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Drogen unter Kontrolle

Für die Vereinten Nationen wie für die EU gilt der kontrollierte Opiumanbau in der Türkei als ein Modell für Länder wie Afghanistan. Brüssel hat jedenfalls keine Einwände gegen die Opiumgeschäfte seines Beitrittskandidaten. In den Türkei-Fortschrittsberichten der EU wird das Land lediglich gedrängt, den Drogenschmuggel über sein Territorium zu unterbinden. Gunnar Köhne berichtet.

26.07.2007
    Millionenfach recken sich die dicken Samenkapseln gen Himmel. Ein grünes Meer in flirrender Hitze – soweit das Auge die Ebene überblicken kann. Darüber liegt ein süsslicher Duft – der Duft von Opium. Für Mohammed Dogan sind der Geruch und dieser Anblick Beweis seines Fleisses. Der 80-jährige verzieht das Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln während er den Feldrand abschreitet: Es wird eine gute Ernte, insallah.

    Nachbarn gratulieren Dogan zur guten Arbeit. Hier in dem Dorf Cay leben Alle vom Opiumanbau. Cay liegt nahe der Stadt Afyon im Südwesten der Türkei – Afyon heisst übersetzt Opium. Seit Jahrhunderten wird hier, an der historischen Seidenstraße, Opiumanbau betrieben. Für Anatolier wie Mohammed Dogan ist Opium mehr als nur eine Nutzpflanze:

    "Opium ist ein Teil unseres Lebens, das könnten wir nie aufgeben. Alle meine Vorfahren haben Opium angebaut. Ich bin in den Opiumfeldern groß geworden, es ist Teil meines Blutes. Wir verkaufen es nicht nur, wir kochen mit dem Öl und den Blüten, unser Vieh frisst die Stengel – darum schmeckt unsere Milch so gut. Opium ist Teil unserer Existenz."

    In diesen Wochen, kurz vor der eigentlichen Ernte, produzieren die Opiumblüten jene süße Milch, die zu Heroin verarbeitet werden kann. Doch die rund 100.000 türkischen Opiumbauern stehen unter strengster staatlicher Aufsicht. Die Droge darf allein in vom Staat zugewiesenen Gebieten angebaut werden. Und auch die Verarbeitung zu legalen Opiumderivaten und der Vertrieb liegen in staatlicher Hand. Zu Beginn eines Jahres errechnen staatliche Inspektoren die vorhersehbare Erntemenge eines Bauern. Weicht die gelieferte Menge von der Kalkulation ab, wird umgehend eine Untersuchung eingeleitet. Gutachter Ilyas Mert ist in diesen Tagen auf Visite auf Mohammed Dogans Feldern. Er beschreibt das Kontrollsystem:

    "Die Bauern sind zur Zusammenarbeit mit den Behörden, der Polizei und der Armee verpflichtet. Wer gar in illegalen Heroinhandel verwickelt ist, riskiert mindestens 20 Jahre Haft. Wir arbeiten auf der Basis gegenseitigen Vertrauens miteinander. Aber die wissen, dass wir jeden Verstoß umgehend melden."

    Vor 30 Jahren erhoben die USA schwere Anschuldigungen gegen Ankara: Aufgrund laxer Kontrollen kämen 80 Prozent des in den Straßen Amerikas verkauften Heroins aus der Türkei. Daraufhin verbot die Regierung die Opiumproduktion – fast eine Million Menschen verloren damals ihre Existenz. Nach zahlreichen Protesten wurde der Anbau ein paar Jahre später wieder zugelassen – allerdings unter den bis heute gültigen strengen Bedingungen. Ali Dogan, der Bruder von Mohammed, erinnert sich an damals:

    "Es war eine schlimme Zeit. Wir hatten ja nicht nur unser Einkommen verloren, sondern auch einen Teil unserer Kultur. Natürlich würde jeder Bauer gerne mehr anbauen und mehr verdienen. Aber die schweren Zeiten damals waren uns eine Lehre: Wir wollen unsere Familien nicht noch einmal in eine Krise stürzen und halten uns darum an die Zusammenarbeit mit dem Staat."

    Für die Vereinten Nationen wie für die EU zählt der kontrollierte Opiumanbau in der Türkei als ein Modell für Länder wie Afghanistan. Brüssel hat jedenfalls keine Einwände gegen die Opiumgeschäfte seines Beitrittskandidaten – in den Türkei-Fortschrittsberichten der EU wird Ankara lediglich gedrängt, den Drogenschmuggel über ihr Territorium zu unterbinden.

    In wenigen Tagen werden die Dogan-Brüder ihre Opiumernte zur staatlichen Fabrik nach Afyon bringen, wo aus den getrockneten und geschredderten Blüten unter Zusatz von Chemikalien Morphium für die Pharmaindustrie gewonnen wird. Zwischen 15 und 20 Tausend Tonnen Opium jährlich werden in der Türkei verarbeitet. Mit dem Verkauf des Morphiums an die internationale Pharmaindustrie verdiente der türkische Staat im Jahr 2005 55 Millionen Dollar – ein Bruchteil des weltweiten Opium-Umsatzes. Für Ankara ist das zwar kein großes Geschäft, aber eine sinnvolle Investition: Denn Mohammed Dogan und den anderen Opiumbauern von Afyon sichert es den Lebensunterhalt und der Türkei den guten Ruf eines drogenfreien Opiumproduzenten.