwei Zyklen: Der erste, titelgebende, "Sieben Rosen" nach einem Brecht-Vers benannt, besteht aus Miniaturen. Wie bei Blumen ist jede den anderen ähnlich, sie wirken schlicht, dunkel, leicht herb, der Volkston der reichen traditionellen Musik der Heimat der Komponistin klingt in ihnen auf. Ganz anders die sechs unterschiedlich langen Jocuri (deutsch: Spiele): Es sind komplexe Gebilde wechselnder Dichte, die 3, 5, 7, 11, 17 und 31 Stimmen und/oder Instrumente erfordern und schichten.
    Ein nahezu idealer Interpret hat alle Stimmen allein eingespielt: Ion Bogdan Stefanescu aus Bukarest, als Solist und Ensemblemusiker ein Experte der Neuen Musik. Ihn nach spieltechnischen Grenzen zu fragen, scheint wenig ergiebig, eher, was er an immer noch Neuem einzubringen vermag. Die Klangwelt der Querflöte scheint bei Stefanescu geradezu neu definiert: Er spielt sie höchst verwandlungsfähig, theatral, experimentell, extrem körperhaft. Booklet-Textautor Egbert Hiller attestiert seinem Spiel Klänge "fast wie Lebewesen, die sich im Moment ihrer Genese der Kontrolle" ihres Erzeugers entziehen. Die Vision von Wolkenbildern wird zurate gezogen, die sich wie in einer Fantasiewelt auftürmen, überlagern, bespiegeln, aneinander vorüberziehen.
    Auf Violeta Dinescus Jocuri bezogen, ist die Assoziation leicht nachzuvollziehen. Übereinander montiert, suggeriert das Gefüge der einzelnen Stimmen und Instrumente ein ganzes Ensemblegeschehen - mit Ereignissen auf mehreren Ebenen. Etwas geradezu Magisch-Ritualhaftes geht davon aus.
    Musik: Violeta Dinescu, "Joc de 11"; Ion Bogdan Stefanescu (Flöten)
    Frei von bemühtem Avantgardismus wie von historistischer Attitüde - Violeta Dinescus Musik für die solistische Querflöte klingt spannend, außergewöhnlich unverbraucht. Eingespielt wurde diese höchst eigenwillige Produktion von Ion Bogdan Stefanescu im Studio von Radio Berlin Brandenburg. Erschienen ist die Platte unter dem Titel "Sieben Rosen hat der Strauch" beim Label gutingi.
    Auch Balthasar Hens ist ein Meister seines Blasinstruments. Der Bassklarinettist der Stuttgarter Philharmoniker, der sich schon früh für die tiefen Instrumente der Klarinettenfamilie zu interessieren begann, präsentiert sich indes nicht als Avantgardist. Auf seiner Debut-CD versammelt er eher klassizistisch anmutende Piecen, die auf die Historie des Instrumentes verweisen: Es diente anfangs, um und nach 1800, dezidiert ab den 1830er-Jahren, um Orchesterwirkungen zu verfeinern, das heißt, um einen spezifischen, samtigen Klang zu erweitern. Ausgewählt hat Hens fünf Kompositionen - entweder mit spätromantischen Flair oder im eher unterhaltenden Broadway-Sound. David Bennetts "Deepwood" zum Beispiel, Eugéne Bozzas "Ballade" und "Phantasy" von Edwin York Bowen - bei denen Hsiao-Yen Chen am Klavier oder das Liliencron-Quartett begleiten. Im Zentrum der Platte: Keith Ramon Coles solistische 14 Paganini-Variationen, ein durchaus anspruchsvoller Beitrag zur Virtuosen-Literatur, dem Hens in jedem Fall zu wenig Leben einhaucht. Auf CD wirkt sein Spiel brav, schal, unatmosphärisch.
    Mit einer Ausnahme vielleicht: Werner Heilers "The Unexpected", ein Solostück, das Extreme in Lautstärke, Tongebung und Register verlangt. Es ist die einzige Komposition avancierter Neuer Musik auf der CD. Auf engstem Raum birgt das Stück Miniatur abrupte Wendungen, schnellere Wechsel in Gestus und Ton, Spannungen zwischen Ton und Geräusch. Die Miniatur ist dem Nachsinnen über 9/11 gewidmet - Balthasar Hens hat sie bei der Internationalen Sommerakademie in Pommersfelden uraufgeführt und dabei einige gar nicht so uninteressante Klänge vollbracht.
    Musik: Werner Heider, "The Unexpected"; Balthasar Hens (Bassklarinette)
    Ein Ausschnitt aus "The Unexpected" von Werner Heider - hier gespielt von Balthasar Hens. "Piecen für Bassklarinette" - Hens‘ erste Solo-CD ist beim Label Dreyer Gaido verlegt.
    Die dritte und letzte Produktion, die ich Ihnen heute anspielen will, kommt vom Ensemble Modern - genauer gesagt: Sie dreht sich um dessen aktuellen Hornisten; stammt aus der Serie musikalischer Solo-Porträts, die einzelne Ensemble-Musiker kuratieren und porträtieren. Saar Berger, 1980 geboren in Tel Aviv, überrascht zunächst mit einem – vermeintlichen - Rückgriff in Alte Musik:
    Musik: Thomas Adés, "Sonata da Caccia"; Saar Berger (Horn), Christian Hommel (Oboe), Uli Wiget (Cembalo)
    Das Horn - ein Signalinstrument, anfangs aus Tierhorn, heute aus Blech; das Instrument für den romantischen Wald und die Jagd. Letztere spiegelt der britische Komponist Thomas Adès in seiner verfratzten "Sonata da Caccia" für Oboe, Cembalo und erfrischend querschießendes Horn. Die Humoreske klingt reizvoll, doch ist sie der Ausnahmefall. Saar Berger, ausgebildet in Jerusalem, Hamburg, Berlin und Frankfurt/Main und erprobt in Klangkörpern von Rang, hat sehr ernsthaft sondiert, welche Komponisten und Stück die geeignetsten sind, um sein Verständnis von Tradition und Innovation, Virtuosität und Radikalität zu artikulieren. Siebzehn Kompositionen aus zwölf Ländern fasst seine Doppel-CD - der Bogen spannt sich von Heinz Holligers agil-strengem Traumstück über Postromantisches bei Jörg Widmann bis zu Dietmar Wiesners experimentierender Arbeit mit Tonband und Text oder zu einem Blechbläser-Quartett frei nach Thelonious Monk. Eine CD fokussiert den Solisten, die zweite enthält Duo- und Kammermusik, schließlich ein bemerkenswertes Solokonzert mit Orchester. Beide Platten zusammen präsentieren einen Solisten, der auf Erkundungsgang ist - der womöglich erst anfängt, für den künftig wahrschein-lich noch etliche neue Werke entstehen. Alles klingt frisch, hochvirtuos, sehr professionell.
    Ich möchte mit einem Duostück schließen: Komponist Samir Odeh-Tamimi, ein Landsmann des Interpreten, kombiniert das Blasinstrument mit Schlagwerk und schickt es in einen Dauerlauf nervöser Rhythmen. Klänge entstehen, die stellenweis orientalisch anmuten, meist an einen Posaunisten erinnern, der frei improvisiert.
    Samir Odeh-Tamimi, "Duo"; Saar Berger (Horn), Rainer Römer (Perkussion)
    Soweit Samir Odeh-Tamimis Duo für Horn und Schlagwerk - zu finden auf einer neuen Doppel-CD, die der noch junge Solist Saar Berger eingespielt hat und die diesen auch porträtiert, im Rahmen der Interpreten-Reihe beim Label Ensemble Modern Medien. Zuvor erwähnt habe ich Balthasar Hens‘ Debüt-CD mit Piecen für Bassklarinette, die Drayer Gaido verlegt hat sowie Violeta Dinescus Querflöten-Album "Sieben Rosen" mit Ion Bogdan Stefanescu, die bei gutingi erschien.
    Die Neue Platte:Violeta Dinescu: "Sieben Rosen", Ion Bogdan Stefanescu (Flöten), gutingi 250, LC 6601Balthasar Hens: "Piecen für Bassklarinette", dreyer gaido 21084, LC 11796Saar Berger: "Travelling Pieces", EMCD-026/027, LC 13544