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Dublin-Regelungen
"Die Kommission hat zu lange weggeguckt"

Der Vorsitzende des Europaausschuss des Bundestages, Gunther Krichbaum (CDU), fordert in der Flüchtlingsfrage die Einhaltung der Dublin-Abkommen. Dabei handele es sich um bestehendes Recht, das durch die Europäische Kommission strenger kontrolliert werden müsse, sagte er im DLF. Auch die Rolle der Grenzschutzagentur Frontex müsse wieder gestärkt werden.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Martin Zagatta | 11.11.2015
    Gunther Krichbaum, CDU, Vors. des Europaausschusses im Bundestag.
    "Wir müssen zur Rechtswirklichkeit von Dublin zurückkehren," forderte Gunther Krichbaum (CDU) im DLF. (picture alliance / dpa / Zipi)
    Martin Zagatta: Erst die Verwirrung um den Familiennachzug für Syrer, den Innenminister de Maizière hier im Deutschlandfunk ja angekündigt hatte, ohne das Kanzleramt zu informieren, geschweige denn den Koalitionspartner SPD. So jedenfalls reimen wir uns das zusammen. Und jetzt hat der Innenminister gestern mit der Mitteilung überrascht, das Dublin-Verfahren werde schon längst wieder angewandt, was wiederum aber so gut wie keine praktischen Konsequenzen hat. Mitgehört hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum. Guten Tag, Herr Krichbaum.
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Hallo, Herr Krichbaum. - Wann haben Sie denn als Vorsitzender des Europaausschusses des deutschen Parlaments erfahren, dass das Dublin-Abkommen schon längst wieder gelten soll?
    Krichbaum: Zunächst kann man eigentlich gar nicht sagen, dass Dublin nicht gelten würde, weil die Dublin-Abkommen sind bestehendes Recht und...
    Zagatta: Wird aber nicht angewandt!
    Krichbaum: ... wir müssen zu der Rechtswirklichkeit von Dublin wieder zurückkehren. Das ist der Punkt. Und ich glaube, es ist auch sinnvoll, dass wir hier wieder zu einem geordneten Verfahren kommen. Das ist das Ziel, was auch der Bundesinnenminister dabei verfolgt. Jetzt jedenfalls ist das eigentlich auch gar nicht so überraschend für mich, weil auch Herr de Maizière auch in anderen Gremiensitzungen das bereits auch im Rahmen der letzten Woche bereits angekündigt hatte, also bevor es dann auch am letzten Wochenende zu den, sagen wir, vielleicht gewissen Differenzen in der Kommunikation kam. Aber so ganz überraschend wie gesagt ist es nicht.
    Zagatta: Aber das soll doch jetzt seit 15. Oktober, haben wir gerade gehört, glaube ich, wenn ich das Datum recht jetzt im Ohr habe, schon gelten. Das wussten Sie aber auch nicht?
    Krichbaum: Doch.
    Zagatta: Ja?
    Krichbaum: Doch. Die Dinge sind soweit kommuniziert worden.
    "Frontex muss wieder eine stärkere Rolle bekommen"
    Zagatta: Warum wusste es dann Ihr Koalitionspartner nicht? Haben Sie dem das verschwiegen?
    Krichbaum: Das wurde überhaupt nicht verschwiegen und der Koalitionspartner hat genauso die Möglichkeit, die Dinge hier zur Kenntnis zu nehmen. Warum er jetzt so überrascht tut, weiß ich an der Stelle nicht. Aber es geht ja auch, glaube ich, im Kern um etwas anderes. Es muss wirklich wieder der Fall sein, dass man hier zu einem ordnungsgemäßen Verfahren zurückkommt. Das heißt, dass auch der Mitgliedsstaat, in dem ein Flüchtling zum ersten Mal europäischen Boden unter den Füßen hat, für dieses Verfahren dann zuständig ist. Dass wir aber de facto davon sehr weit noch entfernt sind, das klang ja auch schon gerade in der Anmoderation und in den letzten Beiträgen an, und genau zu der Wirklichkeit müssen wir aber sukzessive wieder zurückkehren. Das heißt, auch Frontex muss natürlich wieder eine stärkere Rolle bekommen und und und. Das es nicht mit einer Maßnahme getan.
    Zagatta: Aber wenn wir dann beim und und und hören, dass das jetzt, ich glaube, schon fast wieder drei Wochen gelten soll, und vier Leute sind davon betroffen, wie kommt so was an? Da sagt man sich doch, die spinnen in Berlin, oder?
    Krichbaum: Nein. Das ist deswegen nicht der Fall, weil noch einmal: Es geht nicht darum, dass Deutschland hier seine Verpflichtungen wahrnimmt, sondern dass andere Länder hier ihre Verpflichtungen nicht wahrnehmen und dem nicht gerecht werden, was eigentlich auch das Dublin-Abkommen ihnen seit Jahren aufbürdet. Das will ich schon auch dazu sagen, wenn Sie mich den Punkt bitte auch ausreden lassen, weil hier ist auch eine Europäische Kommission in der Pflicht, denn die Europäische Kommission nimmt schon seit Jahr und Tag diesen Zustand hin. Hier sehe ich insbesondere auch Herrn Juncker gefordert, denn Dublin ist ein Vertrag und die Kommission ist die Hüterin der Verträge und da hat man auch in der Vergangenheit lange Zeit weggeguckt. Deswegen: Es wird nicht alleine damit getan sein, dass jetzt hier Deutschland das als solches reklamiert, sondern die Europäische Kommission ist vor allem darin gefordert, dass hier auch das Recht, das europäische Recht wieder angewandt wird.
    Zagatta: Aber das funktioniert ja nicht. Herr Juncker hat ja auch mitgefeiert, dass bei der Umverteilung...
    Krichbaum: Deswegen muss der Druck stärker werden auch aus Brüssel.
    "Die Kommission muss auf die Türkei einwirken"
    Zagatta: Oder der Druck vielleicht auch auf Brüssel. Sie sagen von Brüssel, aber wahrscheinlich auch auf Brüssel. Oder habe ich Sie da falsch verstanden?
    Krichbaum: Ich denke, dass Herr Juncker jetzt in der letzten Zeit da stärker die Verantwortung wahrnimmt, die auch schon unter der Barroso-Kommission hätte wahrgenommen werden müssen. Natürlich wird auch der Druck auf ihn steigen, denn es sind ja nicht nur Länder, jetzt ein Land wie Deutschland, sondern auch alle Länder, die davon betroffen sind. Man darf nicht vergessen: Auch die Länder, durch die die Flüchtlinge durchreisen, haben ja einen konstant hohen Anteil an Flüchtlingen in ihrem Land. Auch das muss erst einmal logistisch bewältigt werden. Und wenn man überlegt, das sind nicht Länder wie Österreich und Schweden, die oftmals genannt werden, sondern vor allem jene Länder an den Balkan-Routen und damit auch Länder, die überhaupt nicht Mitglieder der Europäischen Union sind, die kann man dabei natürlich auch nicht im Regen stehen lassen. Und wenn ich hier auch die Europäische Kommission nenne, dann nicht nur in der Bewältigung der Symptome, sondern auch bei der Bekämpfung der Ursachen. Hier muss die Kommission stärker Flagge zeigen und natürlich auch auf die Türkei einwirken.
    Zagatta: Das sind Forderungen, die hören wir ja jetzt schon seit Wochen, ohne dass ernsthaft was passiert. Darf ich noch mal zu diesem Dublin-Abkommen fragen?
    Krichbaum: Das sind Forderungen, das tut mir leid, auch mit der Türkei, was jetzt die Türkei angeht. Sie brauchen die Türkei als ein Nicht-EU-Land. Aber natürlich muss auch mit einem Land wie der Türkei verhandelt werden, bevor sich die Flüchtlinge dann in Gang setzen, und das ist ein Punkt, wo in der letzten Zeit ja sehr viel passiert ist.
    Zagatta: Das ist ein weites Thema. Was ist denn in der EU, was ist jetzt tatsächlich mit diesem Dublin-Abkommen? Wir hören jetzt wieder, es gilt wieder seit drei Wochen, aber nicht für die Länder an den Außengrenzen, also nicht für Griechenland. Gilt es denn für Italien?
    Krichbaum: Auch für Länder wie Griechenland gilt natürlich auch das Abkommen. Es ist nur so,...
    Zagatta: Es wird aber nicht umgesetzt.
    Krichbaum: Das ist ein großer Unterschied. Das ist ja genau der Punkt, dass uns das Bundesverfassungsgericht hier auferlegt, dass wir in solche Länder hinein nicht zurückführen dürfen, und das macht dann auch den großen Unterschied. Wir müssen auch schauen, dass die Länder in einen solchen Zustand versetzt werden, dass hier dann tatsächlich auch eine Registrierung erfolgt. Damit fängt das Ganze ja schon an. Im Augenblick sind wir ja genau auch von dem noch entfernt und genau deswegen ist es dann auch wichtig, dass solche Hotspots eingerichtet werden. Deswegen ist auch der Eindruck, den Sie jetzt hier vermitteln wollen, nicht ganz zutreffend, von wegen, dass hier nichts passiert sei. Wir haben auch seitens der Bundesrepublik jetzt die schärfste, seit 20 Jahren die größte Verschärfung des Asylrechts erlebt. Wir haben die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ausgeweitet.
    "Druck auf die anderen Länder verstärken"
    Zagatta: Ist alles klar! Aber unser Thema sollte eigentlich - deswegen haben wir Sie auch eingeladen - dieses Dublin-Abkommen sein. Das ist ja das, was jetzt im Moment so umstritten ist.
    Krichbaum: Ja, das ist natürlich richtig, aber diese Dinge gehören ja zusammen.
    Zagatta: Klingt das nicht so - eine Stimme in dem Bericht war es gerade, ein SPD-Politiker, glaube ich, der gesagt hat, was sich da wieder in Berlin im Moment tut, das ist heiße Luft, eine Diskussion um nichts.
    Krichbaum: Ich bin jetzt nicht dafür verantwortlich, irgendwelche Meldungen von Kollegen hier zu kommentieren, und es ist auch nicht so, weil wenn das alles heiße Luft wäre, dann frage ich mich tatsächlich, warum denn tatsächlich sich der Koalitionspartner doch jahrelang so geziert hat, dabei mitzumachen, die Liste der sicheren Drittstaaten, der sicheren Herkunftsländer auszuweiten. Dann wären wir natürlich schon wesentlich früher zu den Lösungen gekommen, die wir jetzt haben. Man darf nicht vergessen: Es sind auch sehr viele Menschen aus den Ländern des westlichen Balkans hier bei uns in Deutschland, die keinerlei Bleibeperspektive haben. Auch wird jetzt die Rückführung dieser Menschen beschleunigt werden. Das ist wichtig. Das ist auch Teil des Paketes gewesen, wo jetzt die Länder in der Pflicht sind. Deswegen: Die Maßnahmen sind beschlossen. Was hier national umgesetzt werden kann, das wird jetzt auch national umgesetzt. Wir sind aber nicht alleine auf der Welt und wir sind auch nicht alleine in Europa, und da muss natürlich dann auch der Druck auf die anderen Länder verstärkt werden, dass die ihrerseits auch Flüchtlinge aufnehmen. Da sind wir in der Tat noch von entfernt und dann wäre auch hier in Deutschland manches anders.
    Zagatta: Da ziehen Sie wahrscheinlich sogar mit dem Koalitionspartner an einem Strang. Aber der sagt ja jetzt, das mit dem Familiennachzug für Syrer, was der Innenminister vorschlägt, das machen wir nicht mit, und erklärt jetzt das, was mit dem Dublin-Abkommen jetzt bekannt geworden ist, in der Praxis im Moment für völlig irrelevant.
    Krichbaum: Was den Familiennachzug angeht, ich glaube, dass hier jeder schnell rechnen kann. Wenn wir diese hohe Anzahl an Flüchtlingen jetzt gegenwärtig haben, ist es wichtig, hier für Integration zu sorgen. Wenn jetzt hier sofort ein Familiennachzug möglich wäre, dann würde das die Kommunen und die Regionen, die Landkreise, die ohnehin schon am Limit sind, zusätzlich überfordern. Das gehört einfach zur Wirklichkeit dazu, dass man das auch klar benennt, und deswegen ist es auch wichtig, dass hier der Familiennachzug mit einer Karenzzeit belegt wird. Alles andere wäre völlig kontraproduktiv und ich glaube, damit wäre auch niemandem gedient, wenn wir tatsächlich auch eine Integration der Menschen vor Augen haben.
    Zagatta: Dann warten wir ab, was jetzt aus dem Dublin-Abkommen wird und seiner Umsetzung. Gunther Krichbaum war das, CDU-Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender im Europaausschuss des Bundestages. Herr Krichbaum, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.
    Krichbaum: Vielen Dank nach Köln. Danke schön und auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.