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Hüftprothesen
Kurzer Schaft, wenig Reibung

2016 wurden in Deutschland rund 233.000 künstliche Hüftgelenke eingesetzt. Mittlerweile geht es dabei um einen Standardeingriff mit guten Ergebnissen. Doch es gibt zwei Patientengruppen, auf die die Chirurgen besonderes Augenmerk richten müssen - sehr alte Menschen und relativ junge.

Von Frank Grotelüschen | 05.12.2017
    Ein Teil einer Hüftprothese, der durch ein scharfes Gewinde direkt in den Knochen geschraubt werden kann, ist am 19.06.2007 bei der aap Implantate AG in Berlin so zu sehen, dass die Verankerung in der Hüfte deutlich wird.
    Teil einer Hüftprothese (pictrue alliance / dpa / Steffen Kugler)
    Ein künstliches Hüftgelenk – das brauchen doch nur Senioren. Wer das denkt, liegt falsch. In Deutschland wird fast jede sechste Hüftprothese Menschen implantiert, die jünger sind als 60. Rheuma kann die Ursache sein, Fettleibigkeit oder Verschleiß durch Spitzensport. Braucht so ein junger Patient eine künstliche Hüfte, ist vor allem eines wichtig, sagt Prof. Karl-Dieter Heller, Chefarzt der Orthopädischen Klinik in Braunschweig.
    "Was man beachten muss, ist, dass dieser Patient, wenn er zwischen 40 und 60 ist, noch viele Jahre zu leben hat und bei einer mittleren Standzeit einer Hüftprothese von 15 bis 20 Jahren noch mindestens einen Wechsel erlebt."
    Ein künstliches Hüftgelenk hält nur 15-20 Jahre
    Ein künstliches Hüftgelenk hält nicht ewig, im Schnitt 15, vielleicht 20 Jahre. Und so kann es sein, dass jemand, der mit 50 eine Prothese erhält, mit 65 und dann mit 80 wieder unters Messer muss, um ein neues Implantat zu bekommen. Das Problem dabei: Bei jedem Wechsel muss mehr Knochen geopfert werden, und von Mal zu Mal wird es schwieriger, die Prothese fest zu verankern. Deshalb versuchen die Ärzte gerade beim Einsetzen der ersten Prothese, möglichst viel vom Knochen zu erhalten. Und das, sagt Karl-Dieter Heller, gelingt mit mehreren Maßnahmen.
    "Man kann eine Prothese zementieren, und man kann sie zementfrei einsetzen. Wenn ich eine zementierte Prothese wechsle, opfere ich mehr Knochen. Das heißt man wird bei diesen Patienten immer eine zementfreie Prothese wählen."
    Bei der zementfreien Variante wird die Prothese nicht am Knochen verklebt, muss also bei einem Wechsel nicht so stark herausgebrochen werden. Und das macht es leichter, die neue Prothese zu verankern. Eine weitere Maßnahme: Bei jungen Patienten greifen die Chirurgen nicht zu einer Prothese mit einem langen Schaft, sondern verwenden ein Modell mit einem deutlich kürzeren Schaft.
    Der Knochen muss erhalten bleiben
    "Die Kurzschaft-Prothese hat zwei entscheidende Vorteile. Erstens opfert sie beim Einbau weniger Knochen. Und zweitens belastet sie den Knochen sehr nah am Hüftgelenk. Belastet heißt: Er baut Dichte auf, wir generieren einen stabilen, festen Knochen."
    Und das ist beim nächsten Wechsel von Vorteil. Denn in diesem festen, stabilen Knochen lässt sich die nächste Prothese gut verankern. Und dann wären da noch die Oberflächen der künstlichen Gelenkpfanne und Gelenkkugel. Sie sollten möglichst reibungsarm sein. Dann nämlich erzeugen sie weniger Abrieb und halten länger.
    "Es ist ja eine Bewegung zwischen Kugel und Pfanne. Und es ist die Frage: Aus welchem Material besteht die Kugel, aus welchem Material besteht das Inlay in der Pfanne? Gerade beim jungen Patienten versucht man, sehr hochwertige Materialien zu nehmen, auch wenn die sehr teuer sind."
    "Es wird nicht differenziert, ob jung oder schon sehr betagt"
    Bei Standard-Prothesen bestehen die Oberflächen etwa aus Metall. Bei reibungsarmen ist es zum Beispiel Keramik - was allerdings bis zu 500 Euro mehr kostet, sagt Karl-Dieter Heller.
    "Das Problem, das die Kliniken haben, ist, dass es eine Fallpauschale gibt. Es wird nicht differenziert, ob jung und sehr hochwertiges Implantat oder schon sehr betagt und normales Implantat. Deswegen muss man sich sehr intensiv mit dem Operateur auseinandersetzen und selber eine klare Meinung zu dem haben, was man haben möchte."
    Gerade als jüngerer Patient ist man also gut beraten, beim Gespräch mit dem Arzt den Einsatz einer hochwertigen Keramik-Prothese zu thematisieren. Bei hochbetagten Patienten dagegen stehen andere Fragen im Vordergrund.
    "Bei zunehmendem Alter ist es wichtig, die Begleiterkrankungen zu erfassen und das Risiko einer Operation offen anzusprechen", sagt Prof. Ulrich Stöckle, Ärztlicher Direktor der BG Unfallklinik Tübingen und der Unfallchirurgischen Klinik der Universität Tübingen.
    Eine neue Hüfte bringt Mobilität - und damit Lebensqualität
    Hat ein Patient einen Schenkelhalsbruch, gibt es meist keine Alternative zur künstlichen Hüfte. Leidet er stark unter Arthrose, sollten Ärzte und Patienten allerdings gemeinsam abwägen, inwieweit eine OP sinnvoll ist. "Die klassische Frage ist immer: Wie lang ist die Gehstrecke und weshalb bleiben Sie stehen? Bleiben Sie stehen, weil die Hüfte weh tut? Oder bleiben Sie stehen, weil sie kurzatmig werden? Und die Kurzatmigkeit können wir mit der Prothese nicht verbessern."
    Grundsätzlich aber sind heute immer mehr Menschen im hohen Alter noch ziemlich fit. Ihnen kann eine neue Hüfte viel an Mobilität bringen - und damit an Lebensqualität. Deshalb bekommen heute auch immer mehr Hochbetagte eine Prothese, sagt Ulrich Stöckle.
    "Die ältesten sind Anfang 90. Wobei das numerische Alter nicht das Entscheidende ist. Sondern wir müssen mehr und mehr auf das biologische Alter gehen: Es gibt 85- und 90-Jährige, die allein und selbstständig zu Hause leben, sehr aktiv sind, und andere, die aufgrund anderer Erkrankungen schon lange nicht mehr selbstständig sind. Wir raten ab, wenn die Erwartungen unrealistisch sind und wenn die Mobilität nicht durch das Gelenk eingeschränkt ist, sondern durch andere Erkrankungen."
    Was, wie Mediziner betonen, auch für andere Prothesen gilt, insbesondere fürs künstliche Kniegelenk.