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Durchaus ansprechbar

Neurologie. - Dass Komapatienten ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen zu scheinen, gerät immer stärker in Zweifel. Eine Jülicher Forschergruppe hat nun im Gehirn einer Komapatienten tatsächlich Aktivitäten nachweisen können, die auf differenzierte Wahrnehmungen schließen lassen.

Von Martin Hubert | 12.03.2009
    Nach einem Unfall fiel eine 38-jährige Frau in ein schweres Koma. Wichtige Nervenstränge, die verschiedene Hirnareale miteinander verbinden, wurden geschädigt. Seitdem ist der Zustand der Frau über drei Jahre hinweg unverändert. Sie kann zwar selbstständig atmen, sich aber nicht spontan bewegen. Ihre Augen sind geschlossen und sie zeigt auch keine Reaktion auf Berührungen, Laute oder Ansprache. Jedenfalls keine sichtbare.

    "Die Angehörigen der Patientin haben uns erzählt, dass sie das Gefühl haben, wenn sie sie persönlich ansprechen, dass sie das Gefühl haben, sie würden Kontakt aufnehmen."

    Professor Karl Zilles vom Institut für Neurowissenschaften und Biophysik am Forschungszentrum Jülich gab das zu denken. Gemeinsam mit einem Team um Simon Eickhoff untersuchte er mit Hilfe der Magnetresonanztomographie, auf welche Reize das Gehirn der inzwischen 41-jährigen Patientin reagiert. Sinnesreize kamen offenbar an, das war das erste Ergebnis. Dann konfrontierten die Forscher die Frau mit Sätzen und Gefühlsregungen. Sie forderten die beiden Kinder, Freundinnen der Patientin sowie eine ihr völlig unbekannte Person auf, zwei verschiedene Arten von Sätzen zu sprechen. Einmal völlig neutrale Sätze, in denen zum Beispiel nur die Wochentage aufgezählt wurden. Zum anderen emotional bedeutungsvolle Sätze wie "Mutter, wie geht es Dir heute Morgen? Hast Du gut geschlafen?"

    "Das Erstaunliche war folgendes: Die Patientin hat in dem so genannten Mandelkernkomplex, der Amygdala, von dem wir wissen, dass er eine Schlüsselstruktur in unserem Gehirn für emotionale Empfindungen ist, in diesem Mandelkernkomplex hatte die Patientin eine deutliche Aktivierung nur , wenn sie mit persönlichen Sätzen von ihren Kindern angesprochen wurde, oder von ihren Freundin, nicht, wenn sie von einer neutralen Person angesprochen wurde. Sie hatte gar keine Aktivierung, wenn sie mit neutralen Dingen angesprochen wurde. Das heißt also: je mehr Empathie ein Satz ausgedrückt hat und je näher die Person ihr persönlich stand, desto größer war die Chance, dass es zu einer Aktivität der Amygdala gekommen ist."

    Offenbar kann das Gehirn der Patientin noch unterscheiden, welche Personen zu ihr sprechen und welche Bedeutung ihre Worte haben. Bekannt ist, dass die Amygdala auch bei gesunden Menschen um so stärker reagiert, je emotionaler die Inhalte sind und je näher ihnen bestimmte Personen stehen. Bedeutet das, dass Komapatienten ähnlich emotional empfinden können wie Gesunde? Karl Zilles will zwar aus der reinen Aktivität von Hirnregionen keine voreiligen Schlüsse ziehen, hält das aber durchaus für möglich.
    "Aus Menschlichkeit weiß man, dass man sich mit Zärtlichkeit und Zuwendung um Komapatienten kümmern sollte. Aber dass das tatsächlich auch zu entsprechenden Hirnaktivierungen führt, die in Richtung auf emotionales Leben bei diesen Patienten, die sich in keiner Weise äußern können, dass das in diese Richtung hinweist, das fand ich schon - auch für uns war das überraschend. Das ist etwas, was, glaube ich, die Diskussion über Komapatienten durchaus mit neuen Gesichtspunkten versieht, den man beachten muss."

    Immer noch werden Komapatienten in der Medizin häufig als empfindungslose Körperhüllen betrachtet und dementsprechend behandelt. Kritiker weisen jedoch schon lange darauf hin, dass bei der Pflege solcher Patienten immer wieder Anzeichen für emotionale Reaktionen erkennbar sind. Der Oldenburger Neurorehabilitationsmediziner Andreas Zieger hat daher schon vor mehreren Jahren eine Prophezeiung gewagt: irgendwann würden bildgebende Verfahren bei Komapatienten Aktivitäten in der Amygdala offenbaren. Die Jülicher Studie hat das nun erstmals bestätigt. Alle pflegerischen Bemühungen, mit Komapatienten auf empathische Weise umzugehen, werden durch diese Untersuchung also gestützt. Die Ergebnisse regen auch dazu an, komatöse Zustände feiner zu differenzieren, als das bisher häufig noch getan wird. Inzwischen mehren sich die Studien, die zu diesem Zweck bildgebende Verfahren einsetzen. Auch die Jülicher Forscher gehen diesen Weg weiter. Erste Untersuchungen an einer zweiten Komapatientin scheinen die Ergebnisse ihrer ersten Studie zu bestätigen.