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Dresden
Zwischen Pegida und Gedenken

Vor 70 Jahren zerstörten alliierte Bomber einen Großteil der Innenstadt Dresdens. Jahrelang versuchten Rechtsextreme, den Jahrestag für sich zu instrumentalisieren. Nun hoffen alle, dass dies in diesem Jahr nicht geschehen wird. Und noch immer beschäftigt die Frage, wie politisch das Gedenken sein soll.

Von Nadine Lindner | 12.02.2015
    Der leere Theaterplatz vor der Semperoper in Dresden: Niemand demonstriert am 19.01.2015 dort. Eine Terrordrohung von Islamisten gegen die Pegida-Bewegung hat zu einem allgemeinen Demonstrations-Verbot in Dresden geführt.
    Wie soll Dresden seiner Vergangenheit gedenken? Die Frage bewegt die Stadt. (dpa / picture alliance / Arno Burgi)
    Dresden, Schauspielhaus. Gestern Abend. Das Stück "Exempel. Mutmaßungen über die sächsische Demokratie" steht auf dem Spielplan. Es ist voll, Menschen drängen in Richtung Zuschauerraum. Jugendliche, engagierte Bürger, Studierende. Im Bühnenstück wird der Umgang von Polizei und Justiz mit rechter und linker Gewalt aufgearbeitet; es setzt sich mit dem Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König auseinander. Nach der Aufführung geht es nicht um Kunst, sondern um Politik. Frank Richter von der Landeszentrale für politische Bildung leitet eine Diskussion:
    "Wir sind an einem Ort, an dem es darum geht, tiefere Einsichten zu gewinnen: erst mal davon auszugehen, dass auch in der Position des Andersdenkenden ein Körnchen Wahrheit stecken könnte."
    Wer in diesen Tagen etwas über die Stimmung in Dresden lernen will, ist hier genau richtig. Denn an diesem Abend wird kein Thema ausgelassen, das die Stadt bewegt. Da ist die Frage, welches Gedenken zum 13. Februar 1945 das richtige ist. Ein stilles Gedenken, das sich in den Kirchen versteckt? Das nur auf die eigenen Opfer des Feuersturms in Dresden blickt, ohne nach den Ursachen des Zweiten Weltkrieges zu fragen? In den Jahren 2010 und 2011 kam es auch deshalb zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und der Polizei. Bis heute dauern die Prozesse gegen die Protestierenden an, darunter unter anderem der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow.
    Emotionale, angespannte Stimmung im Theater
    Und natürlich sind die Pegida-Demonstrationen an diesem Abend ein Thema. Die Stimmung im Theater ist emotional, angespannt. In Sandalen sitzt Pfarrer Lothar König ganz außen, raucht Selbstgedrehte. Er gibt sich angriffslustig... Spricht sogar von einem Dresden-Syndrom, das die Leute hier befallen habe: alles von außen werde misstrauisch beäugt. Vielen fehle der Mut, sich gegen Nazis zu stellen.
    "Wenn es jetzt hier dieses liberale Bürgertum nicht mehr gibt, sondern nur noch angepasste Kaffee-Sachsen, entschuldigen sie diese Formulierung, dann habt ihr keine Chance."
    Im Dezember 2011 hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Jugendpfarrer Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs erhoben, im vergangenen November wurde der umstrittene Prozess eingestellt. Sein Anwalt beklagt, dass an König ein Exempel statuiert werden sollte. Etwas gemäßigter drückt sich Peter Lames aus. Er ist Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Dresden und Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat.
    "Eine Besonderheit ist eine politische Kultur des Ausgrenzens und den anderen vor allem als böse zu bezeichnen. Lange Jahre dadurch geprägt, dass von der Union die Kommunikation gepflegt worden ist, die gesagt haben: Hier gibt es den bösen Protest von rechts und da gibt es den bösen Protest von links. Und das wurde auf eine Ebene gesetzt."
    Einstecken muss die Kritik vor allem Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und ausgebildeter Polizist. Denn nach Ansicht vieler im Raum denkt die CDU in genau diesem Rechts-Links-Schema, das auch als Extremismustheorie bekannt ist. Hartmann sagt, dass es in Dresden keinen Wettbewerb der Gedenkkulturen geben sollte:
    "Und dann ist es schon sehr schwierig, wenn man dann im Wettbewerb der richtigen Gedenk- und Demonstrationskultur eine Seite kritisiert und verteufelt und meint, sie würde dafür zu wenig tun. Das erzeugt nicht unbedingt die Solidarität einer Gemeinschaft, zusammen einen Protest auszurichten."
    Vermittler Richter ist seit seinem Auftritt bei Jauch bundesweit bekannt
    Frank Richter, der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, sitzt mittendrin. Als Moderator – wie so oft. In Dresden ist der 54-Jährige schon lange bekannt, seit seinem Auftritt bei Günther Jauch kennt ihn auch fast ganz Deutschland. Der studierte Theologe setzt auf Dialog, selbst wenn er dafür Kritik einstecken muss. Pegida-Versteher – das ist so ein Vorwurf. Auch in der Arbeitsgemeinschaft zum 13. Februar war Richter als Vermittler tätig. Um die Gräben zu überbrücken, zwischen denen, die auf das stille Gedenken pochen und denjenigen, die sich den Neonazi-Aufmärschen entgegenstellten und sich dabei von der Bürgerschaft alleine gelassen fühlten. In der Arbeitsgemeinschaft hat man sich für das Gedenken seit ein paar Jahren auf eine Menschenkette als gemeinsames Zeichen verständigt. Richter ist mit dem Kompromiss zufrieden, andere sprechen vom kleinsten gemeinsamen Nenner. Frank Richters Fazit.
    "Da ist also die permanente Ausgrenzung, die ja schon über viele Jahre und Jahrzehnte anhält, wer da wen nicht schon alles ausgegrenzt hat, die führt ja offensichtlich nicht zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt und nicht zu Verständnis."
    Richters Kritik zielt auch auf das bürgerliche Dresden. Viel zu lange hätten die Menschen die Nazis, die die Toten des Feuersturms von 1945 für ihre Zwecke missbrauchten, ignoriert:
    "Und dazu braucht es eigene Aktivitäten, und da hat Dresden ganz offensichtlich nach wie vor einiges zu tun."
    Morgen ist kein großer Aufmarsch der Rechtsextremen angemeldet. Ein Erfolg, den vor allem die linken Gruppen für sich reklamieren. Und doch, zur Ruhe gekommen ist die Stadt noch lange nicht. Die Demonstrationen der Pegida sind das sichtbare Zeichen. Zahllose Gesprächs- und Dialogforen hat es in den vergangenen Wochen gegeben - mit Sympathisanten und Gegnern der Islamkritiker. Und manchmal wirken die Diskutanten, vor allem die, die gegen Pegida sprechen, als würden sie über rohe Eier laufen. Denn was andernorts Konsens ist, wird in Dresden mit äußerster Vorsicht vorgetragen. Beispielsweise, dass rassistische Äußerungen nicht erwünscht sind, auch wenn sie die justiziable Grenze zur Volksverhetzung noch nicht überschritten haben. In Dresden aber fürchtet man, mit zu deutlichen Statements den zarten Gesprächsfaden zu den Wutbürgern zu verlieren.
    Ob 13. Februar oder Pegida - Die Brücken über die Gräben in der Stadt sind also noch ziemlich wackelig.
    An diesem Abend im Schauspielhaus bleiben die Besucher noch lange im Foyer stehen und reden weiter.