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Ebola-Epidemie
Misstrauen statt Zusammenhalt

Ebola habe das öffentliche Leben in den Dörfern ausgelöscht, berichtet Shecku Mansaray aus Sierra Leone. Der NGO-Mitarbeiter war gemeinsam mit zwei Kollegen auf Einladung des Evangelischen Entwicklungsdienstes nach Berlin gekommen. Die Angst vor Ansteckung zerstöre die Solidarität - und jetzt drohe auch noch Hunger.

Von Michael Castritius | 02.10.2014
    Ebola-Flüchtlinge in Berlin
    Die NGO-Mitarbeiter Sheku Kamara, Lancedell Mathews und Shecku Mansaray (v.l.) aus Sierra Leone und Liberia waren ursprünglich von "Brot für die Welt" zum Kampagnen-Thema Mangelernährung, "Satt ist nicht genug", nach Berlin eingeladen worden. (Deutschlandradio / Michael Castritius)
    Die Ebola-Katastrophe ist weit mehr als ein Problem der Ärzte, der Vorsorge, der Hygiene. Shecku Mansaray aus Sierra Leone umreißt die Dimension gleich zu Gesprächsbeginn in zwölf niederschmetternden Sekunden.
    Der Ausbruch habe ihr Leben dramatisch verändert: den Alltag der Kinder, der Erwachsenen, der Lebenden und selbst der Toten. Mit diesen wenigen Worten schon hat Shecku Mansaray das Allumfassende der Epidemie vorgegeben: von der Geburt bis zum Tod. Vom Baby, das die Mutter nicht mehr anfassen darf, bis zum Leichnam, der nicht nach der religiösen Tradition bestattet wird.
    Mansaray und sein Kollege Sheku Kamara arbeiten in Sierra Leone für eine Partner-Nicht-Regierungsorganisation des deutschen Evangelischen Entwicklungsdienstes. Zusammen mit Lancedell Mathews aus Liberia waren sie ursprünglich zum Kampagnen-Thema Mangelernährung, "Satt ist nicht genug", nach Berlin eingeladen worden. Aber durch Ebola, erklärt Sheku Kamara, werde die schlechte Lage noch schlimmer. Denn die Epidemie brach im Frühjahr aus, deshalb konnte nicht gesät werden:
    Ebola hat die Landwirtschaft zerstört
    "Nur wenige Kleinbauern haben noch etwas gepflanzt, aber als die Lage eskalierte, konnten sie die Felder nicht hegen. Etwas Getreide ist vielleicht da, aber von Unkraut überwuchert, die Äcker sind aufgegeben. Wir können nichts ernten und werden völlig abhängig von Importen sein. Die Ernährungssicherheit wird problematisch, schon normalerweise haben wir kaum genug für alle. Jetzt machen wir uns große Sorgen, was nach Ebola kommt."
    Wieder ist es Shecku Mansaray, der diese Sorgen in einem Satz konzentriert. Ein Opfer des Krieges gegen Ebola sei die Landwirtschaft, deshalb erwartet er in den nächsten Monaten viel Hunger.
    Schon heute sei das öffentliche Leben in den Dörfern erloschen. Die Schulen sind seit Juli zu, die Kinder dürfen aus Angst vor Ansteckung nicht draußen spielen. Sie sind eingesperrt - wie die Erwachsenen auch. Und das gefährde die Familien, meint Sheku Kamara:
    Keine sozialen und familiären Aktivitäten
    "Wenn die Leute Freunde, Angehörige oder Nachbardörfer besuchen können, am Leben anderer teilhaben, vermindert das ihren Stress, sie können normal miteinander umgehen. Jetzt gibt es - anders als in den Städten - überhaupt keine sozialen Aktivitäten mehr. Nicht mal familiäre: Hochzeiten, Taufen oder so. Beerdigungen nennen wir sonst die 'Trommel', die die Angehörigen zusammenruft, um Familien-Angelegenheiten zu diskutieren. All das fällt weg, stattdessen sind die Menschen in ihren Hütten zusammengepfercht. Das erzeugt Stress, Spannungen, immer mehr Konflikte brechen auf – mit traumatischen Auswirkungen, nicht nur auf Kinder."
    Quarantäne macht Angst, sagt er, jeder sehe jeden als Ebola-Verdächtigen, Misstrauen statt Zusammenhalt. Desinfektionsmittel müsse man immer dabei haben, schildert Shecku Mansaray den Alltag:
    3.458 Ebola-Tote
    "Vor jedem Büro, jedem Laden, den du betreten willst, musst du Hände waschen mit Chlor und Wasser. Händeschütteln oder berühren geht nicht. Öffentlicher Nahverkehr fällt aus, nicht mal Motorrad-Taxis kannst du benutzen: Der Helm könnte verseucht sein. Bei Überlandfahrten musst du alle 50 Kilometer an Checkpoints zum Hände waschen anhalten, das wird von Polizisten und Soldaten überwacht."
    Extrem sei das Schicksal vieler Waisenkinder, die ihre Eltern durch Ebola verloren haben, ergänzt Lancedell Mathews aus Liberia. Viele würden stigmatisiert:
    "Manche suchen individuelle Lösungen, adoptieren Kinder, einige Gemeinden planen Notunterkünfte. Aber die meisten Waisen landen auf der Straße, obdachlos."
    3.458 Menschen sind in Liberia an Ebola gestorben, 1.830 in Sierra Leone. Die Zahlen der indirekten Todesopfer aber sind noch höher, sagt Mathews. Wer andere Krankheiten hat, geht aus Angst, sich zu infizieren, nicht ins Hospital - oder wird dort wegen Überfüllung nicht aufgenommen. Pflegepersonal ist geflüchtet, Ärzte sind gestorben.
    Freiwillige Helfer werden zuhause nicht mehr reingelassen, übernachten auf den Stationen. Die allgegenwärtige Angst vor Ansteckung frisst die Solidarität. Da sieht Lancedell Mathews vor allem einen Fluchtweg: den nach vorne, in die Vorsorge, in die Eindämmung der Epidemie. Er habe keine andere Wahl als optimistisch zu sein:
    "Das ist doch die einzige Option, wir müssen stark genug sein, Ebola zu stoppen. Sieh mal: Diese Krankheit ist nicht heilbar, sie tötet. Der einzige Optimismus, der bleibt, ist: die Ausbreitung verhindern, Dorf für Dorf erobern. Nur so bringen wir das zu einem Ende."