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Echt oder gefälscht?

Wenn man den jetzt veröffentlichten, knappen Auszügen aus Mussolinis Tagebüchern Glauben schenken will, dann war der italienische Diktator ein friedliebender Politiker, der die Nähe zur Kirche suchte. Doch kritische Historiker halten die Forderung nach einer Revision des Duce-Bildes für verfrüht. Der Beweis für die Echtheit der Aufzeichnungen aus den Jahren 1935 bis 1939 ist ihrer Ansicht nach noch nicht erbracht.

Von Thomas Migge | 14.02.2007
    "Eine Untersuchung wurde 2005 in Bologna durchgeführt und sie bestätigte die Echtheit der Dokumente. Der Inhalt ist hochinteressant: man liest, wie beunruhigt Mussolini in jenen Jahren gewesen ist. Er war gegen eine Beteiligung Italiens an einem neuen Krieg in Europa."

    Marcello Dell’Utri ist felsenfest von der Echtheit der Tagebücher überzeugt. Der Senator der Berlusconipartei Forza Italia, berüchtigt wegen seiner Nähe zur sizilianischen Cosa Nostra und berühmt als Sammler wertvoller Bücher und Dokumente, hat von den Nachkommen eines antifaschistischen Partisanen die Tagebücher des italienischen Duce erworben. Tagebücher, die die Jahre 1935 bis 1939 betreffen. Dokumente, deren Existenz schon seit Jahren bekannt ist. Seit den 90er Jahren ist immer wieder die Rede von handschriftlichen Unterlagen, die, so das italienische Wochenmagazin L’Espresso in seiner aktuellen Ausgabe, in den letzten Jahren von verschiedenen Experten graphologisch untersucht worden seien - mit widersprüchlichen Resultaten. Im Unterschied zu den vergangenen Jahren liegen nun zum ersten Mal überhaupt - und das erklärt das große Interesse an den Tagebüchern - Fotokopien vor, mehrere Seiten, die Einblick in den Inhalt von Dell’Utris Unterlagen geben. Endlich kann über die Figur Mussolinis diskutiert werden, die darin zum Vorschein kommt, und über die Frage, ob das Bild, das sich die Geschichtsforschung von Mussolini bisher machte, umgeschrieben werden muss.

    Duce-Enkelin Alessandra Mussolini, Abgeordnete der rechten Partei "Alternativa sociale", ist davon überzeugt, dass aus den fotokopierten Seiten, die ihr Marcello Dell’Utri zu lesen gab, eindeutig ihr Großvater zu ihr spreche:

    "Dass ich stolz auf meinen Großvater bin, habe ich immer schon gesagt und deshalb habe ich mich mit seinem Leben beschäftigt. Deshalb kann ich Ihnen versichern: Der Mensch, der aus diesen Tagebüchern spricht, ist Benito. So sprach er, so gab er sich, auch in den kleinsten privaten Details. Über meinen Großvater wurden viele Lügen erzählt, auch von der Geschichtswissenschaft. Jetzt wird dank dieser Tagebücher der echte Duce enthüllt und die Dinge rücken in ihr wahres Licht."

    Aus den veröffentlichten Seiten der von Dell’Utri in einem Schweizer Banksafe verwahrten Tagebücher wird deutlich, dass Mussolini dem Führer kritisch gegenüberstand und ein Sympathisant von Papst Pius XI. war. Keine Spur von einem antipäpstlichen und säbelrasselnden Duce, so wie er von der Geschichtswissenschaft oft dargestellt wird. Und über Achille Starace, den allmächtigen Sekretär der faschistischen Partei, schreibt Mussolini, dass er ihn nicht mehr ertrage.

    Der Historiker Paolo Simoncelli von der Universität Rom ist davon überzeugt, dass die bereits bekannt gewordenen Tagebuchseiten - sollten sie denn authentisch sein - die These von einem antiinterventionistischen und papstfreundlichen Mussolini jener Jahren stützen. Eine These, die bisher innerhalb der Geschichtswissenschaft umstritten war. Simoncelli weist auch darauf hin, dass die Forschung aufgrund der Aussagen vieler Zeitzeugen davon ausgehen dürfe, dass Mussolini tatsächlich Tagebuch schrieb:

    "Sie existierten, das wissen wir durch zahlreiche Aussagen von Zeitzeugen. Tatsächlich wissen wir auch durch Zeitzeugen wie durch andere Dokumente, dass Mussolini zwischen 1935 und 1939 keineswegs an einem Krieg an der Seite der Deutschen interessiert war und die Nähe zum Vatikan suchte. Ohne umfassende wissenschaftliche Untersuchungen können wir allerdings nichts dazu sagen, ob die Tagebücher echt sind."

    Der an der römischen Privathochschule LUISS lehrende Zeitgeschichtler Francesco Perfetti, einer der engsten Mitarbeiter von Renzo De Felice, des wohl besten Kenners von Mussolinis Biografie, weist darauf hin, dass nur eine exakte inhaltliche Analyse der Tagebücher die Frage beantworten könne, ob das Geschichtsbild des Duce bezüglich jener Jahre genauer definiert werden könne. Voraussetzung für eine Diskussion um die historische Rolle Mussolinis zwischen 1935 und 1939 sei aber vor allem eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Authentizität der Dokumente. Für Perfetti könnte der Nachweis des Besuches von Hitler in Mussolinis Amtsresidenz im römischen Palazzo Venezia im Jahr 1938 ein wichtiger Hinweis auf die Echtheit der handschriftlichen Dokumente sein, denn die Tagebücher und anderen Unterlagen von Zeugen jenes wichtigen Zusammentreffens sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Historiker verfügen bis heute über keine Dokumente von Augenzeugen des Treffens zwischen den beiden Diktatoren im Arbeitszimmer des Duce.

    "Es ist doch evident, dass wir, falls die Tagebücher tatsächlich über dieses Zusammentreffen berichten, einen stichhaltigen Beweis für eine mögliche Echtheit der Dokumente haben. Und wir müssen auch, Seite für Seite, nachforschen, ob zum Beispiel die in den Tagebüchern enthaltenen Angaben zu Wetter und Stimmung des Duce mit anderen Informationen, des Wetteramtes und anderer Personen aus dem Umkreis Mussolinis, übereinstimmen."

    Nur dann, wenn auch so scheinbar unbedeutende Umstände - wie in den Tagebüchern festgehaltene Angaben über Wetter und Laune des Duce - andernorts Bestätigung finden, könnten, so Perfetti, aus dem Inhalt der Dokumente Rückschlüsse auf eine genauere Deutung der Person Mussolinis gezogen werden.
    Doch dafür, meint Authentizitätsskeptiker Perfetti, müssten die Wissenschaftler und Historiker alle Unterlagen prüfen, um Schrift, Papier und Tinte wie auch den Inhalt genau untersuchen zu können. Solange sich aber Marcello Dell’Utri weigert, sie der Forschung zugänglich zu machen, können nur Vermutungen angestellt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt der Debatte, darin sind sich die wichtigsten Zeithistoriker Italiens einig, sei es übereilt, den Mussolini jener Jahre als Pazifisten und Freund der Kirche vorzuführen.