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Drogenhandel, Terrorismus, Waffengeschäfte

Die Angaben von Justizministerin Christine Taubira sind erschreckend: Die Mordrate auf Korsika ist vier Mal so hoch wie im Großraum Marseille. Lange galt die Stadt am Mittelmeer als Hauptstadt des Verbrechens und die Regierung verkündete einen nationalen Aktionsplan. Der scheint nun auch für Korsika überfällig.

Von Ursula Welter | 23.10.2012
    Marseille stand zuletzt im Fokus der Berichte über Schusswechsel auf offener Straße, über Abrechnungen im Drogenmilieu, über mafiose Strukturen. Korsika, die Insel im Mittelmeer, "die Insel der Schönheit", wie sie in Frankreich genannt wird, steht dem in Nichts nach. Im Gegenteil. Auch dort, Schusswechsel, Abrechnungen im Milieu, Anschläge. Dutzende von Opfern hat es gegeben, vier Mal so viele wie in Marseille, rechnet die Justizministerin vor.

    Als zuletzt ein namhafter Anwalt ermordet wurde, rief das die Regierung in Paris auf den Plan. Wie im Falle Marseille vor wenigen Wochen, versammelte der Premier die Minister um sich, um einen Notfallplan zu beschließen.

    Korsika, dieser Fall ist heikel, weil auch die Unabhängigkeitsbewegung auf der Mittelmeerinsel teils gewaltbereit ist, das organisierte Verbrechen kommt hinzu, Korruption im Immobiliensektor, Geldwäsche, Drogenhandel:

    Korsika ist Teil der Republik, betont Premierminister Jean-Marc Ayrault deshalb, als er skizziert, wie den Gewaltexzessen begegnet werden soll. Innenminister Manuel Valls spricht von der "korsischen Mafia". Aber allem Anschein nach sind Korsika und Marseille zwei Seiten derselben Medaille:
    "Die Verflechtungen der Gewaltszene auf Korsika" , sagt Premierminister Jean-Marc Ayrault, "machen es nötig und rechtfertigen es, dass die Staatsanwaltschaften von Ajacio und Bastia , die Spezialkräfte von Marseille und die Anti-Terroreinheit der Staatsanwaltschaft von Paris zusammenarbeiten".

    Es sei skandalös, sagt der Sohn des jüngsten Opfers, dass erst ein Anwalt habe sterben müssen, bis Paris reagiere. Auch die Sicherheitskräfte auf der Insel trügen Verantwortung.

    Er wisse, sagt Premierminister Ayrault in Paris, dass die Mehrheit der korsischen Bevölkerung unter Situation leide.

    "Zu viele Vorfälle wurden nicht aufgeklärt, weil die Zeugen eingeschüchtert, bedroht wurden, zu viele Auseinandersetzungen wurden gewaltsam geregelt, es gibt zu viele Waffen auf Korsika, jeder muss dieser Gewalt jetzt auf den Grund gehen."

    Ob Korsika oder Marseille – die Schusswechsel auf offener Straße zeigen nur die Spitze eines Eisberges. Drogenhandel, Terrorismus, Waffengeschäfte – der jüngste Bericht einer Sondereinheit für Organisierte Kriminalität bringt zutage, dass in Frankreich die Regionen Paris, die Städte rund um die Côte d'Azur und auf Korsika besonders betroffen sind. Die Täter auf der Insel, so schreiben die Ermittler, seien meist gut vernetzt mit den Kriminellen von Marseille. Allein der Handel mit Drogen in Frankreich mache zwei Milliarden Euro jährlich für das organisierte Verbrechen aus. Die Alltagsdelikte hingen häufig, so schreiben die Ermittler, mit den mafiosen Strukturen zusammen. Strukturen, die zu einem Viertel importiert seien. Die italienische Mafia sei verantwortlich für Korruption im Umweltbereich in den südfranzösischen Regionen; tschetschenische Gruppierungen fielen durch Erpressung, Diebstahl, Rauschgifthandel, Handel mit gestohlenen Fahrzeugen und falschen Papieren auf, hier seien die Region Straßburg, aber auch Cannes und Nizza betroffen, wo die Nachtclubszene teils in Händen der Kriminellen vom Kaukasus sei, Cyberdelikte gingen traditionell à Konto afrikanischer Täter, während Cannabis-Handel und Prostitution meist in asiatischen Händen sei.

    Der Blick der Ermittler geht damit über Korsika und Marseille hinaus. Die Möglichkeiten des Internet, die fehlenden Grenzkontrollen im Schengenraum, die Visapraxis – all das habe die Kriminalität auch in Frankreich ansteigen lassen.

    Die ganze Nation müsse an der Seite der Ordnungskräfte stehen, sagt Innenminister Valls. Die Zahl der Polizeikräfte werde wieder aufgestockt, 6000 neue Stellen verspricht der Minister, als er gestern einmal mehr an der Trauerfeier für einen Polizisten teilnehmen muss, der Gendarm war von einem Autodieb erschossen worden.
    Diese Gewalt ist nicht neu, sagt Manuell Valls, aber sie hat ein nicht hinnehmbares Niveau erreicht. Im November will der Innenminister mit der Justizministerin nach Korsika reisen, auch um ein Zeichen der Hoffnung zu senden, wie Valls es ausdrückt. Eine ganze Generation drohe verloren zu gehen angesichts von Drogenhandel und Kriminalität. Auch die korsische Gesellschaft brauche Beruhigung, um sich entwickeln zu können, in einem ohnehin schwierigen, ökonomischen Umfeld.