Souverän im Autoteile-Chat = Medienkompetenz?

05.07.2008
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Kinder, die im Internet surfen, verfünffacht.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Kinder, die im Internet surfen, verfünffacht. Doch welche Kids im Netz unterwegs sind, hängt sehr stark davon ab, wie viel Geld ihre Eltern haben. Je niedriger das Nettoeinkommen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Computer mit Internetanschluss existiert. 38 Prozent aller Haushalte mit einem Nettoeinkommen unter 1.000 Euro sind online, bei den Haushalten mit über 3.000 Euro Gehalt sind es knapp 84 Prozent.
Doch dass die digitale Medienwelt in arm und reich geteilt ist, dieses Klischee trifft nun auch wieder nicht zu, denn ganz so trennscharf, wie das landläufig angenommen wird, verläuft die Grenze nicht, meint Nadia Kutscher, Professorin für Soziale Arbeit an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen. „Wenn wir uns ökonomische Benachteiligung anschauen, hat die natürlich starke Auswirkung auf die Ausstattungsmöglichkeiten einer Familie, wie viel man überhaupt investieren kann in Medien. Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Reihe von Berichten, dass so genannte benachteiligte Haushalte stark ausgestattet sind mit Technik und offensichtlich die Familien auch in so was rein investieren.“ (mp3)
Einkommensschwach heißt also nicht automatisch, dass es keine Medien zu Hause gibt. Überdurchschnittlich oft werden hier allerdings DVD-Player und Spielekonsolen angeschafft. Dementsprechend ausgeprägt ist die Medienkompetenz der hier lebenden Kinder. Sie ist vor allem auf Spaß, Unterhaltung und Zeitvertreib ausgerichtet. Auch der Computer wird auf spezielle Weise genutzt - zum Beispiel für Autoteile-Chats, wie Nadia Kutscher erfahren hat. „In Interviews mit Migrantenjugendlichen ist uns genannt worden, Autoteile-Chats ist für mich wichtig, da geh ich hin, tausche Wissen aus mit anderen." (mp3)
Gesellschaftlich gefragt (in Schule und Beruf) ist das natürlich nicht. Gefragt und gesellschaftlich anerkannt sind ein kritischer Umgang mit Informationen und die Fähigkeit, sich leistungsorientiert ein bestimmtes Wissen aneignen zu können. Von ungleichen Chancen in der Mediennutzung spricht deshalb das Deutsche Kinderhilfswerk und hat in der vergangenen Woche eine Tagung initiiert, die vor allem einer Frage nachging: Wie kann Chancengleichheit für einkommensschwache Familien hergestellt werden? Anders gefragt: Wie lassen sich diese unterschiedlichen Kompetenzwelten miteinander verbinden? Ein erster Schritt ist Akzeptanz, meint Medienpädagogin Kutscher. "Meistens machen wir den Fehler, zu sagen, es gibt eine richtige kompetente Nutzung und die müssen wir denen beibringen. Damit erreichen wir die Zielgruppe nicht, die wir immer so schwer erreichen. Müssen ihre Lebenswelten anerkennen und wertschätzen." (mp3)
Dafür sind neue medienpädagogische Ansätze nötig, mit denen die Kids erst mal so akzeptiert werden, wie sie sind (- auch wenn´s vielleicht schwer fällt). Darin war man sich auf der Tagung einig und machte sich gegenseitig Mut: Man solle nicht aufgeben in dem Bemühen, auch die benachteiligten Zielgruppen zu erreichen – vor allem über Kindergärten und Schulen, weil man dort einfach an die Kinder rankommt. Als einen Königsweg bezeichnete Elke Stolzenburg vom Institut für Medienpädagogik in München aktive Medienarbeit – das heißt, mit Kindern und Jugendlichen kontinuierlich Medien zu produzieren. Auf diese Weise würden die Kids auch die Fähigkeit zu erwerben, medienkritisch zu sein. Allerdings würde aktive Medienarbeit an den Schulen immer noch viel zu wenig praktiziert. Das Problem seien aber nicht die Lehrer, sondern das Schulsystem, so Stolzenburg. „Wenn Schule so ist, dass Wissen eingetrichtert wird, kann ich niemandem vorwerfen, dass er einfach nur einen wissensvermittelnden Unterricht macht. Und das ist ja auch das, weshalb Kinder bei der Medienarbeit glauben, sie haben nichts gelernt, weil sie nicht das Gefühl haben, es wurde ihnen Wissen vermittelt. Sie haben zwar hinterher viel Wissen, aber das Gefühl ist ein anderes, weil es nicht läuft wie in Schule." Diese Art der Wissensvermittlung ließe sich aber nur sehr schwer ins Schulsystem integrieren. /vli