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Drohende Eskalation im Libanon
"Saudi-Arabien nimmt strategisch gegen den Iran Stellung"

Die Sorge vor einem neuen Konflikt im Libanon wächst derzeit. Nahostexperte Heiko Wimmen sieht im Augenblick allerdings keine Gefahr für einen Krieg. Er vermute eher, dass Saudi-Arabien einen Schauplatz suche, um Muskeln zu zeigen, sagte er im Dlf. Es gehe darum, den iranischen Einfluss einzudämmen.

Heiko Wimmen im Gespräch mit Stephanie Rohde | 11.11.2017
    Das Sama-Hochhaus in Beirut, der Hauptstadt des Libanons, im März 2016.
    Die Lage in Beirut sei derzeit nicht angespannt, sagte der Libanon-Experte der International Crisis Group, Heiko Wimmen, im Dlf. (picture alliance/dpa/Wael Hamzeh)
    Stephanie Rohde: Ein neuer Konflikt könnte im Nahen Osten verheerende Konsequenzen haben, davor warnt der Generalsekretär der UN mit Blick auf den Libanon. Seit dem Rücktritt des libanesischen Ministerpräsidenten werfen sich Saudi-Arabien und Iran gegenseitig Kriegstreibereien im Land vor. Steht der Libanon jetzt vor einem neuen Bürgerkrieg?
    Ein politisches Erdbeben erschütterte am vergangenen Wochenende den Nahen Osten. In Saudi-Arabien wurden mindestens elf Prinzen und viele einflussreiche Geschäftsleute verhaftet am vergangenen Wochenende. Außerdem trat völlig überraschend Libanons Premierminister Saad Hariri zurück, und zwar in Saudi-Arabien. Dann fing die saudische Armee nahe dem Flughafen eine feindliche Rakete ab, abgefeuert wohl von den Huthi-Rebellen im benachbarten Jemen. Daraufhin machte Saudi-Arabien die Grenzen dicht und verkündete, man sehe sich im Krieg mit dem Libanon, und warnte vor Reisen in den Libanon. Der libanesische Hisbollah-Chef wiederum warf Saudi-Arabien vor, Libanon den Krieg erklärt zu haben. Droht jetzt ein neuer Bürgerkrieg im Libanon im Ringen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran? Darüber habe ich vor wenigen Minuten gesprochen mit Heiko Wimmen, dem Libanon-Experten der International Crisis Group, und wir haben ihn in Beirut erreicht. Guten Morgen!
    Heiko Wimmen: Guten Morgen!
    Rohde: Zahlreiche Saudis und Bürger anderer Golfstaaten sollen den Libanon schon verlassen haben, wie angespannt erleben Sie die Lage vor Ort in Beirut jetzt?
    Wimmen: Also ich fühle hier in Beirut keine Spannung. Die Leute, mit denen ich rede, sind natürlich besorgt, dass das weitergehen könnte, dass es sich weiter zuspitzen könnte, aber hier zwischen den Libanesen direkt sehe ich im Moment überhaupt kein Potenzial für Konflikt.
    "Es liegt nahe, dass man jetzt einen anderen Schauplatz sucht"
    Rohde: Lassen Sie uns auf die Motivation von Saudi-Arabien schauen: Warum mischt sich das Land gerade jetzt so sichtbar und so aktiv in den Libanon ein?
    Wimmen: Also ich denke, da gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen dem Versuch, der erfolgreich zu sein scheint, des Kronprinzen in Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman, seine Position als alleiniger Machthaber zu konsolidieren und auszubauen. Wie Sie in der Anmoderation ja gesagt haben, es wurden mindestens elf Prinzen, Geschäftsleute verhaftet, es wurden große Geldvermögen erst einmal eingefroren, und das ist die interne Front. Und die externe Front ist, dass der Herr bin Salman gegen Iran mobil macht, und wenn es um Iran geht, dann haben wir hier natürlich im Libanon die Hisbollah, die als Klient, als Verbündeter des Iran aktiv ist und die sich da als Feindbild anbietet. Sie haben die Rakete erwähnt, die abgefeuert wurde von den Huthis – der Vorwurf ist, dass es sich um eine iranische Rakete gehandelt hat, die mithilfe der Hisbollah vielleicht zusammengebaut wurde, dass die Hisbollah diese Huthis trainiert und im Prinzip dahintersteckt.
    Rohde: Saudi-Arabien hat ja in Syrien jahrelang sunnitisch-islamistische Rebellen unterstützt, um Assad zu stürzen, das kann man zum jetzigen Zeitpunkt als gescheitert erklären. Sucht Saudi-Arabien jetzt ganz gezielt einen neuen Stellvertreterkrieg im Libanon?
    Wimmen: Zumindest einen anderen Schauplatz, wo man zeigen kann oder wo der Kronprinz zeigen kann, dass er als Führungspersönlichkeit sozusagen den Ton angibt, dass er strategisch gegen Iran Stellung nimmt und damit dann natürlich sein eigenes Publikum zu Hause hinter sich scharrt. Sie haben Syrien erwähnt als einen Ort, wo die Saudis gescheitert sind, Jemen – wir hatten gerade darüber gesprochen über Jemen – ist ein zweiter Ort. Dieser Krieg im Jemen, der nun schon mehr als zwei Jahre andauert, hat sich für Saudi-Arabien ebenfalls als eine sehr, sehr kostspielige Niederlage oder ein sehr kostspieliges Abenteuer erwiesen, und da ist Mohammed bin Salman ganz klar derjenige, der das auf seine Verantwortung hin vorangetrieben hat. Deswegen liegt es nahe, dass man jetzt einen anderen Schauplatz sucht, wo man meint, vielleicht da mit besseren Aussichten Muskeln zeigen zu können, und Libanon bietet sich an. Man hofft, vielleicht auf den Zug aufzuspringen, den Herr Trump in Bewegung gesetzt hat gegen Iran, die Versuche der Amerikaner, aus dem Nuklearabkommen auszusteigen, all das ist aus saudischer Sicht eine positive Entwicklung, um diese Rückschläge, die Sie erwähnt haben, auch in Syrien zurückzudrehen, um die amerikanische Position, die Herr Obama vertreten hat, die gegenüber Iran ja deutlich pragmatischer war, um das zurückzudrehen und den iranischen Einfluss zurückzuräumen in der Regierung.
    "Gefahr besteht im Augenblick nicht"
    Rohde: Steht denn zu befürchten, dass der Libanon ein zweiter Jemen wird?
    Wimmen: Zunächst einmal denke ich … Erst mal, die Antwort ist Nein, ich denke, die Gefahr besteht im Augenblick nicht. Erst mal müssen wir auf die Geografie schauen: Jemen ist, grenzt zum großen Teil an Saudi-Arabien, die Saudis kontrollieren die Gewässer, das ist sozusagen einfach, den Jemen zu isolieren, von der Außenwelt abzuschneiden und zu bombardieren. Viel mehr hat man ja auch nicht erreicht, zumindest nicht im Hochland des Jemen, wo die Hauptstadt ist. Im Libanon haben die Saudis, denke ich, keine militärische Option, da selber aktiv zu werden, das ist einfach geografisch zu weit weg. Man hat keinen Zugang irgendwo, um überhaupt mit Bodentruppen aktiv zu werden. Die saudische Luftwaffe ist im Jemen genug beschäftigt, und ich meine, gegen den Libanon und gegen Hisbollah Krieg zu führen, das haben schon ganz andere versucht, möchte ich mal sagen, also die Israelis natürlich vor allem, und hatten da, wie Sie ja wissen, auch ihre Schwierigkeiten. Also dass die Saudis das selber in die Hand nehmen, ist, denke ich, abwegig.
    Rohde: Aber Herr Wimmen, müssen die Leute im Libanon fürchten, dass sie wirtschaftlich von Saudi-Arabien isoliert werden, wie das zum Beispiel auch bei Katar der Fall war?
    Wimmen: Das ist eine deutlich größere Befürchtung. Auch da ist die Geografie nicht so auf der Seite der Saudis, wie es in Katar ist. Wenn man auf die Karte guckt, ist Katar natürlich auch von Saudi-Arabien und saudischen Verbündeten umgeben – wesentlich einfacher, das abzuschneiden von der Außenwelt. Das ist im Libanon wiederum nicht so, die Handelsbeziehungen sind auch sehr viel vielfältiger oder die Wirtschaft ist auch sehr viel differenzierter. Nur es gibt einen ganz großen Hebel, das sind die Auslandslibanesen, von denen etwa 350.000 – das sind Zahlen, die ich ernst nehme – im Golf aktiv sind, Saudi-Arabien etwa die Hälfte davon, die andere Hälfte Staaten im Golf, die im Zweifelsfall auf Zuruf auch das machen, was die Saudis wollen. Diese Leute schicken jedes Jahr vier, vielleicht fünf Milliarden Dollar zurück nach Hause sozusagen, und das wiederum sind etwa zehn Prozent des libanesischen Bruttosozialprodukts. Wenn das abgeschnitten wird, wenn diese Transfers erst einmal gestoppt werden durch Maßnahmen der Banken vielleicht, wenn Leute ausgewiesen werden und ihre Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitsgenehmigung verlieren in Saudi-Arabien, das tut weh, das ist ganz klar ein ökonomisches Problem. Das wird die Wirtschaft nicht in die Knie zwingen, aber das kostet, das ist schmerzhaft.
    "Die Israelis haben natürlich gute Gründe, besorgt zu sein"
    Rohde: Sie haben vorhin Israel erwähnt, Libanons südlicher Nachbar könnte ja militärisch gegen die libanesische Hisbollah vorgehen. Von der Seite ist also eher eine Eskalation zu erwarten statt einer Deeskalation?
    Wimmen: Nun, Herr Nasrallah hat das so gesagt, die Saudis sozusagen wollen die Israelis dazu bringen, uns anzugreifen. Das ist eine Befürchtung, die man hier auch hört. Ich glaube, das ist im Augenblick als Szenario nicht realistisch. Die Vorstellung, dass Israel unprovoziert Hisbollah angreift – es gibt ja keine eindeutigen aggressiven Handlungen von Hisbollah gegen Israel, schon seit langer Zeit nicht mehr –, die Vorstellung ist für mich erst einmal schwer zu akzeptieren. Wenn Sie sich Herrn Netanjahu anschauen, wo er politisch im Moment steht, der hat mit Korruptionsaffären zu kämpfen und all das, da den Eindruck zu vermeiden gegenüber der israelischen Öffentlichkeit, die dann ja die Folgen tragen muss, wenn es einen Gegenschlag gibt von Hisbollah, da den Eindruck zu vermeiden, dass Herr Netanjahu das macht, um möglicherweise von seinen eigenen Schwierigkeiten abzulenken, das ist schwierig, diesen zu vermeiden. Es ist natürlich so – das muss man immer dazusetzen –, die Israelis haben natürlich gute Gründe, besorgt zu sein. Wir haben dieses Raketenarsenal, was da aufgebaut wurde seit 2006, seit dem letzten Krieg, angeblich arbeitet Hisbollah an Fabriken, um selber hochpräzisere Raketen herstellen zu können, das ist alles aus israelischer Sicht sehr bedenklich, und die sagen dann auch uns – der Crisis Group und anderen und jedem, der es hören möchte –, dass sie irgendwann da was machen müssen. Meine Empfindung ist eher, die sagen das, damit andere was tun, vielmehr damit andere diplomatischen Druck auf Hisbollah ausüben, Hisbollah vermitteln, dass es Grenzen gibt, wo es gefährlich wird. Ich hab nicht den Eindruck, dass die Israelis zum gegenwärtigen Zeitpunkt da selber eine Kampagne planen.
    Rohde: Das sagt Heiko Wimmen von der International Crisis Group im Libanon. Vielen Dank für das Gespräch!
    Wimmen: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.