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Drohende Staatspleite
"Schlacht zwischen Argentinien und den USA"

Die Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Buenos Aires, Kristin Wesemann, hält Argentinien nicht für zahlungsunfähig. Die Auseinandersetzung mit den Hedgefonds werde zu einer politischen Schlacht zwischen den USA und Argentinien inszeniert, sagte sie im DLF. Argentinien fürchte eine Klageflut von Gläubigern der Staatskrise 2001.

Kristin Wesemann im Gespräch mit Sandra Schulz | 31.07.2014
    Demonstranten tun ihre Unterstützung für Präsidentin Kirchner kund.
    Demonstranten tun ihre Unterstützung für Präsidentin Kirchner kund. (dpa/picture alliance/David Fernandez)
    Sandra Schulz: Und ausnahmsweise heute in Berlin haben wir erreicht Kristin Wesemann, sie ist die Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Buenos Aires. Guten Tag!
    Kristin Wesemann: Ja, hallo, Frau Schulz!
    Schulz: Frau Wesemann, die Meinungen, wir haben's gerade noch mal gehört, die gehen auseinander. Ist Argentinien jetzt pleite oder nicht?
    Wesemann: Ich bin da auch gespaltener Auffassung, ich würde sagen nein, und so handhabt die Regierung das ja auch. Es war also bis gestern auch überhaupt nicht die Rede davon, dass man in einen Default gehen würde - Cristina Kirchner, die Präsidentin, hat sogar verboten, davon zu sprechen. Und ehrlich gesagt, das, was ich beobachtet habe in den letzten Monaten, es hat sich ja dramatisch zugespitzt eigentlich seit dem 30.06., und dann gab's noch diesen Monat Gnadenfrist, ist, dass eine ganze Auseinandersetzung einfach politisch sehr stark inszeniert wird. Es werden alte politische Auseinandersetzungen, die ehemaligen Brady Bonds und gegen Peron, und jetzt heißt es Griesa, also der New Yorker Richter, gegen Cristina. Es wird daraus gemacht eine Schlacht zwischen Argentinien und den Vereinigten Staaten, also zwischen einem Land, das sich bitter die Souveränität erkämpft. Und im Prinzip fällt es da auch sehr schwer, sachlich zu bleiben, und es ist erstaunlich, dass gerade, wenn es um Populismus geht und diese Anschuldigungen eben auch an die westliche Industriewelt, dann ist die Opposition doch relativ schweigsam und versucht immer wieder auf das Sachliche zurückzukommen. Für heute Abend gibt es eine Menge Actos, die Cristina wird sich wieder auf die nationalen Fernsehkanäle schalten lassen und dann sicherlich ordentlich vom Leder ziehen gegen die Entscheidung und auch immer wieder sagen, was sie gesagt hat in den letzten Wochen: Wir haben doch bezahlt, wir sind doch nicht diejenigen, die nichts bezahlen.
    "Argentinische Rhetorik: Da will uns jemand kaputtmachen"
    Schulz: Können Sie uns das noch mal helfen auseinanderzusortieren? Warum steht und fällt das jetzt alles mit dieser Einigung mit den Hedgefonds?
    Wesemann: Ja, also ich glaube, das Problem ist gar nicht die Summe, sondern es geht darum, wenn Argentinien jetzt diese beiden Hedgefonds bezahlt, dann können all diejenigen, also fast 93 Prozent der Gläubiger, die beim letzten Staatsbankrott sich unter Néstor Kirchner auf eine Stundung im Prinzip, nicht eine Stundung, aber sie haben sich drauf eingelassen, 70 Prozent weniger zu erhalten, als sie eigentlich angelegt hatten, und die hätten dann alle ein Recht, wieder zu klagen. Und da stehen gigantische Summe im Raum. Und da gibt es eine Klausel, die heißt RUFO-Klausel, bis Ende des Jahres ist die noch gültig. Die hat Argentinien damals selbst mit ausgehandelt, das ist so eine Besserstellungsklausel. Also es darf niemand bessergestellt werden als diejenigen, die damals sich auf diesen Schuldenschnitt eingelassen haben. Und wenn jetzt diese Hedgefonds ganz ausbezahlt werden würden, also die volle Summe zurückbekommen würden, dann hätten alle anderen, also auch die Kleinanleger, das gleiche Recht. Und dann stehen Summen von 500 Milliarden im Raum, und das würde dann tatsächlich für Argentinien eine Pleite bedeuten. Im Moment würde ich sagen, das ist keine Summe, die Argentinien nicht verschmerzen könnte.
    Schulz: Und das heißt aber alles zusammengenommen, dass Argentinien im Grunde die Pleite von 2001 jetzt noch mal auf die Füße fällt?
    Wesemann: Das heißt es ganz genau, und damals unter Néstor Kirchner, also dem verstorbenen Ehemann von Cristina Kirchner, wurde es eben als immenser politischer Erfolg auch gefeiert und als Beginn des nationalen und populären Projektes, für das Argentinien ja im Moment zu stehen meint. Man hat sich eben losgelöst von der internationalen Finanzwelt, vom Kapital, man wollte eben wieder beginnen, dieses Land autark zu machen. Und Argentinien hat in den letzten zwölf Jahren keinen Zugang, also keinen tatsächlichen Zugang gehabt zu den internationalen Finanzmärkten. Es ist ausgekommen ohne Geldgeber aus dem Ausland. Jetzt sind Chinesen eingesprungen und auch Russland ist kurz in die Bresche gesprungen für Argentinien, aber Argentinien hat sich eingerichtet, ohne das Geld von außen auszukommen. Das spiegelt sich natürlich makroökonomisch im Moment wider in relativ dramatischen Zahlen.
    Also wir sind in der Rezession - aus den vergangenen Jahren kennen wir immer noch diese Werte, acht Prozent Wachstum, zwischen 35 und 40 Prozent liegen die Messwerte für die Inflation, und das auch nicht erst in diesem Jahr. Es gibt einen klandestinen Schwarzwährungsmarkt, wie das auch aus Venezuela bekannt ist, also der Dollar ist fest gebunden an den Peso, der schwankt immer sehr minimal und steht bei einem Dollar zu 8,22 Peso heute, und auf dem schwarzen Markt ist er so 13, 14 Peso wert. Aber die Argentinier waren vorbereitet, also sie wussten, da gibt es in dieser Regierung, die wird alles daran setzen, ihr nationales Projekt durchzusetzen, die wird sich nicht einlassen auf internationale Entscheidungen, auch nicht auf Gerichtsentscheidungen. Und was wir beobachten konnten, also auch im Bekanntenkreis, aber auch durch Zeitungsberichte, Gespräche mit Fachleuten, ist einfach, dass die Argentinier noch mehr als sonst ihr Kapital ins Ausland gebracht haben. Der Dollar war ja auch teilweise so ein bisschen illegalisiert in den vergangenen Jahren. Sie haben sich drauf vorbereitet, und im Prinzip nimmt man das jetzt so mit Schulterzucken entgegen, diese Entscheidung.
    Also die Rhetorik ist eben auch sehr stark in Argentinien, da will uns jemand kaputtmachen. Und Sie haben es vielleicht auch hier beobachtet, also "Süddeutsche Zeitung", "FAZ", also auf Seite drei oder vier der Wirtschaftsseiten kam das vor, dass Argentinien jetzt in den technischen Zahlungsausfall getreten ist, aber es berührt keinen, weil Argentinien einfach schon so abgeschottet ist von der internationalen Finanzwelt und auch politisch zum Teil, dass die Argentinier einfach drauf warten. Nächstes Jahr haben wir Präsidentschaftswahlen, und dann wird es vielleicht doch eine Hinwendung zum normaleren Land geben.
    "Dankenswerterweise ein Schuldiger gefunden für die Misere"
    Schulz: Also das heißt aber, wenn man das alles zusammenfasst, dann ist für die Bürger in Argentinien weniger diese aktuelle Zuspitzung bedrohlich als sozusagen die wirtschaftliche Großwetterlage?
    Wesemann: Absolut. Also sie leiden unter dieser ächzenden Inflation, unter den Preiskontrollen. Also die Supermärkte sind bestückt mit argentinischen Produkten, es kommt auch nichts rein ins Land. Gerade auch deutsche Unternehmen haben große Probleme, Maschinenteile, Ersatzteile, alles Mögliche zu bekommen. Es liegen riesige Gasfelder mehr oder weniger auch brach, die werden überhaupt nicht bearbeitet, Argentinien importiert für Devisen, mit denen das Land nicht reichlich ausgestattet ist, Energie, obwohl das Land wahrscheinlich den halben Kontinent versorgen könnte mit Gas. Aber da traut sich eben keiner ran, internationale Investoren bleiben aus, also die Rechtsunsicherheit ist in den letzten Jahren ja gerade durch den Fall Repsol auch weltweit bekannt geworden. Und die Regierung treibt das Projekt, also das heißt auch wirklich national populäres Projekt, weiter voran, und jetzt ist natürlich dankenswerterweise ein Schuldiger gefunden für diese wirtschaftliche Misere, unter der das Land ächzt. Und das sind eben die bösen Hedgefonds, die bösen Aasgeier-Fonds, und wenn man durch Buenos Aires läuft, dann hängen da auch die Konterfeis von Griesa und dem Richter und die amerikanische Flagge, dann werden immer wieder Demonstrationen ausgerufen. Aber ich kann Sie beruhigen, es gibt auch sehr, sehr viele Argentinier, also gerade in der Mittelschicht und auch in den Eliten, die einfach eine ganz andere Vision von diesem Land haben und Argentinien eigentlich ganz gerne wieder auf der Weltbühne sehen würden als zuverlässigen Partner in internationalen Angelegenheiten ...
    Schulz: Kristin Wesemann - Entschuldigung, Sie müssen uns nachsehen, ich werde jetzt gerade eher unruhig wegen der verstreichenden Sendezeit -, darum herzlichen Dank für dieses Gespräch an Kristin Wesemann, die Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Buenos Aires. Heute Morgen haben wir sie, heute Mittag allerdings, in Berlin erreicht. Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.