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Drei Frauen und ein Maler

Zwei Amerikanerinnen verbringen den Sommer in Barcelona und lernen dort den charismatischen Künstler Juan Antonio und das "europäische Lotterleben" kennen - mit viel spanischem Rotwein, Leidenschaft und Freizügigkeit. Woody Allens neuer Film, "Vicky Cristina Barcelona", ist eine fröhliche Lobeshymne auf die europäische Lebensart.

Von Josef Schnelle | 04.12.2008
    Spanien muss ein glückliches Land sein. Außer den Kellnern im Restaurant arbeitet eigentlich niemand. Dafür interessieren sich alle für Kunst und Philosophie. Nächtelang sitzen die Spanier zusammen und debattieren ihre Lieblingsthemen. In der linken Hand eine Flasche Rotwein. Die rechte Hand auf dem Knie der nächst besten schönen Frau. Selbstverständlich sind alle Künstler - malen, fotografieren oder schreiben Bücher. Die Spanierinnen sind leidenschaftlich. Man tut gut daran die Messer vor ihnen in Sicherheit zu bringen. Und wenn sie nicht gerade ausrasten, dann malen, komponieren und schreiben auch sie, was das Zeug hält.

    Natürlich verhält es sich nicht wirklich so. Nur im Film "Vicky Christina Barcelona". Das ist ein Märchen des New Yorker Stadtneurotiker Woody Allen über zwei Amerikanerinnen in Barcelona und ihren Blick auf den fremden Kontinent Europa, der auf den ersten Blick vollkommen frei von bigotter Moral und irgendeiner Form von Lebensplanung erscheint. Die beiden amerikanischen Prinzessinnen Vicky und Christina sind dem Zauber des europäischen Lotterlebens natürlich sofort verfallen, auch wenn sich die dunkelhaarige verklemmte Vicky ein wenig länger ziert als Christina, die von Anfang an in der katalanischen Metropole das Abenteuer gewittert hatte. Javier Bardem streift seine Oscar-Rolle des Killers mit dem Bolzenschussgerät aus "No country for old men" mühelos ab und zieht das Kostüm des virilen Verführers an.

    Scarlett Johansson als Christina (blond) ist natürlich sofort zu haben, während Rebecca Hall (dunkelhaarig) als Vicky nicht ohne Tiefe lieben kann, weswegen die Begegnung mit dem Latin Lover ihr Leben gehörig durcheinander bringt. Sie will nämlich eigentlich bald heiraten und begeht wie im Melodram dann doch den größten Fehler ihres Lebens, den sie vermutlich im stillen Kämmerlein bis ans Ende ihrer Tage bedauern wird. Ihr American Boy ist ein rechter Hanswurst, der mit seinen Freunden nur über Aktienkurse und Investitionen reden kann. Amerika muss ein unglückliches Land sein, in dem alle nur ans Geld denken und keiner an brotlose aber romantische Künste.

    Einmal erobert, werden die Frauen der Amerikaner auch gleich als Besitz betrachtet, der keiner weiteren Pflege bedarf und um den natürlich nicht mehr geworben werden muss. Woody Allen, der die schönsten Liebeserklärungen an Amerika, besonders an New York, gedreht hat, liest in seinem 55sten Kinofilm seinen Landsleuten einmal mehr spöttisch die Leviten und lässt doch durchblicken, dass seine Utopie vom kultivierten Mittelmeerparadies nicht ganz ernst gemeint sein kann.

    Der zupackende Humor seiner ironischen Milieuminiaturen erinnert sehr stark an die frühen Slapstickkomödien, die noch den Stand-Up-Comedian von der Kleinkunstbühne ahnen ließen. Die fröhlichen Lobeshymnen auf die europäische Lebensart sind - genau besehen - schließlich auch ein wenig vergiftet. Hinter der Leichtigkeit des Seins lauern Abgründe und ein Vulkan. Der heißt Penelope Cruz, die als eben aus der Psychiatrie entlassene Ex-Ehefrau Maria Elena eines Tages auftaucht und mit sichtlichem Vergnügen ein Feuerwerk hysterischer Ausraster hinlegt, an denen Javier Bardem vergnügt partizipiert.

    Alle Darsteller spielen ihre Woddy-Allen-Rollen mit großer Freude, Tempo und Witz. Daher rührt auch der einzige Wermutstropfen des Films. Die deutsche Synchronisation, obwohl nicht vollkommen misslungen, nimmt viel weg von der darstellerischen Präsenz, die Johansson, Bardem und Cruz in den Film einbringen. In den meisten deutschen Kinostädten wird aber parallel auch die Originalfassung zu sehen sein. Altmeister Woody Allen hat das Generalthema für sein Alterswerk offenbar gefunden. Paris, London, Venedig und Barcelona sind nun seine Traumstädte. Fehlt eigentlich nur noch Berlin.