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Drill für die zukünftige Führungselite

Die Kinder des deutschen und europäischen Adels wurden durch seine Internate geprägt. In seinen Lehranstalten wollte der Reformpädagoge Kurt Hahn die zukünftige Führungselite ausbilden. Pflicht und Verantwortung galten dabei als oberste Prinzipien.

Von Karl-Heinz Heinemann | 05.06.2011
    Die Kinder des deutschen und europäischen Adels wurden durch seine Internate geprägt, heute schicken reiche Leute nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus China und Russland ihre Kinder auf die Schlossschule in Salem am Bodensee und deren Ableger in Deutschland, England, USA und Nigeria. Ihr Gründer war der am 5. Juni 1886 geborene Kurt Hahn.

    "Man kann sagen, dass Salem geboren ist aus den Erlebnissen des Prinzen Max, des letzten Reichskanzlers und unseres Gründers."

    Prinz Max von Baden und mit ihm Kurt Hahn, machte für die Kapitulation Deutschlands im Ersten Weltkrieg und das Ende des Kaiserreichs das Versagen der deutschen Eliten verantwortlich.

    "So gab er uns im Jahre 1919 die Mahnung mit auf den Weg, übt die euch anvertrauten Kinder in der Verantwortung. Entwickelt ihre Fähigkeit zum bundesgenössischen Handeln, lehrt sie das große Geheimnis, wie sich Kräfte zur Kraft zusammenfinden."

    Kurt Hahn legte seinem Mäzen, Max von Baden, 1962 in einem Film die Gründungsidee von Salem in den Mund: Die Erziehung einer Elite, die es besser machen sollte als die alte, die das deutsche Kaiserreich in den Untergang geführt hatte.

    Hahn wuchs in einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin auf. Seine Mutter Charlotte Landau war, wie Zeitgenossen berichteten, eine ebenso schöne wie gebildete Frau aus einer Rabbinerfamilie. In ihrem Salon trafen sich Wissenschaftler, Politiker und Künstler.

    Das Berliner Kaiser-Wilhelm-Gymnasium war dem jungen Kurt ein Gräuel. Dass Schule anders sein kann, erfuhr er von englischen Freunden, die auf einer Reformschule waren, dann aus den Schriften von Hermann Lietz, dem Gründer der deutschen Landschulheimbewegung. In Oxford, wo er studierte, lernte er die Tradition englischer Elitebildung kennen, die mehr auf Korpsgeist, Sport, Gemeinsinn als auf Pauken ausgerichtet war. 1914, vor Ausbruch des Weltkriegs, musste er aus England zurück nach Deutschland. Er war nicht kriegstauglich, und mit seinen Kenntnissen und Beziehungen arbeitete er dann als Englandexperte im Auswärtigen Amt.

    Das Ende des Weltkriegs erlebte Kurt Hahn nicht als Aufbruch zu neuen demokratischen Ufern, sondern als Versagen der alten Eliten. Er sah eine Herrschaft des Pöbels heraufziehen, und dieser Pöbel, so meinte er, bedurfte dringend der Führerschaft. Bernhard Bueb, der langjährige Leiter der Salemer Schlossschule:

    "Die Schulgründer haben ganz eindeutig eine Eliteeinrichtung vorgehabt. Und zwar gings ihnen vor allem darum, eine Führungselite, also nicht eine wissenschaftliche Elite oder eine akademische Elite, das war Kurt Hahns Ziel, sondern eine Führungselite, er wollte politisch wache Menschen erziehen."

    Kurt Hahn ging es nicht um einen besseren Unterricht, sondern um das Erlernen von Selbstdisziplin und Verantwortung.

    "Das Internat ist hier nicht ein Wohnheim, sondern es ist eine Lebensform. Ein Staat im Staate, hat es Hahn genannt. Mit Funktionen, Ämtern, Verantwortungen, und die Schulleitung oder die Lehrer sollten so viel Verantwortung delegieren auf die Schüler wie nur möglich. So wenn die in Streik treten würden, dann müsste hier alles zusammenbrechen. Und da können die Schüler unglaublich viel lernen, also gerade, was auch Führungsaufgaben angeht, auch sich selber erproben, wie weit sie das können."

    In anderen Landerziehungsheimen, wie etwa der Odenwaldschule, galten Freiheit und Selbstentfaltung als oberste Prinzipien, in Salem dagegen Pflicht und Verantwortung. Drogen, Alkohol und Sexualität wurden scharf bekämpft – auch das im Unterschied zu anderen Reformschulen. Daran erinnert sich Golo Mann, einer seiner Schüler in seiner Autobiografie.

    "Es lag dies daran, dass er die Neigung, die in ihm war, die homoerotische, moralisch missbilligte und mit einer mir unvorstellbaren Anstrengung des Willens in sich selber erstickt hatte. Die Folge war, dass er, was er in sich zum Schweigen zwang, überall witterte und mit wahrhaft inquisitorischen Mitteln dagegen vorging."
    Der Morgenlauf, das kalte Duschen, die Dienste bei der Feuerwehr oder der Seenotrettung, solch "reinliche Abenteuer" und "giftlose Leidenschaft" wollte Hahn den "Gefahren der Pubertät" entgegensetzen.

    1933 emigrierte er nach England, er gründete dort das Internat Gordonstoun, das Prinz Philip und dessen Söhne Charles, Andrew und Edward besuchten. Die hätten dort, so mutmaßte die Londoner Times 1994, ihr verklemmtes Verhältnis zu Frauen erlernt. Nach dem Kriege kam Hahn zurück nach Salem, wo er 1974 starb.
    Außenansicht von Schloss Salem am Bodensee
    Außenansicht von Schloss Salem am Bodensee (AP)