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Dresden
Liliputbahn im Großen Garten

Der Große Garten in Dresden ist die grüne Lunge der Stadt und besonders beliebt bei Eisenbahnfreunden. Denn durch den knapp zwei Quadratkilometer großen Park fährt eine Liliputeisenbahn. Lokomotiven, Wagen, Bahnhöfe, Stationshäuschen und sogar das Personal gibt es im Kleinformat.

Von Iris Milde | 01.10.2017
    Zwei Dampfloks fahren im Volkspark "Großer Garten" in Dresden (Sachsen).
    Die beiden Schlepptenderlokomotiven der Parkeisenbahn wurden 1925 von der Firma Krauss-Maffei im Maßstab 1:3,33 in München gebaut. (picture alliance / ZB / Sebastian Kahnert)
    "Bitte Vorsicht am Bahnsteig es fährt ein der Zug zur Rundfahrt mit Halt in den Bahnhöfen."
    Der Zug fährt ein. Eine kleine grüne Dampflok zieht acht Wagen. Fahrgäste steigen aus und ein. Der Lokführer geht mit einem winzigen Ölkännchen prüfend um die Lok, die ihm gerade mal bis zum Bauch reicht.
    "Hier Bahnhof Carolasee, Bahnhof Carolasee. Eingefahrener Zug fährt weiter zum Bahnhof Karcherallee. Bitte halten Sie die Fahrkarten zur Kontrolle bereit."
    Ich steige gebückt in den überdachten Wagen. Ein kleiner Junge in dunkelblauer Uniform und Schaffnermütze, vielleicht zehn Jahre alt, geht mit ernstem Blick die voll besetzten Wagen ab und knipst Fahrkarten.
    "Die Fahrausweise bitte!"
    Dann schließt er die Ketten zu den Abteilen, gibt Signal nach vorn und lümmelt sich auf die hinterste Bank.
    "Bitte einsteigen, die Sicherheitsketten schließen und Vorsicht bei der Ausfahrt des Zuges."
    Eine Kindereisenbahn zum ersten Kindertag in der DDR
    Die Schranke geht runter, Spaziergänger und Radfahrer halten an und winken, als der kleine Zug vorbei ächzt. Wir fahren am See entlang. Dann schlängelt sich der Tross durch hohe Wiesen, auf denen Schmetterlinge in der Sonne tanzen. Es ist ein warmer Tag. Parkeisenbahnwetter, sagt Robert Böpple, der neben mir auf der Holzbank hockt. Robert Böpple ist Leiter der Dresdner Parkeisenbahn. In den 80er-Jahren hat er selbst hier als kleiner Junge die Kelle gehoben.
    "Meine Eltern hatten nicht viel am Hut mit der Eisenbahn. Ich bin quasi durch die kleine Bahn zur großen Bahn gekommen, hab dort eine Ausbildung gemacht, hab dann bei größeren Eisenbahnverkehrsunternehmen gearbeitet und wie das Schicksal so will, jetzt bin ich hier wieder, hätte ich mir nie erträumt."
    Am 1. Juni 1950, anlässlich des ersten Kindertags in der DDR, baute man eine Kindereisenbahn im Großen Garten auf. Eigentlich sollte sie nur eine einzige Saison fahren.
    "In dem gleichen Jahr haben sich drei Kinder aufgemacht nach Berlin und die haben dann beim Walter Ulbricht vorgesprochen, um die Bahn hier dauerhaft zu belassen, und dann wurden eben 1951 daraus hier die Dresdner Pioniereisenbahn."
    Ansagen, Fahrkartenkontrolle, Abfertigung, Schrankendienste – das alles übernahmen Kinder. Die sogenannten Thälmannioniere.
    "Es war die erste Pioniereisenbahn in der DDR. Aber es gab schon in der Sowjetunion Pioniereisenbahnen und man hatte nach einem sowjetischen Vorbild eben die Bahn hier aufgebaut mit dem Ziel, den Kindern und Jugendlichen Beschäftigung zu geben, hier nach dem Krieg und natürlich auch zur Nachwuchsgewinnung bei der damaligen Deutschen Reichsbahn."
    "Der schönste Arbeitsplatz der Welt"
    Wir halten am Bahnhof Karcherallee. Ein junger Vater streicht inspizierend um die Lok, neben ihm sein aufgeregter Sprössling. Durch die Bäume schimmert die Freilichtbühne Junge Garde. Anfang der 50er-Jahre in barocker Formensprache errichtet, geben sich dort noch heute namhafte Musiker das Mikrofon in die Hand. Ich steige um und quetsche mich neben Lokführer Gerd Lindner auf die schmale Sitzbank der Lok. Hinter uns ein Berg Kohle, vor unseren Füßen die Feuerklappe.
    Es ist heiß. Ich freue mich über den erfrischenden Fahrtwind, der mir immer wieder kleine Wassertröpfchen aus dem Schornstein ins Gesicht weht. Gerd Lindner grinst.
    "Ich sage immer, ich habe den schönsten Arbeitsplatz der Welt."
    Lindner, bekleidet mit blauem Arbeitskittel und mit Lokführermütze aus schwarzem Leder, zieht unentwegt Hebel, verstellt Regler, dreht Knöpfe.
    "Und jetzt muss ich mal wieder ein bisschen Wasser in den Kesser schmeißen, dass wir nicht in die Luft fliegen. Das muss alles fluffig gehen hier."
    Lindner macht Dampf. Mit 20 Stundenkilometern liefern wir uns ein Wettrennen mit Radfahrern und Inlineskatern. Die beiden Schlepptenderlokomotiven der Parkeisenbahn wurden 1925 von der Firma Krauss-Maffei im Maßstab 1:3,33 in München gebaut. Die Spurweite beträgt 381 Millimeter, kaum mehr als ein A4-Blatt. Die Dampflokomotiven sind im Wechsel mit zwei kleinformatigen Akkulokomotiven im Einsatz.
    "Na, ich ziehe mir die an wie einen Schlafanzug, die kleine E-Lok."
    Bei der Parkeisenbahn ist noch alles Handarbeit
    Die Station Bahnhof Palaisteich liegt inmitten des Großen Gartens. Hinter einem barocken Wasserbassin erhebt sich das Palais. Das Lustschloss von 1680 ist eines der ersten barocken Bauwerke im deutschsprachigen Raum. Mit ihm begann die Ära des berühmten Dresdner Barock.

    Nach einem kurzen Anstieg passieren wir Lokschuppen und Wagenhalle, dann rollt der Zug am Bahnhof Zoo ein. Hier ist das Stellwerk der Parkeisenbahn. Über den Bahnsteig vor dem flachen, gelben Bahnhofshäuschen wuseln kleine Parkeisenbahner. Einer von ihnen ist der zwölfjährige Vincent.
    Ruderboot an der Wasserfontäne des Carolasees im Großen Garten von Dresden.
    Idylle am Carolasee im Großen Garten von Dresden (imago/imagobroker/wrba)
    "Seitdem ich schon etwas kleiner bin, bin ich schon gefahren und das hat mich da schon die Eisenbahn ziemlich begeistert und da habe ich dann gesehen, dass man sich bewerben konnte und dann bin ich hierher gekommen."
    "Wie oft bist du da in der Woche?"
    "Ich bin jeden Donnerstag da und in den Ferien war ich mehrmals da, habe viele Zusatzdienste gemacht."
    Vincent trägt eine rote Mütze. Das heißt, dass er die Aufsicht am Bahnsteig hat. Er kontrolliert Fahrkarten und pfeift, wenn es losgehen kann. Anfangen können Kinder bei der Parkeisenbahn mit der 4. Klasse. Im Sommer durchlaufen sie die verschiedenen Bahnhöfe, in der Winterpause gibt es für alle Weiterbildungen. Hinter der großen Glasscheibe des Stellwerks, mit Blick auf die Gleise sitzt der 13-jährige Jakob. Vor ihm ein riesiges schwarzes Telefon.
    "Zoo, Roscher, Zug 250 in Zoo."
    Jakob ist Zugmelder. Er legt den schweren Hörer auf die Gabel und trägt gewissenhaft An- und Abfahrtszeiten der Züge in eine Tabelle ein. Neben ihm an der Schalttafel steht Fahrdienstleiter Thore.
    "Ich stelle alle Weichen, gucke, dass Züge in den Bahnhof sicher durchkommen, stelle alle Signale, stelle Fahrstraßen ein."
    Bei der Parkeisenbahn ist noch alles Handarbeit. Insgesamt 230 Kinder lernen hier das Eisenbahnerhandwerk von der Pike auf. Inzwischen sei es schwerer Nachwuchs zu gewinnen, so Leiter Robert Böpple, weil es mehr Freizeitangebote gibt als früher. Aber eines hat sich bis heute nicht geändert:
    "Viele gehen zur Bahn, studieren irgendetwas. Wir haben auch eine Vielzahl von Jugendlichen, die dann zu den Verkehrsbetrieben hier gehen, zur DVB und die DVB nimmt unsere Jugendlichen sehr gerne."