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DVD-Boxen als Geschenktipps
Opulente Oper und ein eindringliches Porträt

2011 feierte das Bolshoi-Theater in Moskau seine Wiedereröffnung mit Michail Glinkas Oper „Rusland und Ludmila“. Der Mitschnitt der Aufführung ist jetzt auch zu Hause in Bild und Ton zu erleben – auf einer von zwei DVD-Produktionen, die wir Ihnen als Geschenktipps empfehlen.

Von Marcus Stäbler | 07.12.2016
    Blick auf die Eingangsfront des Moskauer Bolschoi-Theaters
    2011 mit Glinkas "Ruslan und Ludmilla" wieder eingeweiht: das Moskauer Bolschoi-Theater (picture alliance / dpa / Foto: Britta Pedersen)
    Musik: Glinka, Ruslan und Ludmilla, 1. Akt
    Ein prunkvoller Saal mit himmelblauer Decke und reich verzierten Wänden. An festlich gedeckten Tischen sitzt der russische Adel, in Kostümen wie aus dem Bilderbuch: Die Damen tragen diamantenbesetzte Kleider und kunstvollen Kopfschmuck, die Herren goldgeschmückte Pelzmützen und fürstliche Gewänder. Regisseur Dmitri Tcherniakov zelebriert das Hochzeitsfest von Ruslan und Ludmila zu Beginn von Glinkas gleichnamiger Oper in opulenten Farben; er beschwört die Zeit des alten Russland. Aber nicht für lange Zeit. Nach und nach dekonstruiert Tcherniakov das märchenhafte Tableau, etwa indem er Kameramänner auftreten lässt, die das Geschehen auf eine große Leinwand übertragen. Das vermeintlich historische Fest wird als Kostümparty entlarvt – und als die Braut entführt wird, kippt die ausgelassene Stimmung um.
    Musik: Glinka, Ruslan und Ludmilla
    Die Handlung der fünfaktigen Märchenoper Ruslan und Ludmila sei "dramatisch etwas lose" bekennt Dmitri Tcherniakov im Interview auf der DVD – doch mit Fantasie, stimmigen Ideen und einer klugen Personenführung hat er die Fäden zu einer über weite Strecken fesselnden Aufführung zusammen gebunden.
    Albtraum oder Drogenrausch?
    Nach der Entführung von Ludmila schickt er sie, ihren Bräutigam Ruslan und dessen Konkurrenten auf eine Reise, die durch eine düstere, mit Leichen übersäte Endzeithöhle, durch ein Luxusbordell und eine Art Klinik schließlich zurück in den Festsaal führt. Dort wird Ludmila mithilfe einer Injektion zurück ins Bewusstsein geholt. Vielleicht war alles nur ein Albtraum oder ein Drogenrausch?
    Musik: Glinka, Ruslan und Ludmilla
    Dmitri Tcherniakov, nicht umsonst einer der begehrtesten Regisseure der Gegenwart, führt ein Ensemble aus starken Sängerdarstellern, die unter Leitung von Vladimir Jurowski auch musikalisch zu großer Form auflaufen: Albina Shagimuratova porträtiert die Ludmila mit lyrischer Leuchtkraft, Mikhail Petrenko gibt den Ruslan mit warmem und zugleich kernigem Bariton.
    Musik: Glinka, Ruslan und Ludmilla
    Michail Glinkas "Ruslan und Ludmila" verbindet romantische Farben mit eingängigen, oft volksliedhaft schlichten Melodien. Man muss kein ausgefuchster Opernkenner sein, um die Musik und die farbige Produktion aus dem Bolshoi-Theater zu mögen. Deshalb ist die Doppel-DVD des Labels BelAir mit einer Spielzeit von gut drei Stunden eine schöne Geschenkidee.
    Musik: Glinka, Ruslan und Ludmilla
    In eine ganz andere Welt führt eine Box mit dem Titel "Otto Klemperer’s Journey through his times", die kürzlich bei Arthaus erschienen ist.
    Musik: Beethoven, Sinfonie Nr. 9
    Die Box umfasst eine Audio-CD und zwei Video-DVDs mit Filmen über Otto Klemperer – einer dokumentiert das letzte Konzert, das Klemperer im September 1971 geleitet hat, im anderen blickt der damals 88-Jährige Dirigent auf die wichtigsten Stationen seines Lebens zurück: Auf die Begegnung mit Gustav Mahler, der ihn entscheidend gefördert hat, auf die Aufbruchsstimmung der Weimarer Republik und seine Flucht aus Nazi-Deutschland im Jahr 1933, als der Berliner Generalintendant Heinz Tietjen ihn fallen ließ, weil er Jude war:
    "Im Februar war der Reichstagsbrand. Und ich wusste nicht was tun sollte und ging zu Tietjen und fragte: was ist denn mit der neunten Sinfonie? Ich hatte noch ein Konzert ausstehen, und er sagte: nein, das muss jemand anderes dirigieren. Und ich sagte, was, warum? Das gibt einen Skandal."
    Minimum an Bewegung
    So unsentimental sich Otto Klemperer an mitunter dramatische Momente erinnert, so nüchtern und klar wirkte auch seine Körpersprache beim Dirigieren. Aber der Eindruck täuscht, betont der Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt:
    "Klemperer gab mit seinem Minimum an Bewegung das Bild eines anti-emotionellen Musikers, aber was herauskam, war das genaue Gegenteil."
    In seiner schon 1973 erstmals ausgestrahlten und zweimal überarbeiteten Dokumentation über Otto Klemperer nutzt der Regisseur Philo Bregstein Ausschnitte aus Interviews, Konzerten und Proben mit dem Dirigenten selbst, aber auch Äußerungen von Zeitzeugen wie etwa Klemperers Tochter Lotte, dem Philosophen Ernst Bloch oder dem Komponisten Paul Dessau, den eine jahrzehntelange Freundschaft mit Klemperer verband:
    "Klemperers Interpretationen hatten immer etwas Kühnes, Anti-Kulinarisches insofern als der Hörer sich nicht in seinen Sessel zurück lehnen konnte und träumen, sondern das Publikum musste tatsächlich immer mitdenken und mitschaffen..."
    Der Regisseur Philo Bregstein verdichtet das umfangreiche Material zu einem vielschichtigen Porträtfilm. Noch im Alter von über 80 Jahren verströmte Otto Klemperer mit seinen Gesten und knappen Ansagen eine geistige Klarheit und eine Gestaltungsenergie, die auch in seinem letzten Konzert mit Werken von Beethoven und Brahms auf DVD und CD zu erleben ist.
    Musik: Brahms, 3. Sinfonie
    Michail Glinka: Ruslan und Ludmila
    Albina Shigamuratova (Ludmila), Michail Petrenko (Ruslan), Elena Zaremba (Naina), Charles Workman (Finn/Bayan), u.a., Orchester und Chor des Bolshoi Theaters, Vladimir Jurowski, Regie: Dmitri Tcherniakov
    BelAir 2 DVD BAC 120 (197‘ plus 35‘ Bonusmaterial)
    Otto Klemperer’s Journey through his times und The Last Concert
    Dokumentarfilme von Philo Bregstein (Box mit zwei DVDs, einer CD und einem Buch)
    Arthaus 2 DVD 109289 (174‘ plus 35‘ Bonusmaterial)