Freitag, 19. April 2024

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Early Works - Der Fotograf Joel Meyerowitz in Köln

Rainer B. Schossig: Er gilt als einer der Vertreter der New Yorker "street photography", jetzt ist er erstmals in Deutschland zu sehen, der US-amerikanische Fotograf Joel Meyerowitz. Das Kölner Zentrum für zeitgenössische Fotografie präsentiert zum ersten Mal eine Werksauswahl dieses toughen Fotografen. Frage an meinen Kollegen Stefan Koldehoff, zunächst einmal biografisch, Joel Meyerowitz, Jahrgang 1938, der ist ja nicht mehr so ganz jung, passt der überhaupt noch unter das Etikett zeitgenössisch oder könnte man ihn nicht mittlerweile besser unter die Väter einreihen?

Rainer B. Schossig im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 16.12.2004
    Stefan Koldehoff: Er fotografiert nach wie vor, aber er ist einer der großen Fotoklassiker der Vereinigten Staaten. 1938 geboren, Sie haben es eben selbst schon gesagt, war er ursprünglich auf der anderen Seite der Fotografie, nämlich auf der Seite, in der die Fotografie verarbeitet wurde, in den großen Magazinen. Er war Art Director bei einem großen Magazin in New York und eines Tages dann beauftragt, den damals schon legendären Fotografen Robert Frank bei einem Auftrag zu begleiten. Und er hat mir erzählt, dass er von den Arbeiten des Robert Frank so fasziniert gewesen sei an diesem Tag, dass er noch am selben Tag zu seinem Chef gegangen sei, gekündigt habe, weil für ihn festgestanden habe, er wolle jetzt auch Fotograf werden. Und das, was ihn an Robert Frank so fasziniert hat, das ist auch das, was die Arbeit von Meyerowitz selbst ausmacht. Es ist das vollkommen Unstatische dieser Bilder. Also man stellt sich ja eigentlich vor, ein Foto entsteht, indem, wie wir das alle aus der Schule kennen, auf der einen Seite der Fotograf steht, starr mit seiner Kamera, und auf der anderen Seite derjenige, den er fotografieren will ebenso starr. Das Leben auf der Straße aber, das ihn so fasziniert hat, deswegen "street photography", läuft ja ganz anders ab. Alles ist in Bewegung, Autos fahren, Menschen gehen spazieren. Und genauso oder genau dem hat sich Meyerowitz dann angepasst, indem er sich auch ständig bewegt hat. Er ist nie still stehen geblieben, sondern hat sich immer mit der Masse bewegt, und irgendwann einfach abgedrückt und das eingefroren, was er da gesehen hat.

    Schossig: Umso erstaunlicher, dass man ja seine Bilder mit denen von Hopper vergleicht oder sogar von Matisse. Denn bei Hopper ja gerade sind es ja gleichsam Filmstills die er macht, während ja nun hier haben Sie gerade das Gegenteil.

    Koldehoff: Ich glaube der Vergleich kommt vor allen Dingen daher, dass Meyerowitz ein ungeheueres Gespür - und da ähnelt er Edward Hopper, der ja zur Zeit auch in einer großen Ausstellung in Köln zu sehen ist -, ein ungeheures Gespür für Licht und für Form und für Raumtiefe hat. Auch das ist ja was, was in der Fotografie sehr schwierig herzustellen ist in diesem Bruchteil einer Sekunde, in dem der Verschluss der Kamera auf und wieder zu geht, da tatsächlich darauf zu achten, wie das Licht steht, wie die Menschen sich bewegen.

    Meyerowitz hat noch einen zweiten Ehrgeiz, er bemüht sich, das, was das Eigentliche, das eigentlich Geschehende ist, also das Paar, das sich gerade küsst, oder der Mensch, der gerade stolpert, nicht ins Bildzentrum zu rücken, sondern immer ein wenig am Bildrand zu haben, und das zeigt schon oder setzt schon eine sehr große Meisterschaft voraus, das alles in diesen Bruchteilen einer Sekunde im Blick zu haben. Also der Vergleich, würde ich sagen, stimmt eher, was Licht und Raumgefühl angeht, nicht unbedingt, was die Motive betrifft.

    Schossig: Licht, Raum, gehört die Farbe dazu. In den 70er Jahren kam die Farbe ins Bild der Fotografen, es waren die technischen Möglichkeiten da. Dennoch war es eine der Zeit des unsicheren Geschmacks, finde ich, auch natürlich der noch unsichern Mittel. Wie geht er damit um, wie ist er damit umgegangen?

    Koldehoff: Meyerowitz gilt neben William Eggleston als einer der Väter der modernen Farbfotografie. Er hat, als ich ihn sprach, erzählt, dass er ganz ursprünglich mit der Farbe angefangen hatte, mit winzig kleinen Amateurkameras in Farbe zu fotografieren. Dann aber zum einen festgestellt hat, dass er mit der technischen Qualität des Filmmaterials nicht zufrieden war. Auf der anderen Seite sagte er, in den 60er Jahren, als es noch gar keinen Markt für die Fotografie gab - das muss man sich auch immer klar machen, das waren eigentlich alles Pioniere, die damals ihren Lebensunterhalt mit der Fotografie bestreiten wollten -, da war einfach Farbe nicht gefragt. Da stand alles auf Schwarz-Weiß, also habe ich auch Schwarz-Weiß gemacht. Und irgendwann hat er dann aber gemerkt, dass das nicht das ist, was er möchte, sondern dass ihm die Farbe eben so wichtig ist, dass die Raumtiefe über Lichtwirkungen nur zu erzeugen ist und dass Licht eben auch die Farbigkeit sehr häufig voraussetzt. Und dann hat er gemeinsam mit großen Fotofirmen gearbeitet und mit denen gemeinsam auch Filme entwickelt, die dann seinen Ansprüchen entsprachen, und so gilt er denn heute als einer der Väter der Farbfotografie.

    Schossig: Joel Meyerowitz ist in einer Beziehung sehr zeitgenössisch, er war einer der ersten oder überhaupt der erste, der das Terrain von Ground Zero nach dem Anschlag betreten durfte mit der Kamera. Was hat er daraus gemacht?

    Koldehoff: Der Einzige ist er auch gewesen. Er hat erzählt, dass die Polizei, weil das natürlich ein Ort des Verbrechens für die Behörden ist, sofort alles rigoros abgesperrt hat. Er selbst, der er seine Wohnung in unmittelbarer Nähe zum World Trade Center hatte, hatte aber das Bedürfnis, irgendetwas tun zu müssen, und er hat gesagt, Blut zu spenden machte keinen Sinn, weil es keine Überlebenden gab. Brötchen zu schmieren für die Feuerwehrleute, das ist nicht mein Ding gewesen, also musste ich das tun, was ich konnte, ich musste dokumentieren. Er hat sich dann Zugangsausweise zunächst mal gefälscht, später erst die offiziellen bekommen und hat acht Monate lang auf dieser Baustelle, auf dieser gigantischen Schutthalde, auf diesem großen Friedhof fotografiert, als einziger. Hat übrigens bewusst nicht das fotografiert, was er auch hätte fotografieren können, nämlich die Leichen, die dort natürlich auch gelegen haben, sondern tatsächlich "nur" in Anführungsstrichen die Trümmer. Diese Bilder, rund 8000 Aufnahmen, die in den acht Monaten entstanden sind, um das finanzieren zu können, musste er, wie er erzählte, sein Appartement verkaufen, die werden jetzt im kommenden Jahr in einem Buch veröffentlicht und die originalen Abzüge sind an die New York Public Library gegangen.

    Schossig: Stefan Koldehoff über Joel Meyerowitz dessen bewegte Bilder jetzt im Kölner Zentrum für zeitgenössische Fotografie gezeigt werden.