Dienstag, 23. April 2024

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"Durchregieren ist nicht, basta ist auch nicht"

Nach der Einigung im unionsinternen Steuerstreit geht der Punktegewinn nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Werner Patzelt von der TU Berlin eindeutig nach Bayern. Horst Seehofer habe sich mit seinen Vorstellungen durchgesetzt. In Sachen Steuererleichterung habe die Kanzlerin in der CSU allzu lange einen zu bekämpfenden Gegner gesehen. Angesichts des Wahlkampfes müsse es ihr nun gelingen, wieder mehr die Parteivorsitzende zu geben.

Werner Patzelt im Gespräch mit Elke Durak | 05.01.2009
    Elke Durak: Der Städte- und Gemeindebund hat heute zwar auf das vergangene Jahr 2008 zurückgeschaut, aber auch voraus und fordert aus dem Konjunkturpaket II milliardenschwere Investitionen.

    Mit den Kommunen will die Große Koalition unter anderen in den nächsten Tagen auch reden. Bis zum 12. Januar will man das Konjunkturpaket geschnürt haben. Mich interessiert jetzt das Verhältnis zwischen CDU und CSU, denn am Sonntag gab es ja eine wundersame Einigung zwischen beiden, zwischen den Schwesterparteien auf doch mögliche Steuersenkungen. Tagelang hatte ja der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Seehofer gegen die Schwesterpartei, auch gegen die Kanzlerin gewettert, manche sprechen sogar von gestänkert. Die hat ziemlich lange stillgehalten, hatte aber auch schon in ihrer Neujahrsbotschaft, wenn Sie sie gehört haben, kleine Signale ausgesendet: Steuererleichterungen ja, vielleicht dann doch. Also wie geht Angela Merkel aus dieser Situation hervor? - Professor Werner Patzelt ist am Telefon. Er ist Politikwissenschaftler an der TU in Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.

    Werner Patzelt: Guten Tag!

    Durak: Hat die CDU-Vorsitzende im, ja sagen wir, Steuerstreit mit der CSU klein beigegeben?

    Patzelt: Das ist vielleicht ein wenig hart formuliert, aber gewonnen hat sie auf gar keinen Fall. Es hat sich der bayerische Ministerpräsident durchgesetzt mit seiner Forderung, die Steuern perspektivisch zu senken, und das ist ein zweiter Schritt nach dem Sieg in Sachen Pendlerpauschale.

    Durak: Herr Seehofer hatte ja offensichtlich allen Grund, in Berlin groß aufzutrumpfen. Die politische Situation seiner Partei in Bayern bleibt ja schwierig. Ist es das aber auch allein, was die CSU so gegen die Schwesterpartei angetrieben hat?

    Patzelt: Es sind wohl zwei Dinge. Zum einen ist es tatsächlich die Notwendigkeit für die bayerische CSU, wieder Vertrauen in Bayern zu fassen, wozu immer auch eine ansehnliche bundespolitische Rolle gehört, und hier gab es noch einige Dinge mit der CDU zu klären, die ja der CSU im Landtagswahlkampf überhaupt nicht hilfreich sein wollte. Das andere ist, dass einfach die CSU die Vorstellung hat, diejenigen, die diesen Staat im Wesentlichen finanzieren mit ihren Steuern, müssten auch entlastet werden, und insbesondere aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit müssten jene entlastet werden, die am unteren Ende der Einkommensskala noch Steuern bezahlen. Deswegen auch die zwei schlüssigen Vereinbarungen, dass man den Steuerfreibetrag erhöht und die kalte Progression mindert.

    Durak: Hat also die CDU im Vorfeld dieser ganzen Diskussion Fehler gemacht und die Finanz- und Wirtschaftskrise unterschätzt?

    Patzelt: Es mag schon sein, dass auch eine gewisse Unterschätzung der Auswirkung der Finanzkrise auf die Realwirtschaft bei der Kanzlerin vorgewaltet hat. Insgesamt scheint mir es eher so zu sein, dass die CDU allzu lange in der CSU einen zu bekämpfenden Gegner gesehen hat. Das kann man angesichts von stoiberschen Machtmenschen-Auftritten auch irgendwo verstehen. Nun hat sich lange Zeit die CDU auch gegen die CSU verkämpft und an dieser Stelle scheint hier eine bestimmte Korrektur eingetreten zu sein.

    Durak: Die Kritik am Führungsstil von Angela Merkel verstummt ja nicht. Sollte sie Ihrer Meinung nach langsam, aber sicher vom eher Moderieren zu mehr Führen, vielleicht sogar Basta-Führen übergehen?

    Patzelt: Basta-Führen nutzt in dieser Republik nichts und es nutzt umso weniger, als ja nicht einmal mehr CDU und SPD im Bundesrat gemeinsam eine verlässliche Mehrheit haben. Also Durchregieren ist nicht, basta ist auch nicht.

    Die Bundeskanzlerin wird auf den Bundestagswahlkampf zu natürlich aus ihrer Moderatorenrolle immer mehr heraustreten. Sie wird sich im Laufe des Frühjahrs als Führerin des bürgerlichen Lagers profilieren müssen und sie wird das gewiss auch tun. Aber bis dahin hat sie natürlich auch darauf zu achten, dass die Koalition zusammenbleibt und dass es nicht so sein kann, dass die SPD die Union als den unverlässlichen, die Koalition vorzeitig in Agonie versetzenden Bündnispartner darstellen kann, denn das würde im Bundestagswahlkampf wenig Punkte machen. Insofern ist die Kanzlerin natürlich in einer schwierigeren Lage als der CSU-Vorsitzende.

    Durak: Wie kommen Sie darauf, dass sie dann mehr Führungskraft zeigen wird, so wie Sie sagen? Was könnte sie tun? Woran machen Sie das fest?

    Patzelt: Je näher der Bundestagswahlkampf rückt, umso weiter rückt die Große Koalition auseinander. Die Sozialdemokratie und die Union, gemeinsam mit der FDP, die ja im Beiboot mitzunehmen ist, werden einander als Lage gegenüberstehen und die Bundeskanzlerin wird nicht mehr in erster Linie eine Große Koalition zusammenhalten müssen, sondern Wahlkampf für das bürgerliche Lager zu tun haben. Das kann man aber nicht noch am Ende oder noch halbwegs weit in einer Wahlperiode machen, sondern erst, wenn der Wahlkampf entbrennt. Infolgedessen ist sie jetzt in der schwierigen Lage, die notwendigen Konflikte mit der SPD nicht vorzeitig ausbrechen zu lassen, und infolgedessen hat sie es schwieriger als der CSU-Vorsitzende, der natürlich nun die CDU ein Stück weit versuchen kann, nicht zu jagen, aber wenigstens zu schubsen.

    Durak: Sie ist doch eher jetzt als Kanzlerin bekannt im Volk, denn als CDU-Vorsitzende. Wie sollte sie das schaffen, dann in ein paar Monaten das umzudrehen? Sie muss ja außerdem Kanzlerin bleiben.

    Patzelt: Sie will Kanzlerin bleiben, aber das kann sie natürlich nur, wenn das bürgerliche Lager einen Wahlsieg erreicht.

    Durak: Nein! Ich meine das bis dahin. Entschuldigung! - Bis zur Wahl. Wenn sie im Frühjahr anfängt, die CDU-Vorsitzende zu geben, muss sie trotzdem gleichzeitig Kanzlerin bleiben bis zur Wahl.

    Patzelt: Nun, das ist ja kein Widerspruch. Alle deutschen Bundeskanzler (mit wenigen, dann aber unglücklichen Ausnahmen) haben ja das Amt des Parteivorsitzenden und das Amt des Bundeskanzlers gemeinsam versehen und die taktische Finesse, die einem Regierungschef und Parteiführer abverlangt wird, besteht eben darin, diese beiden Rollen so lange auseinanderzuhalten, wie es des Koalitionsfriedens willen notwendig ist, und dann freilich, wenn es zum Wahlkampf kommt, auf Wahlkampf umzuschalten. Die Bundeskanzlerin ist ja lange Zeit nur als eine radikal-reformerische CDU-Vorsitzende bekannt gewesen. In die Kanzlerrolle musste sie ja erst hineinwachsen. Folglich wird es ihr auch nicht schwer fallen, wieder einmal die Parteivorsitzende zu geben - freilich keine so marktliberale Parteivorsitzende mit Durchregierungswünschen, wie sie das vor einigen Jahren versucht hat.

    Durak: Professor Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU in Dresden. Danke, Herr Patzelt, für das Gespräch.

    Patzelt: Bitte sehr.