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"Ecofavela Lampedusa-Nord"
Soziales Labor und Begegnungsstätte

Im Sommer diente der Raum als Spielstätte, jetzt ist er Winterquartier von sechs Flüchtlingen der sogenannten "Lampedusa-Gruppe": ein Holzbau im Garten der Theaterfabrik Kampnagel in Hamburg. Das Wohnen hier ist nicht legal, aber die Theaterfabrik beruft sich auf die Freiheit der Kunst. Die AfD hat Strafanzeige gestellt.

Von Dirk Schneider | 08.12.2014
    Der Sprecher der Lampedusa-Gruppe, Asuquo Udo, und Esther Olaide Olokodena, Mitglied der Gruppe, vor dem Kunstprojekt und Flüchtlingsquartier "Ecofavela" auf Kampnagel in Hamburg.
    Der Sprecher der Lampedusa-Gruppe, Asuquo Udo, und Esther Olaide Olokodena, Mitglied der Gruppe, vor dem Kunstprojekt und Flüchtlingsquartier "Ecofavela" auf Kampnagel in Hamburg. (dpa/picture alliance/Malte Christians)
    Moka Farkas: "Hier befinden wir uns im Vorraum, wo man erst mal Sachen aufhängen kann und so. Da gegenüber befindet sich unsere Komposttoilette, wir sind ein ökologischer Bau."
    "Ecofavela Lampedusa-Nord": Dass dies kein Haus ist, in dem sich auf Dauer menschenwürdig wohnen lässt, macht der Titel des Kunstwerks deutlich. Dennoch ist das, was hier auf hundert Quadratmeter Grundfläche im Garten der Hamburger Theaterfabrik Kampnagel entstanden ist, deutlich luxuriöser als die Container oder Zelte, in denen viele Flüchtlinge in Hamburg den Winter verbringen müssen. Eine energiesparende Infrarot-Elektroheizung sorgt für angenehme Wärme in dem Holzbau, geduscht wird mit gefiltertem Regenwasser, wie Moka Farkas von der Künstlergruppe Baltic Raw erklärt:
    "Dort sieht man die Regenwasseranlage. Das Regenwasser, das wir oben zusammen sammeln, wird durch ein Kiesbett hier reingeführt, in dem 1.000 Liter großen Tank gelagert und dann durch einen Aktivkohlefilter wieder gereinigt, und geht in den Durchlauferhitzer."
    Seit vielen Jahren bauen Baltic Raw temporäre Kunsträume aus Holz. Dies ist ihr erster Bau, der für einen längeren Zeitraum bewohnt wird: Sechs afrikanische Flüchtlinge der sogenannten "Lampedusa-Gruppe", die seit anderthalb Jahren in Hamburg für ein Bleiberecht kämpft, haben hier für den Winter ein Dach über dem Kopf gefunden. Vier kleine Einzel- und ein geräumigeres Doppelzimmer umgeben den großzügigen Wohnflur mit angeschlossener Küche. Zuhause ist momentan nur Esther, die ihren Nachnamen lieber für sich behält. Na ja, was heißt "Zuhause"? Es ist okay, sagt die 34-jährige Nigerianerin, besser als das Infozelt der Gruppe am Hauptbahnhof, wo sie vorher die Nächte verbracht hat:
    "Für mich ist es ein Arbeitsplatz, an dem wir übernachten können." Ein Arbeitsplatz, denn Esther versteht sich als Teil des Kunstwerks, das Baltic Raw hier errichtet haben:
    "Wir sind hier, weil wir mehr über die Kunst erfahren wollen, die auf Kampnagel stattfindet. Aber wir wollen auch etwas geben. Ich werde zum Beispiel die afrikanische Küche vorstellen, die anderen hier wollen die Kultur ihrer Länder vermitteln."
    Esther hofft, hier auch mehr über die Bewohner des Landes zu erfahren, in dem sie gelandet ist:
    "Am Tag der Eröffnung hat uns eine Frau Brot und Salz gebracht. Sie sagte, dass das für Gesundheit steht und dass es hier üblich ist, nach einem Umzug Brot und Salz mitzubringen. Das wusste ich nicht. Bei uns bringt man Wasser, als Symbol für Frieden."
    Neue Möglichkeiten der Begegnung
    Tatsächlich soll die "Ecofavela Lampedusa-Nord" eine Art soziales Labor sein, in dem Begegnungen möglich sind, die an anderen Orten so nicht oder kaum stattfinden. Sicher gibt es engagierte Menschen, die Flüchtlinge auch in ihren meist abgelegenen offiziellen Lagern besuchen und Unterstützung anbieten. An einem Ort wie Kampnagel aber ergeben sich völlig andere Möglichkeiten, wie Intendantin Amelie Deuflhard erklärt:
    "Es kommen hier ständig Leute, rein und raus, es gibt einen permanenten Austausch. Ich werde jetzt schon von Zuschauern gefragt, ob sie helfen können. Nachbarn wollen helfen, Freunde wollen helfen. Fremde Menschen schreiben mich an, heute ein Unternehmensberater, der will spenden. Wir sind halt im Zentrum einer großen Kommunikation. Das ist nicht, wie wenn man das irgendwo am Stadtrand aufbauen würde. Wir sind halt gut vernetzt."
    Ärger mit den Behörden gab es bis jetzt nicht, auch wenn es in der Hamburger SPD-Alleinregierung sicher ein paar Leute gibt, denen es gar nicht gefällt, dass hier medienwirksam die Kunstfreiheit genutzt wird, um ein paar Vorschriften zu umgehen:
    "Es gab Nachfragen, ich hatte auch ein paar Gespräche mit Politikern und es gab so Nachfragen. Also es gab keinen Druck auf mich im Sinne von: Dürfen Sie nicht! Ist ja auch ein bisschen schwer, die Kunst ist ja frei in unserem Land. Das ist ein besonderes, wichtiges Merkmal von Demokratien."
    Doch hat das, was hier geschieht, den Titel "Kunst" verdient? Eine Frage, die für Bernd Jasper von Baltic Raw eigentlich keine Rolle spielt:
    "'Was ist Kunst', das ist ja eh immer die super Frage. Ich würde behaupten, es ist mehr Kultur, weil es hier mehr um Dialog, um die Umgebung geht, in der man sich aufhält. Es wird auch um Essen gehen, es wird auch um unterschiedliche Kulturvorstellungen gehen und die auszutauschen, der einzelnen Herkünfte. Und so unserem eigenen kulturellen Bild auch was hinzuzufügen. Und darin besteht ja unserer Meinung nach auch die Kraft solcher Bewegungen, solcher Migrantenströmungen. Wenn man das wirklich mit einbinden kann in eine Gesellschaft, wenn sie das aufnehmen kann, kann das nur bereichernd sein."
    So gesehen könnte man sogar von einem "Zukunftslabor" sprechen. Dass das Ganze eine Kuschelecke für Gutmenschen wird, befürchten die Künstler nicht - gerade im persönlichen Kontakt mit den Flüchtlingen werde so etwas nicht möglich sein:
    "Das ist eigentlich ein bisschen auch Kern des Projektes, dass man hier die Leute auch individuell kennen lernen kann, um hier auch diese Vorurteile, auch diese positiven Vorurteile auch ein bisschen ablegen kann."
    Moka Farkas ist selbst 1984 mit ihrer Familie als Flüchtling aus Ungarn nach Deutschland gekommen. Sie hatte es zwar leichter als die Flüchtlinge heute:
    "Aber ich kann mich trotzdem noch erinnern, dass ich trotz aller Annehmlichkeiten doch einen Kulturschock bekommen habe. Weil es ist so ein kompliziertes System hier zu leben. Die ersten zwei Jahre, wo man keine Sprache hat, wo man sich nicht zurechtfindet, wo man orientierungslos durch die Gegend läuft und man findet nichts und man macht alles falsch, also diese kleinen Versagen, tagtäglich 20 Stück von, das hat mich doch sehr zurückgeworfen."