Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Dubuffet-Ausstellung in Basel
Von inneren Landschaften und kalkulierten Emotionen

"Metamorphosen der Landschaft" heißt die Schau in der Baseler Fondation Beyeler, mit der dem farbenfrohen Werk von Jean Dubuffet eine große Retrospektive geboten wird. 1901 geboren, näherte sich Dubuffet dem Künstlersein auf sehr verschlungenen Wegen. Er musste erst das Leben als Geschäftsmann ausprobieren, als Soldat, als dilettierender Musiker.

30.01.2016
    Die Porträtarbeit "Antonin Artaud" (l.) des Künstlers Jean Dubuffet ist am 27.01.2015 in der Galerie des Kunstvereins Talstraße in Halle (Sachsen-Anhalt) zu sehen.
    Die Porträtarbeit "Antonin Artaud" (l.) des Künstlers Jean Dubuffet (picture alliance / dpa - Hendrik Schmidt)
    "Am Ende der Pressekonferenz tanzten tatsächlich die Skulpturen – majestätische Clowns kamen uns in gemessenem Schaukelschritt entgegen. Ihr Körper war zur Plastik geworden, ein aus abstrakten, zellenartigen Ur-Formen zusammengepuzzeltes Kleid, das sich bizarr nach außen wölbte und bewegte."
    Die Performance fand vor Dubuffets riesenhafter Installation "Coucou Bazar" von 1972 statt, ein im Prinzip bewegbares Kulissenbild aus Gestalten, die aussehen wie bunte, geklonte Zirkusfiguren. Das ist das Zentrum der Ausstellung. Die Tänzer, die Performance-Künstler wirkten, als wären sie gerade diesem historischen Bühnenbild entstiegen – und das will die Fondation Beyeler ja erreichen: den oft geschmähten Jean Dubuffet wieder lebendig machen. Und in der Tat: im Vergleich zu Oskar Schlemmers strengem Triadischen Ballett – das muss hier der Vergleichsmaßstab sein – ist der "Coucou"-Zirkus ein verschwenderischer Überfluss an Ornamentik, an karikaturistischer Zerfledderung des Organischen, an Unsinn und Anarchie.
    Der Schweiz verdankt Dubuffet die Einsicht, dass psychische Krankheiten beim Patienten ungeheure kreative Energien freisetzen können: in Bern und Genf besuchte er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg psychiatrische Kliniken. Es hätte deshalb nahegelegen, den von ihm für die Patientenkunst geprägten Begriff des "Art Brut" zum Ausgangspunkt der Schau zu machen und zu zeigen, wie der scheinbar direkte, naive Zugang zu Emotionen sich in Dubuffets eigenem, doch ziemlich kalkuliertem Werk niederschlägt.
    Frauenkörper als Landschaften des Fleisches
    Der Kurator Raphael Bouvier wählt einen ganz anderen, aber völlig überzeugenden Weg: er fasst Dubuffets gesamtes Werk als Landschaftsmalerei auf und zeigt uns in verschiedenen Abteilungen, wie diese inneren Landschaften sich im Lauf der Karriere wandelten, von sehr düster zu sehr bunt, von den eher groben Formen der frühen "Body Guards" von 1943 zu den sich immer weiter fortzeugenden Mosaiken und Collagen, den übervollen Bild-Räumen, deren vereinfachte Zeichenhaftigkeit man später bei Keith Haring oder Jean Michel Basquiat und natürlich in der Straßen- und Grafitti-Kunst wiederfindet.
    Überhaupt wird, wer die Ausstellung abschreitet, überraschend viele Spuren zeitgenössischer Moden bei Dubuffet sehen, von der Manscherei der Abstrakten Expressionisten bis zu den Kratz-Übungen des Cy Twombly, von den Versuchen, Erde, Schwämme, Schlacke und später auch Pflanzen, Blüten oder Baumrinden in die Werke zu integrieren bis zu der bunten Eingängigkeit der Pop-Art. Die Ausstellung zeigt uns zunächst Gesichter als Landschaften, Falten und Furchen - darunter ein groteskes Porträt des Dichters Henri Michaux. Dann Frauenkörper als Landschaften des Fleisches, und zwar des bizarr hässlichen Fleisches, gespachtelte Texturen erschlaffter Haut. Das ist der bewusste Traditionsbruch: statt "L'Origine du Monde" dumpfe rosa Oberfläche.
    Ab 1956 nimmt dann das Ornamentale zu, die Zerlegung und Zusammensetzung bunter Formen, die unter dem Motto "ich bewohne ein heiteres Land" ziemlich chaotisch durcheinanderwabert. Am beeindruckendsten sind allerdings Dubuffets Skulpturen: nicht nur die Gesichter aus Schwamm, die kleinen Körper aus Lava, sondern vor allem sein "Oberon" von 1960, ein verwitterter, zerfurchter Kopf, der den Übergang von der ungestalteten Masse zu einer Physiognomie untersucht.
    Da ist das Kindliche sehr fern. Auch das ist eine Überraschung: selten hat man uns so klar gemacht, wie dunkel, erdig und existenziell traurig ein großer Teil von Dubuffets Werk ist. Das löst sich im Spätwerk dann wieder in farbenfrohe Scheinnaivität auf. Aber auch hier sind die Bilder übervoll, ein entfremdetes Räderwerk ineinandergreifender Einzelteile und gleichzeitig eine zerbröselnde, fragmentierte organoide Parallelwelt. Das mag zwar auch die Weltwahrnehmung psychisch Kranker sein; bei Dubuffet wird daraus eine Gegenwarts-Diagnose, die immer noch gilt.