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"Drei Prozent reichen nicht"

In ihrer Regierungserklärung zur Forschungspolitik hat Bildungsministerin Annette Schavan am Freitag die Absicht bekräftigt, die Mittel für Forschung und Entwicklung bis 2009 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzustocken. Ausreichend sind diese drei Prozent nach Ansicht von Uli Blumenthal, Leiter der Redaktion Forschung Aktuell im Deutschlandfunk, nicht. Und ob die drei Prozent überhaupt erreicht werden, sei noch keineswegs sicher, so Blumenthal.

Moderation: Jochen Spengler | 19.05.2006
    Jochen Spengler: Im Studio ist der Leiter unserer Redaktion "Forschung Aktuell" und wir wollen einmal hinter die schönen Kulissen schauen. Herr Blumenthal, es sind sich ja alle einig, dass unser Land nur eine Chance im internationalen Wettbewerb hat, wenn es stärker als bislang auf Forschung und Entwicklung setzt. Aber diese drei Prozent Bruttoinlandsprodukt erst ab 2009, reichen die?

    Uli Blumenthal: Sie reichen nicht. Das ist die ganz klare Antwort. Aber man muss auch sagen, wir sind froh, wenn wir 2010 sagen können, wir haben diese drei Prozent erreicht. Denn wir haben erstmals in Lissabon für 2009, 2010 diese drei Prozent verbindlich vereinbart. Das ist eine Zahl, an der sich jetzt die Bundesregierung messen lassen muss, an der sie sich abarbeiten muss und die sie erreichen muss.

    Spengler: Wo sind wir denn jetzt im Augenblick?

    Blumenthal: Die Zahl hat Jacqueline Boysen ja gesagt. Vier Milliarden hat das BMBF zusätzlich im Etat, dazu zwei Milliarden in anderen Ministerien. Das sind sechs Milliarden. Diese Zahl kam im Beitrag eben vor. Dann sollen die Länder vier Milliarden dazusteuern. Da ist die Frage natürlich auch schon gestellt worden: wie soll das sein angesichts auch von Föderalismusdiskussion und -debatten. Die Länder - das sehen wir momentan an vielen aktuellen Themen - haben wirklich, glaube ich, ganz andere Probleme, als vier Milliarden an Geld für diese Forschungs- und Technologieoffensive zusammenzukriegen.

    Und dann der große, große Posten. Die Wirtschaft muss 20 Milliarden aufbringen, um dieses Ziel von drei Prozent Bruttoinlandsprodukt zu erreichen. Ich habe eben noch mal nachgefragt, auch im BMBF. Es gibt gar keine verlässliche Zahl und man hat gesagt, nach fünf Monaten Regierung könne man noch gar nichts sagen, aber bei der Zahl 20 Milliarden muss die Wirtschaft natürlich auch einiges tun.

    Spengler: Das heißt - und wir schlussfolgern mal - wir sind erheblich unter diesen drei Prozent?

    Blumenthal: Wir sind unter den drei Prozent und wie gesagt: Wir sollen sie erst mal erfüllen. Ich glaube, das ist schon ein großer Lauf, den wir dort vor uns haben.

    Spengler: Ist Geld alles oder müssten wir zum Beispiel Schwerpunkte anders setzen?

    Blumenthal: Wir müssten einfach anders vorgehen und das hat die Regierungserklärung heute von Bundesforschungsministerin Schavan gezeigt, wobei sie das eigentlich nicht thematisiert hat. Das ist ja das Problem gewesen. Große, aber blutleere Worte und sie hat an vielen Problemen vorbeigeredet. Wir haben eine Föderalismusreform, auf jeden Fall eine Debatte, und wir wissen nicht, wie wir in Zukunft den Hochschulbau finanzieren sollen. Wie geht es mit Studiengebühren weiter? Wie ist die Position einer Forschungs- und Bildungsministerin dazu? Was hat es beispielsweise mit dem Thema Kameralistik auf sich? Wie können sich Unis besser verwalten und besser mit ihrem Geld umgehen? Und eine große Frage, an der schon ihre Vorgängerin Bulmahn gescheitert ist: ein Wissenschaftsvertrag, also leistungsbezogene Gehälter für Wissenschaftler, um dieses eigentlich schon unendliche Thema des Rückholens von jungen Wissenschaftlern, die ins Ausland gegangen sind, vielleicht auf diesem Weg zu lösen.

    Spengler: Wir haben wirklich dieses Problem, dass viel zu viele Nachwuchswissenschaftler abhauen?

    Blumenthal: Das haben wir auf jeden Fall und wir lernen es jetzt auch bei den Streiks der Ärzte. In vielen Beiträgen hört man immer wieder: Dann gehe ich ins Ausland. Ein Medizinstudium kostet pro Jahr 30.000 Euro. Da geht wirklich Geld verloren. Da gehen Steuermittel verloren. Da gehen aber auch junge Menschen verloren. Da geht Wissen und Zukunft verloren. Bisher hat eigentlich keiner der letzten Bildungs- und Forschungsminister es irgendwie geschafft, ein eigenes Modell aufzustellen und zu zeigen, dass es geht, oder aus den Erfahrungen des Vorgängers zu lernen und zu sagen, was kann man anders machen, um diesen jungen Leuten hier in Deutschland als Wissenschaftler eine Chance zu geben.

    Spengler: Wenn Sie zusammenfassen sollten, was ist denn bislang schief gelaufen und wo stehen wir jetzt in Sachen Forschungslandschaft Deutschland?

    Blumenthal: Wenn wir vielleicht die Rede von Frau Schavan noch mal aufgreifen. Drei Sachen hat sie genannt. Es soll ein Innovationskreis berufliche Bildung gebildet werden. Es soll ein Rat für Innovation und Wachstum gebildet werden und eine Forschungsunion Wirtschaft und Wissenschaft soll einberufen werden. Genau das ist es! Wir halten uns sehr viel an diesen Hochglanztiteln und Veranstaltungen auf. Wir wissen heute schon, was wir in der EU-Ratspräsidentschaft machen wollen. Wir äußern uns aber nicht ganz konkret zu den Themen, die heute auf der Straße aktuell diskutiert werden müssen und gelöst werden müssen, und wir müssen wirklich einfach auch - und das hat ja auch Frau Flach in ihrem Diskussionsbeitrag gesagt - mal sagen, was ist eigentlich unsere Vision, welches ist die Vision, Wissenschaft und Technik in diesem Land in 10, 20 Jahren, wo will diese Gesellschaft, wo will auch diese Zivilisation hin. Die Überschrift kann nicht immer nur heißen: "bei wirtschaftlicher Dynamik", sondern wir müssen auch fragen, was passiert, wenn die Wirtschaft nicht so nach vorne geht, wie wir es uns eigentlich gerne wünschen. Wie sieht dann unser Leben aus und wie sieht dann unser Konzept aus für Wissenschaft und Technik.

    Spengler: Vielleicht ganz kurz zum Schluss: Haben Sie vielleicht nicht eine vollständige Vision, aber so ein paar Bestandteile einer Vision?

    Blumenthal: Ich bin nicht der, der die Visionen ausarbeitet- ich bin der oder die Redaktion sind die Kollegen, die über diese Visionen kritisch und sachlich natürlich berichten sollen - Also, das glaube ich nicht, aber ich finde, man sollte viel, viel stärker wirklich weg von diesen Hochglanzveranstaltungen. Wenn man in der Rede sagt, man möchte in seiner EU-Ratspräsidentschaft mehrere hochkarätige Diskussionsforen und Wissenschaftskonferenzen abhalten, dann finde ich das schon ziemlich blamabel und ziemlich dünn, was man dann eigentlich vor hat, wenn man EU-Ratspräsident ist, gerade in einem vereinten Europa, das sowohl nach Westen als auch nach Osten schaut und auch in der Wissenschaft viele offene Fragen hat, was die Integration dieser ganzen Landschaft betrifft.