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Drittmittelanträge an Hochschulen
DFG warnt vor Gutachtermangel

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft schlägt Alarm: Immer seltener sind Experten bereit, Drittmittelanträge von Hochschulen zu prüfen. Der Grund: Geld bekommen sie für ihre Beurteilungen nicht. Mittlerweile müsse man sogar auf renommierte Experten aus dem Ausland zurückgreifen, erklärte Annette Schmidtmann von der DFG im Deutschlandfunk.

Annette Schmidtmann im Gespräch mit Benedikt Schulz | 04.08.2015
    Ein Schild mit der Aufschrift "Referat Drittmittel" hängt in der Domstraße an einem Gebäude der Universität von Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), aufgenommen am 28.01.2013.
    Drittmittelanträge können sich verzögern, weil Experten fehlen (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Benedikt Schulz: Stellen Sie sich mal vor, Sie bringen Ihr Auto zur regelmäßigen TÜV-Hauptuntersuchung, und nach genauer Beobachtung durch die TÜV-Gutachter gehen Sie davon aus, das Auto ist sicher. Und dann hören Sie, die Gutachter, die werden für ihren Job nicht bezahlt und müssen zudem auch immer mehr Kontrollen durchführen. Wie sicher fühlt man sich dann? Ein wissenschaftliches Gutachten für Drittmittelanträge ist natürlich was anderes als der Auto-TÜV, aber so in etwa stellt sich die Situation der wissenschaftlichen Gutachten dar.
    Nicht nur durch die Exzellenzinitiative ist die Zahl enorm in die Höhe geschnellt. Dadurch, dass die Hochschulen weniger Grundmittel haben und mehr auf Drittmittel angewiesen sind, werden eben immer mehr Anträge gestellt, die irgendwer ja lesen muss. Und ein solches Gutachten kostet Zeit, Expertise und Erfahrung. Geld oder gar Renommee bringt es allerdings nicht. Und folglich wollen das auch immer weniger Menschen machen. Kein Wunder also, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft und andere Wissenschaftsorganisationen jetzt in der Zeitschrift "Forschung und Lehre" Alarm schlagen. Am Telefon ist Annette Schmidtmann, bei der DFG für diesen Bereich zuständig. Ich grüße Sie!
    Annette Schmidtmann: Guten Morgen!
    Schulz: Wie viele Klinken müssen Sie denn putzen im Schnitt, um einen Gutachter zu finden?
    Schmidtmann: Das ist sehr unterschiedlich, hängt sehr vom Antrag ab, vom Fachgebiet. Grundsätzlich kann man allerdings sagen, dass es in den letzten Jahren deutlich mehr Arbeit geworden ist, geeignete Gutachter zu finden.
    Schulz: Nennen Sie mal Zahlen. Wie schlimm ist die Situation bei Ihnen?
    Schmidtmann: Ja, bei der großen Bandbreite, die wir da beobachten, kann man vielleicht sagen, wenn wir früher zwei bis drei Gutachter pro Antrag anfragen mussten, um dann zwei bis drei Gutachten zu bekommen, dann fragen wir heute vielleicht vier bis fünf Gutachter in der Regel an. Also ist es mehr Arbeit geworden, das hinzubekommen.
    "Man muss sehr viel recherchieren"
    Schulz: Ist es denn so, wenn, stellen wir uns mal vor, die Kandidaten A, B und C abgesagt haben, dann greifen Sie vielleicht auch auf den weniger geeigneten Kandidaten D zurück?
    Schmidtmann: Nein, das versuchen wir natürlich gerade zu vermeiden. Wir wollen nicht hervorragende Anträge durch zweitklassige Gutachter bewerten lassen. Wir wollen schon die erste Garde haben, und das ist genau das, was den Aufwand dann erzeugt. Man muss dann sehr viel recherchieren, sehr viel lesen, sehr viel telefonieren, auch den Blick ins Ausland vornehmen. Und es kommt noch hinzu, dass wir ja sehr streng mögliche Befangenheiten prüfen, also Kooperationen ausschließen, gemeinsame Aktivitäten, und das macht die Gutachtersuche sehr, sehr aufwendig.
    Renommierte Experten aus dem Ausland ansprechen
    Schulz: Haken wir mal direkt ein, zum Thema Befangenheit. Es ist ja so, dass praktisch alle Hochschulen in Deutschland Drittmittel beantragen oder beantragen wollen. Es ist doch fast schon unwahrscheinlich, dass man, vor allem, wenn es jetzt um so einen dicken Fisch wie einen Exzellenzcluster geht, dass man einen Wissenschaftler findet, der für einen solchen Antrag völlig unbefangen ist.
    Schmidtmann: Das ist auch genau der Grund, warum wir in der Exzellenzinitiative über 90 Prozent oder sogar über 95 Prozent der Gutachter und Gutachterinnen ausschließlich aus dem Ausland rekrutiert haben.
    Diese Exzellenzinitiative war ja ein so großer Wettbewerb, dass praktisch alle Hochschulen hier miteinander konkurriert haben, sodass jeder Gutachter und jeder Gutachterin gleichzeitig Konkurrent der Antragsteller gewesen wäre. Und so blieb uns gar keine andere Möglichkeit, da die renommierten Experten aus dem Ausland anzusprechen. Und das ist auch gelungen.
    Schulz: Sie haben gesagt, Sie wollen die erste Garde haben für Ihre Gutachten. Was machen Sie, wenn Sie die erste Garde nicht mehr bekommen? Bleibt der Antrag liegen?
    Schmidtmann: Bisher ist uns das noch immer gelungen, Gutachter zu finden, indem wir eben auch Experten im In- und Ausland direkt antelefonieren, ihnen erklären, worum es geht, ihnen kurz schildern, was der Inhalt eines Projektes ist. Und auf diese Weise gelingt es uns schon, die geeigneten Personen zu identifizieren. Was die reizt an solchen Aktivitäten, ist, dass sie natürlich Spaß haben an dem wissenschaftlichen Dialog, an dem Austausch, der dann stattfindet. Das ist das, was die tatsächlich motiviert, diese Arbeit ehrenamtlich zu übernehmen.
    Schulz: Jetzt gibt es eine Umfrage des Instituts für Forschungs-, Informations- und Qualitätssicherung an der Berliner Humboldt-Universität. Die kommen zu dem Ergebnis, circa die Hälfte der befragten Profs macht den Gutachter-Job nachlässig oder beobachtet dieses Verhalten bei Kollegen, unter anderem auch, weil sie einfach überlastet sind. Wie vertrauenswürdig kann denn ein wissenschaftliches Gutachten unter solchen Umständen noch sein?
    Schmidtmann: Wir haben sozusagen eine Sicherung eingebaut. Bei uns ist der Begutachtungsprozess ja mehrstufig. Es gibt eine Begutachtung von zwei unabhängigen Gutachtern, und dann gibt es eine Bewertung im sogenannten Fachkollegium, und dann erst die Entscheidung im Ausschuss. Und auf jeder dieser Stufen wird die Aktivität der Personen, die sich zuvor diesen Antrag angeschaut haben, noch mals überprüft. Und sollten die zu einem Schluss kommen, dass sie diese Gutachten nicht für gehaltvoll oder nicht für qualitätsvoll halten, dann ergeht der Auftrag an die Geschäftsstelle, weitere Gutachten, die besser geeignet sind, zu organisieren.
    Schulz: Das heißt aber, dass Sie unter den gegebenen Umständen ein Gutachten für das Gutachten erstellen müssen.
    Schmidtmann: Nein. Die Fachkolleginnen sind von der wissenschaftlichen Community gewählte Gutachter-Panels, deren Aufgabe die Qualitätssicherung ist, die sozusagen unabhängig vom Einzelfall sich alle eingegangenen Anträge im Vergleich anschauen, diese bewerten und dabei zugleich auch die Qualität der Gutachten sicherstellen. Das ist sozusagen, wenn Sie so wollen, ein Qualitätssicherungsgremium.
    Schulz: Wie kann man denn die Arbeit für Gutachter attraktiver machen? Naheliegende erste Idee: Wir geben ihnen Geld. Was halten Sie davon?
    Schmidtmann: Diese Idee ist natürlich nicht neu, die haben wir häufig diskutiert. Eine Organisation wie die DFG lebt allerdings vom wissenschaftlichen Dialog.
    Wir wollen natürlich verhindern, dass sich Gutachter deswegen bereiterklären, weil es bei uns ein paar Euro zu verdienen gibt, sondern wir wollen, dass sie mitmachen, weil sie Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft sind und weil sie diesen wissenschaftlichen Dialog spannend finden und daran teilnehmen wollen.
    "Wir versuchen, sehr passgenau die Experten für bestimmte Anträge herauszufinden"
    Schulz: Gibt es denn noch andere Möglichkeiten, den Job attraktiver zu gestalten?
    Schmidtmann: Wir versuchen es komfortabel zu machen. Das heißt, wir bereiten die Unterlagen gut auf, das Ganze findet elektronisch statt. Wir versuchen, sehr passgenau die Experten für bestimmte Anträge herauszufinden, sodass es für diese Expertinnen und Experten es sich auch lohnt, ein solches Gutachten zu erstellen, weil sie einfach selbst etwas lernen, weil sie etwas über Forschungsideen in ihrem Gebiet erfahren, und das ist einfach ein Informationsgewinn, den man an dieser Stelle hat. Wir versuchen außerdem, den Gutachtern auch nach der Entscheidung die Information zu geben, wie der Antrag, an dessen Bewertung sie teilgenommen haben, letztendlich entschieden ist, sodass sie selber auch einordnen können, wie andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiederum ihr Gutachten bewertet haben. Also, dass man eine Rückmeldung auch bekommt als teilnehmender Experte, wie die eigene Arbeit gesehen worden ist.
    Schulz: Annette Schmidtmann von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, über die Schwierigkeit, wissenschaftliche Gutachter zu finden. Wir haben mit ihr vor der Sendung gesprochen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.