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Ebola in Westafrika
"Das ist eine Herkulesaufgabe"

Nach einem vorübergehenden Rückgang steigt die Zahl der Ebola-Neuinfektionen momentan wieder an. Besonders das Flächenland Guinea sei betroffen, sagte Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen, im DLF. Deshalb sei es unabdingbar, die Bemühungen weiter aufrecht zu erhalten - und Lehren für künftige Epidemien zu ziehen.

Tankred Stöbe im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.04.2015
    Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen
    Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen (picture alliance / dpa)
    Zu den Auswirkungen der seit zwei Jahren andauernden Epidemie sagte Stöbe, die ohnehin schwachen Gesundheitssysteme der betroffenen westafrikanischen Länder lägen noch mehr am Boden. In Guinea, Sierra Leone und Liberia seien mehr als 800 Gesundheitsmitarbeiter mit Ebola infiziert. Das führe auch dazu, dass die Versorgung von Malariapatienten nicht ausreichend funktioniere und es bei anderen "vergessenen Krankheiten" steigende Infektionszahlen gebe.
    Als Lehren aus der Krise forderte Stöbe, die epidemiologischen Überwachungssysteme weiter zu verbessern. Mit Blick auf Guinea zeige sich, dass die Aufklärungsarbeit immer noch nicht ausreichend greife: Infizierte würden weiter versteckt und die traditionellen Waschungen an Toten immer noch vorgenommen, wodurch es zu Neuansteckungen käme. In Zusammenarbeit mit der WHO müsse es auch darum gehen, die Gesundheitssysteme in diesen armen Ländern zu verbessern. "Das ist eine Herkulesaufgabe", betonte Stöbe.
    70 bis 80 Neuinfektionen pro Woche
    Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte am Dienstag auf seiner Reise nach Ghana und Liberia eingestanden, bei der Ebola-Hilfe sei einiges schief gelaufen. Gemeinsam mit Walter Lindner, Ebola-Sonderbeauftragter der Bundesregierung und Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wollte er sich einen Eindruck von der Lage vor Ort verschaffen.
    Zur Zeit gibt es noch 70 bis 80 Neuinfektionen pro Woche, vor allem in Guinea und Sierra Leone. In Liberia ist zuletzt keine Neuinfektion mehr registriert worden. Die drei betroffenen Länder selbst hatten gehofft, schon im April Ebola-frei zu sein.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Telefon ist Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, der Organisation also, die vor einem Jahr als eine der ersten überhaupt Alarm geschlagen hat. Guten Morgen!
    Tankret Stöbe: Schönen guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Wie bedrohlich sehen Sie die Lage in Westafrika jetzt noch?
    Stöbe: Wir haben bis Ende Januar ja rückläufige Zahlen gesehen, seit Februar sind sie wieder angestiegen, jetzt sehen wir so einen, ja, flackernden Verlauf. Wir sehen, dass vor allem in Guinea und Sierra Leone eben noch nicht die Zahlen bei null sind. Und, ja, wir wissen halt, glaube ich, eines aus Ebola, aus dem vergangenen Jahr: Es ist unkontrollierbar, es ist grausam, es ist tödlich. Und insofern müssen alle Bemühungen, die es bisher gab, noch anhalten, bis tatsächlich 42 Tage keine Neuinfektion mehr auftritt – und da sind wir noch nicht.
    Schulz: Was ist die Ursache für diesen, wie Sie sagen, flackernden Verlauf jetzt in der jüngsten Vergangenheit?
    Stöbe: Ja, wir sehen, dass alle Mechanismen, die Ebola verbreiten helfen - das heißt, diese Beerdigungsrituale, wo die Menschen mit bloßen Fingern gewaschen werden und die Toten sind ja besonders infektiös - das passiert immer noch, vor allem in Guinea. Die Aufklärung ist noch nicht flächendeckend da, die Menschen werden, auch die infizierten Menschen werden auch immer noch versteckt – also all das, was wir von Anfang an gesehen haben, was diese Ausbreitung begünstigt hat. Auch das findet noch statt, nicht mehr natürlich in dem Maße wie noch vor einem halben Jahr, aber eben immer noch. Und das zeigt, dass nach über einem Jahr alle epidemiologischen Sicherheitssysteme, die eigentlich greifen müssten, noch nicht greifen. Und das besorgt uns natürlich nach so langer Zeit.
    Schulz: Das heißt, der Kampf gegen die Epidemie, der läuft jetzt immer noch nicht in wirklich guten Bahnen?
    Stöbe: Ja, er läuft eben immer noch nicht in den guten Bahnen, wie es eigentlich sein müsste, und es gelang ja in den, Sie hatten es erwähnt, in den vorherigen Ebola-Ausbrüchen: Die waren sehr regional begrenzt. Da ging es, nach wenigen Wochen und Monaten war Ebola tatsächlich besiegt – und in Westafrika eben immer noch nicht. Natürlich gibt es viele andere Gründe: die sehr schwachen Gesundheitssysteme, die ja jetzt zusammengebrochen sind, es haben sich allein über 800 Gesundheitsmitarbeiter in den drei Ländern an Ebola infiziert, das heißt, eine deutliche Schwächung eines ohnehin schon schwachen Gesundheitssystems, und das fördert natürlich auch die Ausbreitung beziehungsweise hemmt jetzt eine schnelle Eindämmung.
    Kontaktpersonen kontaktieren, aufklären, behandeln
    Schulz: Dann sagen Sie uns jetzt noch mal konkret, was passieren muss, damit die Gefahr endgültig eingedämmt wird oder werden kann?
    Stöbe: Ja, wir glauben, am wichtigsten ist tatsächlich das epidemiologische Überwachungssystem, dass das greift, also dass die Aufklärung weitergeht, dass Kontaktpersonen schnell herausgefunden werden. Es ist eben immer noch so, dass die Hälfe aller Neuinfektionen zum Beispiel in Guinea, die stehen auf keiner Kontaktliste, und eigentlich müssten jetzt alle Neuinfektionen zumindest so bekannt sein, dass sie schon mal mit einem Ebola-Patienten in Kontakt gewesen sind. Also das muss dann weiter passieren, dass alle Kontaktpersonen kontaktiert werden, aufgeklärt werden, schnell einer Behandlung zugeführt werden, wenn sie denn Symptome entwickeln. Und das ist natürlich in dem großen Flächenland Guinea am schwierigsten. Aber, ja, wir hoffen natürlich in den nächsten Wochen und Monaten, dass es da tatsächlich auch zum Erliegen von Ebola kommt wie schon in Liberia. Da sind wir am weitesten. Aber solange das nicht der Fall ist, können wir nicht entwarnen.
    Schulz: Jetzt gibt es, im Rückblick gesprochen, von vielen Seiten das Eingeständnis, wir haben zu spät reagiert, wir haben versagt, also sehr große Selbstkritik. Minister Gröhe kündigt jetzt auch an, dass es eine Aufarbeitung geben wird. Glauben Sie daran?
    Stöbe: Wir glauben zumindest, dass es notwendig ist. Wir tun es ja auch intern. Für Ärzte ohne Grenzen gucken wir sehr kritisch: Was hätten auch wir besser machen können? Wie hätten wir noch schneller und besser reagieren müssen? Das Gleiche, finden wir, muss überall passieren, natürlich auch von der deutschen Regierung, weil so was nicht wieder passieren darf. Wir sind in einem globalen Dorf, wir können eigentlich sehr viel schneller und besser reagieren, und das muss natürlich für die jetzige Ebola-Epidemie, aber eben auch für zukünftige Epidemien muss das schneller und besser gehen. Auf der anderen Seite gibt es weitere Aufgaben: Es gibt immer noch keinen fertigen Impfstoff, es gibt kein Medikament, was verfügbar ist, und die Gesundheitssysteme dieser drei Länder liegen darnieder, die müssen wieder aufgebaut werden – also Aufarbeitung, aber natürlich auch nicht vergessen, was jetzt noch zu tun ist.
    "Weltgesundheitsorganisation war sehr spät dran"
    Schulz: Glauben Sie denn, dass es diese Aufarbeitung geben wird über das Bekenntnis hinaus, wir waren zu spät dran oder es ist nicht schnell genug gelaufen?
    Stöbe: Ja, gut, da will ich jetzt nicht zu pessimistisch sein. Ich hoffe, dass, wenn das so geäußert wird, dass das auch passiert. Aber natürlich wird es dann so sein, dass auch die Weltgesundheitsorganisation, die ja sehr spät da dran war und das ja eigentlich ihre Hauptaufgabe ist, gerade bei Epidemien früh zu warnen und früh einzugreifen, dass dort tatsächlich das auch passiert, diese kritische Aufarbeitung, weil wir sehen auch: Es wird Ebola, aber es wird auch andere, vergessene Krankheiten geben, die sich sehr schnell und radikal ausdehnen können. Also wir müssen daraus lernen, weil die globale Gesundheit wird das ganz zwingend erfordern.
    Schulz: Das wollte ich gerade fragen. Der nächste Fall, der wird dann vielleicht nicht Ebola betreffen, sondern eine andere Krankheit, die dann vielleicht auch wieder verkannt ist. Sehen Sie die internationale Gemeinschaft oder auch die WHO denn jetzt besser gerüstet?
    Stöbe: Ja, da bin ich jetzt nicht ganz so optimistisch, und wir dürfen auch nicht vergessen, dass es ja auch viele, ja, längst bekannte Krankheiten gibt wie Malaria, und auch da gibt es nicht gute Zahlen im Moment. Aber wir wissen, dass in diesen drei westafrikanischen Ländern natürlich im Moment viele Menschen an Malaria sterben, weil die Gesundheitssysteme darniederliegen. Also lange bekannte Krankheiten sind eben auch in vielen Gegenden dieser Welt immer noch nicht so gut beherrscht, dass da nicht tausende Menschen jährlich von sterben. Also das heißt, natürlich muss es gelingen, die Gesundheitssysteme in diesen armen Ländern zu verbessern und das ist natürlich eine Herkulesaufgabe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.