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Drogenkonsum
"Crystal Meth wird eine Straßendroge werden"

Die Heroin-Sucht in Deutschland nimmt ab, der Konsum von Crystal Meth steigt. Der Hamburger Suchtforscher Sascha Milin warnt im Deutschlandfunk davor, dass diese vergleichsweise billige Labordroge sich hierzulande etablieren könnte. Die besondere Gefahr sei, dass Crystal Meth unterschätzt werde.

Sascha Milin im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.11.2015
    Eine Hand mit Handschuh mit Crystal Meth.
    Suchtexperten warnen vor einem steigenden Konsum der Labordroge Crystal Meth. (imago / Michael Westermann)
    Problematisch sei vor allem, dass Crystal Meth "in einem relativ sympathischen Gewand für Jugendliche" daherkomme, sagte Sacha Milin vom Zentrum für Interdisziplinären Drogenforschung der Universität Hamburg im DLF. Die suggerierte nachhaltige Leistungssteigerung sei nicht möglich. Dagegen gebe es viele Abhängige, weil der erste Konsum der Droge im Nachhinein als sehr intensiv erinnert werde.
    Der Suchtforscher rechnet damit, dass der Konsum weiter steigen wird. Hier seien die Suchtstellen gefordert. "Wir müssen uns im Hilfesystem auf jeden Fall darauf einstellen."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Es ist auf alle Fälle ein großes Geschäft und die Substanz ist vergleichsweise leicht zu produzieren und oft spottbillig zu kaufen. Crystal Meth, die Labordroge auf Amphetaminbasis, hergestellt unter anderem aus Hustenmitteln. In den USA hat sich die Designerdroge vor über 20 Jahren verbreitet, heute geht der Gebrauch zurück. Anders in Deutschland: Hier nimmt die Heroinsucht ab, der Konsum von Crystal Meth dagegen nimmt zu. Weil viel von dem Stoff aus Tschechien kommt, führt die Spur von der Grenze im Osten vor allem über Sachsen und Bayern. Die Bundesregierung hat Crystal Meth zur derzeit gefährlichsten Droge erklärt. Im Drogenbericht, den die CSU-Politikerin Marlene Mortler heute vorstellen wird, wird es eine wichtige Rolle spielen, auch bei einer Tagung in Berlin. Dort wird auch der Medizinethnologe Sascha Milin dabei sein. Am Zentrum für Interdisziplinäre Drogenforschung der Uniklinik in Hamburg beschäftigt er sich auch mit Crystal Meth. Er ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen.
    Sascha Milin: Guten Morgen, Herr Barenberg. Ich grüße Sie.
    Barenberg: Crystal Meth - die gefährlichste Droge der Welt wird sie oft genannt. Zurecht?
    Milin: Ja, das kann man unterschiedlich sehen. Aus gewisser Perspektive heraus ja. Ich sage immer wieder, eine besondere Gefahr ist, dass man die Droge unterschätzt. Sie kommt in einem relativ sympathischen Gewand erst mal daher für Jugendliche vielleicht, sieht aus wie Kokain, wenn es zermahlen ist als weißes Pulver. Man konsumiert es vielleicht in der Vorbereitung zum Ausgehen zu einer Party. Man hat nicht gleich den Eindruck, man müsste sich da eine Spritze in den Arm stecken. Und es ist tatsächlich so, dass zwar nicht jeder, der einmal Crystal Meth konsumiert, damit automatisch abhängig ist, aber dass tatsächlich viele berichten, denen die Wirkung zusagt - das ist auch nicht bei allen so -, dass das erste Mal tatsächlich so intensiv war und man sich dann immer wieder daran erinnert hat, man nicht gleich abhängig war. Aber irgendwann kam dann doch wieder die Erinnerung daran in einer schwierigen Lebenssituation und dann hat man es wieder konsumiert. Also es ist eine Droge, die man stark unterschätzt, und das ist so ein Aspekt, der sie so gefährlich macht.
    Barenberg: Man unterschätzt Sie. Sie haben gesagt, weil man nicht den Eindruck hat, wenn man sie einmal konsumiert, dass man leicht abhängig wird. Aber viele Fachleute sagen ja, dass sie ein besonders großes Suchtpotenzial hat. Ist das so?
    Milin: Ja, hat sie auf jeden Fall. Da liegt die Sucht nicht im körperlichen Bereich. Wir hatten früher so eine recht klare Unterscheidung zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit. Das löst sich heute auch so ein bisschen auf. Der Heroinabhängige, der nimmt das natürlich relativ schnell wahr. Der kann es auch irgendwie nicht verleugnen, wenn er morgens mit Schweißausbrüchen aufwacht. Der Crystal-Konsument - und da gibt es sehr unterschiedliche Formen der Abhängigkeit. Es gibt Menschen, die das lange oder über eine längere Zeit sozial integriert konsumieren. Die sind aber auch schwer abhängig. Und dann gibt es auch noch mal andere Schwerstabhängige, die das wirklich so in der Art einer Straßendroge konsumieren, auch noch mal in ganz anderen Dosen. Das ist auch noch mal eine andere Abhängigkeit. Und viele Konsumenten, gerade die, wo der Konsum vielleicht noch nicht täglich ist und die sich irgendwie auch nicht zu der Drogenszene zugehörig fühlen, die irgendwie den Eindruck haben, ich habe das im Griff, ich nehme das eine Zeit lang, um meine Arbeit zu bewältigen, und ich weiß schon, wann ich aufhören muss, die sind eigentlich abhängig, aber die gestehen sich das nicht ein.
    "Die Leistung, die man unter Crystal bringt, das geht immer zu Lasten von anderen"
    Barenberg: Sie haben es schon angedeutet. Crystal Meth ist oft sehr billig. Es putscht sehr stark auf. Es ist leistungssteigernd in vielerlei Hinsicht, auch sexuell. Sind das die richtigen Stichworte, wenn es um die Frage geht, warum Crystal Meth so attraktiv ist?
    Barenberg: Ich würde vielleicht auf den einen Punkt, den ich gerne herausstelle, noch mal eingehen: auf diese Leistungssteigerung, die von den Konsumenten so beschrieben wird, auch von Experten nachvollzogen wird. Ich bin bei dem Begriff immer ein bisschen skeptisch, weil der suggeriert, man könne wirklich so eine nachhaltige Leistung damit erreichen, und das ist gerade mit Crystal aus unserer Sicht nicht wirklich möglich und auch mit anderen sogenannten Neuro-Enhancern auch nicht. Die Leistung, die man unter Crystal bringt, das geht immer zu Lasten von anderen. Es sind bestimmte Teilaspekte, die man damit verbessern kann oder die man vielleicht eine Zeit lang unterdrücken kann, Langeweile, langweilige, um nicht zu sagen stupide Tätigkeiten länger durchzuhalten. Aber ganz wichtige andere intellektuelle Aspekte gehen dabei verloren. Man hinterfragt dann zum Beispiel nicht mehr, warum mache ich diese langweilige Tätigkeit, unterstütze ich vielleicht dieses leistungsorientierte System, wo ich mich eigentlich dagegen wenden müsste, müsste ich eigentlich etwas ändern, müsste ich eigentlich mal dem Chef sagen, da ist zu viel Leistung, die erwartet wird, das geht nicht auf die Dauer gut, sondern man macht einfach mit und man hält durch für eine Zeit. Bei manchen klappt das, bei manchen klappt durchhalten mit Crystal nur drei Tage, bevor sich entsprechende negative Erscheinungen einstellen. Manche schaffen das möglicherweise über ein, zwei Jahre. Deswegen ist es keine echte nachhaltige Leistungssteigerung, sondern es ist irgendwie ein Durchhalten. Es ist ein interessant machen von langweiligen Tätigkeiten. Das wird dann gerne so als Leistungssteigerung begriffen.
    Barenberg: Es wird ja auch gesagt, Crystal Meth sei die Droge der Selfie-Generation. Was müssen wir uns darunter vorstellen?
    Milin: Da muss ich zugeben, das höre ich heute auch zum ersten Mal. Das ist vielleicht auch noch mal so eine Sichtweise, dass man einfach derzeit die Vorstellung hat, auch bei vielen Jugendlichen, man müsste immer. Es ist vielleicht gar nicht mal die Leistung, die gefragt ist, sondern die ständige Perfektion und die Gleichzeitigkeit. Man muss heute eigentlich aus Sicht vieler Jugendlicher immer top aussehen. Man sieht es ja im Fernsehen, man sieht es ja in den sozialen Medien. Man muss eigentlich zu jedem Zeitpunkt zur Tages- und Nachtzeit so fit und gut aussehen, dass man ein Foto von sich machen kann und das bei Instagram hochladen könnte. Wenn ich jetzt von mir ein Foto machen würde und das im Internet bei Instagram hochladen würde, das würde nicht so toll aussehen, glaube ich. Es ist noch recht früh für mich. Gleichzeitig muss man der Letzte auf der Tanzfläche sein und man muss auch eine ganz tolle Figur machen auf der Arbeit, in der Ausbildung und so weiter, und das geht natürlich nicht. Das geht natürlich auf Dauer nicht, das kann man nicht durchhalten, und Leute, die auf die Dauer in allen Bereichen eine große Leistung bringen, die stellen dann eben andere Bereiche ein oder vernachlässigen andere Bereiche. Diese Gleichzeitigkeit geht nicht und das suggerieren ein bisschen die sozialen Medien und die Omnipräsenz von eigenen Bildern im Netz und vielleicht kommt daher dieser Vergleich.
    "Es wird eine Straßendroge werden"
    Barenberg: Nun hat es schon vor Jahren geheißen, dass uns da geradezu eine Schwemme droht in Deutschland. Ganz so ist es offenbar noch nicht gekommen. Wie beurteilen Sie die Verbreitung von Crystal Meth in Deutschland?
    Milin: Ich muss zunächst mal sagen, da sind die Experten sich auch uneins. Ich habe da so meine Meinung und das ist ein bisschen intuitiv, muss man sagen, weil man hat wenig verlässliche Daten. Es erscheint immer so. Zahlen, die wir jetzt in diesem Bereich hören, auch in anderen Bereichen, die suggerieren immer, wir haben da jetzt eine ganz verlässliche Datengrundlage. Es gibt da eine ganze Reihe von Störfaktoren. Wir haben zum Beispiel eine ganze Zeit lang im Suchthilfesystem, wenn Leute Beratungseinrichtungen oder stationäre Einrichtungen in Anspruch genommen haben und das dokumentiert wurde, Stimulanzien in einen Topf gepackt. Wenn wir jetzt zurückgucken auf 2013 und 2012, können wir teilweise nicht an den Daten so einfach sehen, ist das jetzt jemand, der möglicherweise Amphetamin-Pulver sporadisch konsumiert hat, oder ist das ein schwerstabhängiger Crystal-Konsument.
    Barenberg: Herr Milin, verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche. Mit Blick auf die kurze Zeit, die uns noch bleibt, nur ganz kurz noch die Einschätzung. Ist das ein bundesweites Phänomen? Wird sich Crystal Meth bundesweit durchsetzen?
    Milin: Ich versuche, es ganz einfach zu sagen. Ich glaube, ja, es wird bundesweit bestimmte Szenen erreichen. Es wird eine Straßendroge werden. Es wird sich irgendwo etablieren. Wir müssen uns im Hilfesystem auf jeden Fall darauf einstellen. Nein in der Hinsicht: Ich glaube, dass bestimmte extreme Phänomene, wie wir sie jetzt aus Bundesländern mit schon langen Konsumkulturen kennen, etwa dass das die Droge der Leute wird, die mit 12 oder 13 in den Konsum an der Schule einsteigen, oder dass das auf jeder Techno-Party Gang und Gäbe wird. Ich glaube nicht, dass das ein bundesweites Phänomen in absehbarer Zeit wird.
    Barenberg: Sascha Milin vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg über Crystal Meth. Heute mehr im Drogenbericht der Bundesregierung. Vielen Dank für das Interview heute Morgen.
    Milin: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.