Donnerstag, 18. April 2024

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Eclat-Festival in Stuttgart
Umweltschäden, Terror und Scheitern

24 Uraufführungen und neun Deutsche Erstaufführungen von 37 Komponisten verschiedener Generationen wurden beim diesjährigen Festival für Neue Musik Eclat gezeigt. Vieles kam aus Frankreich und alles drehte sich um existenzielle Themen.

Von Ines Stricker | 05.02.2018
    Musik: Dauchez/ Kourliandski, "Sous Vide"
    Die Szene ist beinahe gespenstisch: Auf dunkler Bühne steht ein großer, von innen erleuchteter Kühlschrank. Hinter der Glastür eine junge Frau in Schutzkleidung mit Helm, sie dreht und wendet sich in der Enge des Kühlschranks. Die klaustrophobische Anmutung steigert sich noch, als sie einen Wasserkocher anstellt und das Bild im Inneren sich vernebelt. Der Sound zu "Sous vide", so der Titel des Werks, entsteht allein aus den Geräuschen im Kühlschrankinneren, die mit Mikrofonen aufgenommen und an einem kleinen Mischpult live gefiltert und verstärkt werden.
    Die Idee zu "Sous Vide" hat die junge Französin Aliénor Dauchez entwickelt, zusammen mit dem russischen Komponisten Dmitri Kourliandski.
    "Ich komme aus der Bildenden Kunst, und ich habe geguckt: Ok, es gibt einen Raum, geschlossen mit einer Glastür, und mich hat interessiert, was ist der Volumen des Körpers, es ist dick und dann wieder dünn und dann wieder dick und wieder dünn, das hat mich interessiert, mich hat interessiert dann die Transparenz der Luft, deswegen kam der Dampf."
    Musik: Dauchez/ Kourliandski: "Sous Vide"
    Performance mit einem Kühlschrank
    Für Aliénor Dauchez verkörpert der enge Kühlschrank eine Art moderne Höhle, ein Rückzugsgebiet, fast schon einen Sehnsuchtsort. Dennoch hinterließ "Sous vide" bei aller Sparsamkeit der Mittel einen so beklemmenden visuellen und akustischen Eindruck, dass sich die Assoziation mit Überbevölkerung und Klimaerwärmung förmlich aufdrängte, obwohl die Künstlerin das gar nicht beabsichtigt hatte.
    Aber vielleicht hing es ja auch zusammen mit den anderen Musiktheaterproduktionen des Eclat-Festivals, die in diesem Jahr ausnahmslos existenziellen Themen des Menschseins gewidmet waren: Umweltschäden, Terror, das Scheitern des Individuums:
    "Was setzten wir uns eigentlich aus, welchem Geschehen setzen wir uns aus, und was verursachen wir selbst, um es dann auch selber zu erleiden, das sind schon Themen, die lagen in der Luft, und für mich war’s eigentlich vom Festivalgedanken her großartig. Dann so ähnliche Ansätze, die doch künstlerisch natürlich in völlig unterschiedliche Richtungen gehen, einander gegenüberstellen zu können", so Christine Fischer, Intendantin von Musik der Jahrhunderte.
    Wobei sich auch bei dieser Eclat-Ausgabe zeigte, dass mehr Mittel nicht unbedingt mehr Aussage bringen: "Daily Transformations" von Clemens Gadenstätter auf einen Text von Lisa Spalt für Sprecherin, Sänger- und Instrumentalensemble und Live-Elektronik etwa setzte sich mit der Wahrnehmung und wahnhaften Interpretation alltäglicher Ereignisse auseinander. Doch gesprochener und gesungener Text überlagerten und beeinträchtigten einander, die dazu gezeigte Videoarbeit blieb reine Illustration. Und Raphael Sbrzesny schuf mit "Principal Boy", einer sehr aufwändigen Mischung aus Musiktheater, Performance und Installation in der Sporthalle des Theaterhauses Stuttgart, zwar viele Bilder zum Thema Männlichkeitsposen und terroristische Gewalt, vermittelte aber kaum tieferes Verständnis der zugrundeliegenden Problematik.
    Nicht nur Musiktheater
    Freilich beschränkten sich die szenischen Elemente bei Eclat nicht auf das Musiktheater. Performance oder zumindest Gestik, überhaupt visuelle Elemente gehören mittlerweile ganz selbstverständlich zum Fundus jüngerer wie älterer Komponisten, so dass der Musikbegriff stark erweitert wird. Die Britin Juliana Hodkinson beispielsweise erkundet in "Lightness" die Klangwelt von Streichhölzern.
    Musik: Juliana Hodkinson: "Lightness"
    Auf der dunklen Bühne im großen Saal des Theaterhauses ließen die drei Interpreten immer wieder auch eins der Hölzchen aufflammen.
    Wie Juliana Hodkinson gehört auch die 1968 geborene Kirsten Reese zu einer Komponistengeneration, die schon auf einige Lebens- und Arbeitserfahrung zurückblicken kann und sich damit auseinandersetzt. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür lieferte "Light Green Rituals" für Fairlight CMI, den ersten digitalen Synthesizer aus dem Jahr 1979 und Ensemble. Nicht nur die live eingespielten und verfremdeten Klänge wirken heute schon historisch, auch die ersten digital gespeicherten Muster, die Samples, die Kirsten Reese dabei einsetzt.
    Musik: Kirsten Reese: "Light Green Rituals"
    Die moderne Elektronik bietet weitaus mehr Möglichkeiten, aber das ist eben nicht, was Kirsten Reese in "Light Green Rituals" gereizt hat.
    "Die alten Samples, was mich daran fasziniert, ist so dieses Emblematische oder Symbolische daran, warum sagt man, das ist jetzt ein Wassertropfen oder das ist ein Flugzeug, weil es gibt ja ganz viele verschiedene Klangmöglichkeiten für ein Flugzeug, und irgendwie dieses Symbolhafte an Samples, davon ausgehend natürlich wieder Strukturen zu komponieren, das hat mich interessiert."
    Vielfältiges Spektrum an klanglichen und szenischen Möglichkeiten der Generationen
    Und auch die ganz alte Garde war vertreten in dieser Eclat-Ausgabe, die ein überaus reiches und vielfältiges Spektrum an klanglichen und szenischen Möglichkeiten der Generationen zeigte: Helmut Lachenmann nahm mit seiner "Marche fatale" für Klavier mit bitterböser Ironie musikalische Floskeln aufs Korn. Und Georges Aperghis spielte nicht weniger ironisch in "Passwords" für sechs Stimmen mit Chiffren des digitalen Alltags – zwar rein konzertant, aber durch den Parlando-Charakter eben doch wieder mit einem Zug ins Darstellerische.
    Musik: Georges Aperghis: "Passwords"
    Auch das Publikum zeigte sich gemischt, neben treuen alten Szenegängern kamen auffällig viele jüngere Besucher in die Konzerte und Performances.
    Nicht von ungefähr sieht Christine Fischer, die Intendantin von "Musik der Jahrhunderte" das Eclat-Festival als Instanz zeitgenössischen Musikszene.
    "Es wird ein Diskurs gesucht, und ich denke, Eclat spielt eine große Rolle in diesem Diskurs, weil wir das Angebot an eine große Komponistenwelt machen, sich mit aller interdisziplinären Sehnsucht einzubringen. Und natürlich versuchen wir, allen die Plattform zu schaffen, die sie brauchen, das Angebot auch zu machen, ob das jetzt der Theaterraum ist, ob das jetzt das Video ist oder ob wir den Raum auf den Kopf stellen müssen und das Publikum in eine vollkommen andere Hörsituation bringen müssen."