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Durcharbeiten der Vergangenheit

Der spanische Romancier Ignacio Martínez de Pisón geht in seinem kunstvoll erzählten Buch "Der Tod des Übersetzers" einem Geschehnis im Leben des amerikanischen Schriftstellers John Dos Passos nach: der Verschleppung und dem Tod seines spanischen Freundes und Übersetzers José Robles im Spanischen Bürgerkrieg. Doch nicht die Faschisten hatten Robles auf dem Gewissen; vielmehr fiel er den Stalinisten zum Opfer.

Von Sybille Martin | 16.11.2007
    John Dos Passos - 1896 in Chicago geboren, 1970 in Baltimore gestorben - verehrt die Literaturwelt als einen Helden der Moderne. Seine Romane "Manhattan Transfer" (1925) und die USA-Trilogie (1930) erschlossen der Erzählkunst neue Möglichkeiten und Materialien. In der deutschen Literaturgeschichte gilt Alfred Döblin mit seinem Roman "Berlin Alexanderplatz" (1929) als Adept dieses revolutionär erneuerten amerikanischen Romans.

    John Dos Passos verband mit seinem literarischen Modernismus ein linkes politisches Engagement. Sympathie für die Sowjetunion - die ihm freilich eine große Reise suspekt machte. Leidenschaft für Spanien, die archaisch freie Nation aus der alten, vormodernen Welt, eine Leidenschaft, die Dos Passos gleichwohl für die Republik Partei ergreifen ließ - wie Ernest Hemingway, wie George Orwell, wie viele aus dieser internationalen Community - , als der General Franco seinen Eroberungsfeldzug gegen sie begann. Doch ging John Dos Passos aus dem spanischen Bürgerkrieg als Antikommunist, ja als Konservativer hervor.

    An dieser Stelle setzt der Beitrag des spanischen Romanciers Ignacio Martínez de Pisón ein, der in seiner dicht recherchierten und kunstvoll erzählten Studie einem einzigen Geschehnis in John Dos Passos' spanischen Wanderjahren nachgeht: der Verschleppung und dem Tod seines Freundes und Übersetzers José Robles, loyaler Beamter der spanischen Republik, eine komplett verworrene Geschichte, die sich gleich 1936/37, bei Kriegsbeginn abspielte.

    José Robles befreundete sich schon als Literaturstudent 1916 mit dem Amerikaner, der ein triebhafter Reisender war. Gemeinsame Interessen befeuern die Beziehung, und José Robles erhält eine Dozentenstelle in den USA - verdammt, denkt der Leser, warum ist er nicht einfach dort geblieben.

    Literarische Versuche, Übersetzungen; Lehrmaterial für den Spanischunterricht mit hübschen Zeichnungen, die Martínez de Pisóns Buch nachdruckt.

    Aber der links und internationalistisch gestimmte Literat kann unmöglich abseits stehen, wenn in seinem Land die Reaktion die Republik bedroht. So ging die Sache in die Mythologie ein: Die einheimischen ebenso wie die internationalen Kräfte des Fortschritts versammelten sich gegen Franco und die Seinen; Willy Brandt ebenso wie Claude Simon, später experimenteller Romancier und Nobelpreisträger, waren dabei, und die Niederlage gegen Franco ist eines der finstersten und leuchtendsten Kapitel im linken und liberalen Heldensagenbuch.

    John Dos Passos ebenso wie George Orwell haben damit angefangen, die Geschichte anders zu erzählen, und jetzt setzt Ignacio Martínez de Pisón diesen Erzählstrang fort. Im Innern der fortschrittlichen Kräfte, im Innern der spanischen Republik fasste die sowjetische Paranoia Fuß, die exklusiv die inneren Feinde suchte und ausschaltete, Trotzkisten, Sozialdemokraten, autonome Linke und Liberale, die Stalins herrliches Reich verschmähten. Der Kampf gegen sie kostete beinahe mehr Kraft und Leben als der Kampf gegen Franco und die Reaktion; jedenfalls bauten die Stalinisten mit außerordentlicher Intelligenz und Energie im Innern der spanischen Republik ihren eigenen Macht- und Kontrollapparat auf, der zahllose Mitkämpfer als Spione und Verräter verfolgte. Ganz genau vermag Martínez de Pisón nicht zu erklären, wie sein Held José Robles in diese Mechanismen hineingeriet - es macht wohl die speziellen Schrecken des Stalinismus aus, dass nur verschwommen zu erkennen ist, wie er seine Opfer wählt.

    John Dos Passos konnte sich damit nicht abfinden. Er riskierte den Bruch mit Hemingway und der ganzen Community, die vor den stalinistischen Machinationen keineswegs die Augen verschloss, die aber zuerst den Krieg gegen Franco gewinnen wollte. Dieser Zweck heiligt die Mittel - Unfug, sagte Dos Passos mit einem skeptizistischen Bonmot, das allgemeine Verbreitung verdient: Wir erreichen doch niemals unsere Zwecke; deshalb erfordert die Wahl der Mittel skrupulöse Sorgfalt.

    Tatsächlich siegte Franco, und seine spezielle Version von Diktatur dauerte bis 1975, als ein mutiger König und eine mutige Mittelschicht den Parlamentarismus wieder einführten, ohne dass Bürgerkriegsblut fließen musste. Die Studie von Ignacio Martínez de Pisón trägt zu jener patriotischen Selbstreflexion bei, die wir Deutschen als Aufarbeitung der Vergangenheit kennen. Man gerät sehr in Zweifel, ob man sich einen klaren Sieg der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg hätte wünschen sollen; vermutlich hätte danach sofort ein zweiter Bürgerkrieg eingesetzt, ein Bürgerkrieg mit der stalinistischen Fraktion, mit der man eben noch verbündet gewesen war - einer der traurigen Gedanken, wie ihn jedes Durcharbeiten von Vergangenheit inspiriert.

    Ignacio Martínez de Pisón: Der Tod des Übersetzers. John Dos Passos und die Geschichte eines ungeklärten Mordes. Hamburg: Hoffmann und Campe 2007, 256 Seiten, Euro 19.95