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Dusty Springfield
Neuauflage des "Reputation"-Albums von 1990

Die Neuauflage von Dusty Springfields Album "Reputation" erzählt noch mal eines der großen Pop-Märchen des 20.Jahrhunderts: Wie zwei junge, schwule Männer - die Pet Shop Boys - einer nicht mehr ganz jungen, lesbischen Frau zu einem triumphalen Comeback verhalfen und zum Aufstieg zur Schwulen-Ikone.

Von Klaus Walter | 19.09.2016
    Die britische Popsängerin während ihres Auftritts im Rahmenprogramm der Löwen-Verleihung am 26. September 1970 in der Dortmunder Westfalenhalle. Dusty Springfield wurde am 16. April 1939 in Hampstead geboren und starb am 2. März 1999 in ihrem Haus in der Grafschaft Oxfordshire.
    Dusty Springfield bei einem Auftritt in der Dortmunder Westfalenhalle 1970. (dpa)
    "Just a little lovin" aus "Dusty in Memphis": 1969 ist die Platte ein kommerzieller Flop, heute fehlt sie auf keiner Liste der größten Alben der Pop-Geschichte. Und es ist die Lieblingsplatte von Neil Tennant, Sänger und Texter der Pet Shop Boys:
    "Dusty hat eine der wunderbarsten Stimmen der Pop- und Soulmusik. Sie hat diese verletzliche Qualität in ihrer Stimme und diese fantastische Phrasierung. Sie verwandelt jeden Song in einen Dusty-Springfield-Song."
    Und wird so zu einem der größten weiblichen Popstars der 60er-Jahre, in ihrer britischen Heimat hat Dusty Springfield eine eigene Fernsehshow. Dann kommen die 70-er und es ergeht ihr wie vielen Frauen im Pop - oder auch im Filmgeschäft. Jenseits der 30 bleiben die Hits aus wie in Hollywood die passenden Rollen. Dusty Springfield gerät in Vergessenheit, sie singt in Nachtklubs und lebt zurückgezogen in Kalifornien.
    "Ich hätte nie gedacht, dass ich mit ihnen arbeiten könnte"
    Bis das Telefon klingelt eines schönen Tages 1987: "Ich sitze im Garten unter einem Baum, das Telefon klingelt, es ist Vicky, meine Managerin. Sie hätte da diese merkwürdige Anfrage von den Pet Shop Boys, sie hätten ein Demo-Tape geschickt und bräuchten eine schnelle Antwort", sagt Dusty Springfield.
    "Ich kannte die Pet Shop Boys, weil ich beinahe mal einen Unfall gebaut hätte auf der Autobahn, als 'West End Girls' im Radio kam. Manche Songs haben so eine Wirkung auf mich, da kann sowas schon mal passieren."
    "Ich hätte nie gedacht, dass ich mit ihnen arbeiten könnte. Das Tape kam an und fünf Minuten später habe ich Vicky angerufen: Was für eine tolle Idee!", sagt Dusty Springfield. Aus der tollen Idee wird ein magischer Moment der Popgeschichte und ein Nummer-Zwei-Hit in England und den USA: "What have I done to deserve this?"
    "Dann habe ich ihr 'In Private' vorgespielt und sie sagte, ja, das will ich singen! Und ich sah in ihrem Gesicht, dass sie dafür bereit war", sagt Neil Tennant von den Pet Shop Boys.
    Über Nacht zur Schwulen-Ikone
    "In Private”, ein Song, den die Pet Shop Boys ihr buchstäblich auf den Leib geschrieben haben. Und für den Dusty Springfield jetzt, 1989 bereit ist. Das Lied erzählt von der Diskrepanz zwischen Privatleben und öffentlichem Auftritt, eine Diskrepanz, unter der Dusty Springfield vor allem zu ihrer Glanzzeit in den 60ern leidet. Sie liebt Frauen und muss das heimlich tun. So wird Dusty zu einer Schwulen-Ikone, bewundert und verehrt von jüngeren Männern wie Neil Tennant von den Pet Shop. Oder vom britischen Pop-Historiker Jon Savage:
    "Dusty war lesbisch, niemand wusste das und niemand sprach darüber, über Homosexualität in der Popmusik wurde überhaupt nicht gesprochen, Schwulsein war in England bis 1967 verboten, Homosexualität unter Frauen war nicht verboten, man hielt sie schlicht für nicht existent.
    Also suchten Lesben und Schwule förmlich nach Zeichen, nach Indizien des Anderen, nach einer Abweichung von der Heteronorm. Und bei Dusty Springfield wurden sie fündig. Dusty schien zu ihnen zu sprechen, ohne dass man Genaueres wusste. Aber so funktioniert Popmusik: Zu viel Eindeutigkeit tötet manchmal die Illusion und den Traum", sagt Savage.
    Deutliche Hinweise verpackt in Noten
    Auf der Neuauflage des "Reputation"-Albums finden sich deutliche Hinweise auf Dustys sexuelle Orientierung, darunter der Song "Born this way". Ich bin so geboren - ein Coming-out-Song. Die Neuausgabe von "Reputation" erzählt jetzt noch mal eins der großen Pop-Märchen des 20.Jahrhunderts: Wie zwei junge, schwule Männer einer nicht mehr ganz jungen, lesbischen Frau zu einem triumphalen Comeback verhelfen.