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Der Arzt Paul Lazarus
"Es ist ein heilig Ding um den Kranken"

Der Radiologe Paul Lazarus erfand eine ganzheitliche Medizin. Schon als junger Assistenzarzt übernachtete er bei den Kranken im Krankensaal, um ein Gefühl für ihr Leiden zu bekommen. Er begründete diese Haltung mit seinem Glauben. Lazarus starb vor 60 Jahren, seine Ideen werden wieder entdeckt.

Von Rocco Thiede | 21.11.2017
    "Nicht nur das kranke Organ, der ganze Mensch" - Paul Lazarus praktizierte mit einem religiös geprägten ganzheitlichen Ansatz und übernachtete auch schon mal im Krankensaal
    "Nicht nur das kranke Organ, der ganze Mensch" - Paul Lazarus praktizierte mit einem religiös geprägten ganzheitlichen Ansatz und übernachtete auch schon mal im Krankensaal (imago stock&people)
    "Mein Name ist Andreas Gigon und ich bin der älteste Enkel und habe den Professor Lazarus, also meinen Opa, sehr gut gekannt. Als er starb, war ich 15. Ich bin Naturwissenschaftler und Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und habe die wissenschaftlichen Erbstücke erhalten. Darunter war Uranpechblende von Joachimsthal. Ich war natürlich wahnsinnig stolz auf diese Erbstücke, bis ich dann die Radioaktivität gemessen habe, und die war sehr hoch. Ich war sehr erschüttert, als ich selber erlebt habe, dass diese Pioniere der Strahlenheilkunde nicht sehr zimperlich waren mit der Sicherheit, sondern einfach das da im Hosensack rumgetragen haben, das Radium. Und der Opa ist ja auch daran gestorben - hatte alle möglichen Blutzersetzungen und dergleichen Krankheiten."
    Damals heilig, heute ganzheitlich
    "Es ist ein heilig Ding um den Kranken", pflegte der Radiologe und Arzt Paul Lazarus zu sagen. Was er heilig nannte, heißt mittlerweile ganzheitlich. Der Gedanke fasziniert bis heute. Paul Lazarus wurde 1873 geboren, in Czernowitz in der Bukowina, was damals zu Österreich gehörte. Heute, sechzig Jahre nach seinem Tod, ist er fast vergessen und mit ihm die religiöse Begründung seines ganzheitlichen Ansatzes. Die aus Bielefeld stammende Medizinerin Inga-Britt Schwabedissen verfasste vor einigen Jahren ihre Dissertation über Lazarus' Leben. Zu seinen religiösen Wurzeln sagt sie:
    "Seine Eltern waren jüdischer Abstammung. Sie haben aber beide keine religiösen Traditionen gelebt, sondern sich als Freidenker verstanden, was sie auch so an ihre beiden Söhne weitergegeben haben. Paul Lazarus ging dann zum Studium nach Wien. Er ist dann im Studium wohl immer wieder Ordensschwestern begegnet - katholischen - die ihn beeindruckt haben müssen. So dass er sich als Student noch, mit 23 Jahren, hat katholisch taufen lassen."
    Kurz nach seinem Studium wurde Paul Lazarus nach Berlin berufen und stand als Wissenschaftler und Arzt mit vielen bekannten Persönlichkeiten seiner Zeit in regem Kontakt, mit Wilhelm Roentgen zum Beispiel oder den Nobelpreisträgern Otto Hahn, Marie Curie, Albert Einstein.
    Krankenpflege gleich Krankenliebe
    Schon als junger Assistenzarzt übernachtete Lazarus bei den Kranken im Krankensaal, um ein Gefühl für ihre Situation und ihre Leiden zu bekommen. Er praktizierte zeitlebens nach der Maxime, "nicht nur das kranke Organ sei zu behandeln, sondern der gesamte Mensch soll im Mittelpunkt der ärztlichen Sorge stehen" - denn Krankenpflege bedeutete für ihn auch Krankenliebe. In diesem Sinne schulte er auch Krankenschwestern, verordnete seinen Patienten viel frische Luft und Sonnenschein und gestaltete nach diesen Prinzipien das damals modernste Krankenhaus in Berlin St. Antonius.
    Heute hat darin die Katholische Hochschule für Sozialwesen, kurz KHSB, ihren Sitz. Präsident der KHSB in Berlin-Karlshorst ist der Psychologe Ralf-Bruno Zimmermann. Zum Erbe von Paul Lazarus für seine Bildungseinrichtung mit über 1500 Studierenden stellt er fest:
    "Das eine ist das Gebäude selbst, das Paul Lazarus im Wesentlichen mitgestaltet hat - als Unterstützer des Architekten -, in dem das Antonius-Krankenhaus untergebracht war. Nach einer wilden Geschichte dazwischen, haben wir als Hochschule 1991 dieses Gebäude übernehmen können und führen hier natürlich eine Traditionslinie fort. Wir bilden Sozialarbeiterinnen, Heilpädagoginnen, Kindheitspädagogen aus und haben damit einen sehr starken Fokus auf das Soziale, auf gesellschaftliche Nöte, auf Menschen in Not. Und Paul Lazarus hat, wie kaum ein anderer Arzt ausgerechnet eben auch als technisch-versierter Strahlenmediziner eine soziale Medizin entwickelt. Und dann gibt es natürlich noch die symbolträchtige Verbindungslinie des Antonius, der Schutzheilige dieses Krankenhauses, der auch der Schutzheilige der Sozialarbeiterinnen ist. Insofern passt es famos, dass wir diese Linien weiterführen können als katholische Hochschule für Sozialwesen."
    "Genau das, was heute in Krankenhäusern fehlt"
    Der Berliner Medizinhistoriker Peter Voswinckel führt die modernen, ganzheitlichen Ansätze von Lazarus' Krankenpflege auch auf den Glauben des Wissenschaftlers zurück:
    "Die Religion und die Kirchenverbundenheit hat eine ganz große Rolle gespielt im Leben von Paul Lazarus. Ansonsten haben wir wunderschöne Zeugnisse in Gestalt dieser Vorträge an seine Krankenschwestern. Das kommt uns Heutigen manchmal sehr fromm vor, die Sprache. Aber wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, das ist genau das, was heute in den Krankenhäusern fehlt.
    Angefangen von dem Auftreten der Schwestern: saubere Schürze und die Ordnung des Krankenzimmers, die Blumen, dass Stille ist, die Ausstrahlung im Gesicht - all diese Dinge spricht er an und er sieht darin eine christliche Aufgabe. Diese Krankenliebe. Und das ist einfach so großartig und ist so aktuell heute in unserer ökonomisierten Medizin, wo man sich wirklich nur noch wie eine Ware vorkommt, die von einer Abteilung in die nächste geschoben wird. Das lässt sich nur erklären durch eine tiefe Gläubigkeit von Paul Lazarus."
    Auch Andreas Gigon der Schweizer Naturwissenschaftler und Enkel von Paul Lazarus erinnert sich bis heute an die tiefe Religiosität seines Großvaters:
    "Auf dem Balkon in der Villa in Locarno gab es einen Erzengel, Marmor, etwa einen Meter groß und dann gab es auf dem Schreibtisch diesen Stich von Rembrandt, wo Jesus in einer Aura vor Kranken und Leidenden steht. An Weihnachten las er dann immer aus dem Hohelied der Liebe vor und einen Teil des Korintherbriefs. Das hat mich schon sehr beeindruckt und meinen Bruder übrigens auch."