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Druck auf Andersdenkende in Weißrussland wächst

Seit den Präsidentschaftswahlen nehmen die Repressalien gegen Oppositionelle in Weißrussland zu, so die Menschenrechtsorganisation Visna. Bestes Beispiel sei der Prozess gegen ihren Vorsitzenden Ales Bialiatski. Visna fürchtet, dass er und andere politische Gefangene einmal mehr zum Spielball werden könnten, um dem bankrotten System westliche Kredite zu bringen.

Von Melanie Longerich | 02.11.2011
    Tatsiana Reviaka steht an der schweren Eingangstür, lauscht in die Gegensprechanlage und schließt das schwere Riegelschloss auf. Es ist eng hier im dunklen Flur der kleinen Wohnung, irgendwo in einem Hinterhof von Minsk. Ganz im Verborgenen hat die weißrussische Menschenrechtsorganisation Viasna ihren Sitz. Während die 41-Jährige durch die kleinen Zimmer führt, fällt ihr Blick auf einen Bilderrahmen, aus dem ein weißhaariger Mann, mit grauem Schnäuzer und tiefer Stirnfalte lächelt:

    "Unser Vorsitzender ist auch hier, leider nur auf dem Plakat. Ales Bialiatski. Er sitzt im Gefängnis."

    Anfang August wurde Bialiatski auf der Straße verhaftet, heute beginnt der Prozess gegen ihn. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung in großem Umfang. Darauf steht in Weißrussland bis zu sieben Jahre Haft. Litauische und polnische Behörden hatten im Sommer seine Kontodaten ans weißrussische Regime weitergeleitet. Die zeigten, dass der Menschenrechtler von ausländischen Stiftungen regelmäßig Gelder bezieht. Unter Bialiatskis Namen führt die Menschenrechtsorganisation in Litauen ihr Bankkonto:

    "Stiftungen und Organisationen, die uns Gelder auf das Konto überwiesen haben, haben alle schriftlich bestätigt, dass die Gelder auf dem Konto für unsere Projekte überwiesen wurden, aber das interessiert die weißrussischen Behörden nicht. Ich glaube, es ist das Ziel der Regierung unsere Organisation zu zerstören und noch mehr Andersdenkende in die Gefängnisse zu stecken."

    "Eine Farce" nennt Tatsiana Reviaka daher die Anschuldigungen. Doch Ärger ist sie gewohnt. Seit 15 Jahren gibt es Viasna. Gegründet von einer Handvoll Juristen, um verhaftete Regimekritiker zu vertreten. Seitdem protokolliert die Organisation Menschrechtsverstöße, besucht Prozesse und beobachtet Wahlen. Seit zehn Jahren allerdings müssen Tatsiana Reviaka und ihre Kollegen im Geheimen arbeiten - weil der Staat ihnen die Zulassung entzog. Die Mitarbeiter können damit jederzeit verhaftet werden. Bis zum vergangenen Dezember hatte Tatsiana Reviaka immer eine Zahnbürste und ein belegtes Brot in der Tasche:

    "In der Nacht nach der Präsidentschaftswahl wurden wir nachts hier untersucht, unsere Möbel wurden kaputt geschlagen, die Computer mitgenommen. Da dachte ich, ich habe das Schlimmste schon hinter mir und habe dann damit aufgehört."
    Zahnbürste und Butterbrot bleiben seitdem Zuhause. Eigentlich müsse man das ja als Kompliment nehmen, wenn der KGB regelmäßig vorbeischaut, sagt Tatsiana Reviaka und ihr Lachen klingt angestrengt. Das hieße dann ja, gute Arbeit zu machen. Die Organisation pflegt enge Kontakte zu Menschenrechtsorganisationen und Politik im Ausland:

    "Zum ersten Mal erleben wir, dass politische Gefangene gefoltert werden. Vor den großen Demonstrationen nach der Präsidentschaftswahl im Dezember war das nicht der Fall. Momentan sind in Weißrussland noch elf politische Gefangene in Haft, in den letzten eineinhalb Monate wurden 25 aus der Haft entlassen – vor allem wohl wegen des politischen Drucks aus dem Ausland. Die elf aber, die immer noch im Gefängnis sitzen, machen uns große Sorgen. Sie dürfen ihre Anwälte nicht sehen und sind in einem schlechten körperlichen und seelischen Zustand."

    Von Ales Bialiatski hat Tatsiana Reviaka seit Wochen nichts mehr gehört. Immerhin soll er ein Bett haben, sagt Reviaka. Keine Selbstverständlichkeit in weißrussischer Untersuchungshaft. Auch Sergej Makarevich von der unabhängigen Wochenzeitung Nasza Niwa verfolgt den zunehmenden Druck auf Andersdenkende. Der Journalist befürchtet, dass mit der anhaltenden Wirtschaftskrise politische Gefangene wieder zum Spielball werden.

    "Jetzt in der Wirtschaftskrise, wo Lukaschenko schnell und viel Geld braucht, sind für ihn die politischen Gefangenen wieder einmal eine gute Verhandlungsmasse. Sie spielen eine wichtige Rolle."

    Tatsiana Reviaka hofft, dass die EU ihre Strategie beibehält, den Dialog mit der weißrussischen Regierung wieder aufzunehmen, wenn das weißrussische Regime zwei Bedingungen erfüllt: wenn es alle politischen Gefangenen freilässt und dann über einen längeren Zeitraum beweist, dass demokratische Veränderungen im Land auch wirklich umgesetzt werden. Erst dann. Doch ob sich die EU auch wirklich an diesen Vorsatz hält, anstatt wieder einmal vorschnell auf einen Handel mit Lukaschenko einzugehen? Die Menschenrechtlerin hat ihre Zweifel. Zumindest seit dem Treffen der östlichen Partnerschaft Anfang Oktober in Warschau. Dort hatte der polnische Premier und EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk Weißrussland schon wieder ein erstes Angebot unterbreitet: Er versprach ein Kreditpaket von bis zu neun Milliarden Dollar, wenn dafür die politischen Gefangenen freigelassen und freie Wahlen zugelassen werden. Tatsiana Reviaka blickt zur Wand auf das Foto von Ales Bialiatski:

    "Die politischen Gefangenen wollen keine Ware in diesem Handel sein. Wenn die EU sich auf Verhandlungen mit Lukaschenko einlässt, wird sich die Lage in Weißrussland nie verändern."

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