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Driften mit dem Strom
Experiment analysiert Müllverbreitung in der Nordsee

Woher stammt der Müll in der Nordsee? Diese Frage wollen jetzt Forscher der Universität Oldenburg beantworten. In den kommenden zwei Jahren werden sie mehrere Tausend Holzplättchen ins Wasser werfen, um damit den treibenden Müll zu simulieren. Die Bürger sind aufgerufen, Funde zu melden. Vor wenigen Tagen wurden in Wilhelmshaven die ersten 800 Plättchen in die Nordsee gekippt.

Von Tim Schröder | 20.10.2016
    In den kommenden Wochen werden Wissenschaftler der Universität Oldenburg noch weitere solche Holzdrifter in der Nordsee aussetzen
    In den kommenden Wochen werden Wissenschaftler der Universität Oldenburg noch weitere solche Holzdrifter in der Nordsee aussetzen (Katharina Stephan/Universität Oldenburg)
    Der Plastikmüll in den Meeren ist ein Riesenproblem. Delfine verheddern sich in alten Fischernetzen und ertrinken. Seevögel verschlucken Plastikteile, bis ihr Magen so vollgestopft ist, dass sie keine Nahrung mehr aufnehmen können. Niemand weiß genau, wie viele Millionen Tonnen Plastik in den Meeren treiben und woher der Müll kommt. Das gilt auch für die Nordsee.
    Forscher der Universität Oldenburg werden deshalb in den kommenden zwei Jahren 100.000 Holzplättchen in die Nordsee werfen, um herauszufinden, wohin diese treiben:
    "Insgesamt haben wir ja 14 Standorte entlang der niedersächsischen Küstenlinie und in der offenen Nordsee lokalisiert. Die Gründe, weshalb wir diese Standorte ausgewählt haben, sind, dass in diesen Bereichen potenzielle Müllverschmutzung stattfindet. Also irgendwelche Freizeitparks oder Campinggelände. Dann haben wir Industriegebiete und Recyclinghöfe, Abfallverladestationen, große Hafenanlagen."
    Sagt die Meeresbiologin Rosanna Schöneich-Argent von der Universität Oldenburg. Als Doktorandin am Institut für Biologie und Chemie des Meeres koordiniert sie das Projekt. An welchen Orten tatsächlich am meisten Müll ins Meer gelangt, weiß derzeit noch niemand genau.
    Bierdeckelgroße Holzplättchen sollen Müllverteilung simulieren
    Die Forscher wollen den Müll deshalb mit Holzplättchen simulieren, den sogenannten Driftern. Sie bestehen aus unbehandeltem Fichtenholz und sind in etwa so groß wie ein Bierdeckel. Die eine Hälfte der nummerierten Drifter ist zwei Zentimeter dick, die andere vier Zentimeter - und ragt dementsprechend weiter aus dem Wasser, nachdem sie an einem bestimmten Ort auf die Reise geschickt wurde:
    "Indem wir Drifter von unterschiedlicher Dicke nehmen, möchten wir simulieren, wie unterschiedliche Angriffsflächen für den Wind sich eben auf die Verteilung des Mülls auswirkt. Wir wollen schauen, ob der Wind tatsächlich ein wichtiger Faktor ist, der in die numerischen Modelle eingebaut werden sollte, oder eher Wellen und Wind eine größere Rolle spielen."
    Das Schwierige bei diesen Modellrechnungen: Müll, der an der Wasseroberfläche treibt, verhält sich je nach Form und Material völlig unterschiedlich:
    "Also ein Kanister guckt mehr aus dem Wasser raus als eine Mülltüte, die ins Wasser geweht wurde. Mit den Driftern versuchen wir natürlich nur eine Annäherung."
    Eine Annährung, die helfen soll, numerische Modelle zu verfeinern, mit denen die Kollegen von Rosanna Schöneich-Argent aufgrund von Gezeiten, Wind- und Strömungsdaten die Bewegungen des Meerwassers in der Nordsee ermitteln. Damit das Experiment die gewünschten Daten liefert, sind die Oldenburger Forscher auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Personen, die einen Drifter finden, sind gebeten, diesen zu melden. Was genau zu tun ist, steht auf einem kurzen Text, der in die kleinen Fichtenholz-Brettchen eingebrannt ist:
    "Helfen Sie mit, die Verteilung von Meersmüll zu erfassen! Bitte melden Sie die Nummer und den Fundort dieses Drifters an die Universität Oldenburg unter www.macroplastics.de."
    Projekt soll auf Meeresvermüllung aufmerksam machen
    Anhand der Nummer können die Forscher Startpunkt und Fundort eines Drifters zuordnen und seine Reiseroute analysieren. So lässt sich feststellen, woher der meiste Müll kommt. Rosanna Schöneich-Argent und ihre Kollegen wollen die Verursacher dann direkt ansprechen:
    "Wir gewinnen hoffentlich auf der einen Seite einen riesigen Datensatz, den wir selbst aufgrund unserer begrenzten Personalkapazität eventuell gar nicht bekommen könnten. Wir können nicht überall entlang der Küste sein."
    Zum anderen ist es den Forschern wichtig, die Menschen mit ihrer Aktion auf das Problem der Meeresvermüllung aufmerksam zu machen:
    "Viele Leute sind sich des Problems erst einmal gar nicht bewusst. Wenn wir da Leute allein schon durch das Mitmachen aktivieren können, dann ist das schon mal ganz, ganz viel wert."
    Derzeit rechnen die Forscher damit, dass etwa ein Viertel der Drifter gefunden und gemeldet wird, also insgesamt rund 25.000. Aber, wer weiß: Wenn jeder beim Strandspaziergang oder Muschelsammeln nach Holzklötzchen Ausschau hält, könnte die Rate auch deutlich höher liegen.