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Ausstellung in München
Kind-Künstler Meese

Wie im Bällebad wirkt die neue Ausstellung von Jonathan Meese: Quietschbunt, voll mit wilden Formen und einer abstrakten Vulkanexplosion, die den ganzen Boden bedeckt. Er selbst, seine Mutter, Richard Wagner und klassische Mythen stehen immer wieder im Mittelpunkt.

Von Julian Ignatowitsch | 15.11.2018
    Jonathan Meese, Maler und Aktionskünstler, steht bei einem Interviewtermin in dem noch geschlossenen Ausstellungsraum der Ausstellung "Die Irrfahrten des Meese". Die Ausstellung in der Neuen Pinakothek, welche Werke aus 25 Jahren zeigt, startet am 14.11.
    Jonathan Meese, Maler und Aktionskünstler, steht in seiner noch nicht geöffneten Ausstellung "Die Irrfahrten des Meese" (dpa/Lino Mirgeler)
    Er begrüßt den Besucher - die flache Hand an die Stirn gelegt - wie ein salutierender Soldat: "Man sieht mich in Bronze. Und ich grüße militärisch die Zukunft."
    Jonathan Meese über sein skulpturales, lebensgroßes Ebenbild am Eingang der Ausstellung. Und über eine Zukunft, die er von der Kunst bestimmt sieht. "Die Diktatur der Kunst" - so der Name seines Manifests, das sich auch in seinen Bildern widerspiegelt: "K.U.N.S.T." steht da in Großbuchstaben, oder: "KUNST IST TOTALSTE SACHE! (KUNST IST TOTALSTER CHEF, KUNST ist Chefsache)". Meese: "Diktatur der Kunst ist eine Liebeserklärung an Kunst und sagt nur und zeigt nur, dass Kunst das Geilste und Beste ist; also dass wir bald nach den Richtlinien und Maßgaben der Kunst leben. Und dass Kunst das ist, was überlebt. Und das, was überlebt, sollte doch auch unser Staatssystem sein und die Staatsgeschäfte übernehmen. Deutschland sollte ein Gesamtkunstwerk werden. Nämlich das, was stärker ist als alles andere sollte an die Regierung."
    Wie dieses Regiment der Kunst letztlich aussehen soll, beantwortet Meese nicht. Er ist schließlich Künstler, selbst ein Gesamtkunstwerk. Dezidiert unpolitisch will er seine Kunst mittlerweile verstanden wissen. Vom berühmt-berüchtigten "Meesegruß", der Nachahmung des "Hitlergrußes", ist in der Ausstellung nichts zu sehen. Kein Hakenkreuz, kein Hitler, "nur" hier und da ein Eisernes Kreuz und mythische Helden wie Parsifal und Odysseus. Kurator Bernhard Schwenk: "Parsifal und Odysseus teilen dasselbe Schicksal, sie sind beide auf der Suche. Wir möchten mit dieser Ausstellung einen anderen Jonathan Meese zeigen. Das Märchenhafte steht im Vordergrund unserer Ausstellung."
    "Wieso sind wir so unfrei?"
    Tatsächlich wirkt die Ausstellung gleich auf den ersten Blick wie eine große, bunte Spielwiese, wie ein Bällebad mit knallenden Farben, wilden Formen und einer abstrakt-anarchischen Vulkanexplosion, die als vergrößertes Bild den ganzen Boden bedeckt. Hier in diesem einen überbordenden Raum lernt man ihn also kennen: den Kind-Künstler Jonathan Meese. "Das Kind in uns ist ja frei, erst der erwachsene Ideologe wird unfrei. Und ich frage mich: Wieso muss das sein? Ein Kind würde nie darauf kommen, eine Partei an die Macht zu wählen. Es würde sich selbst an der Macht sehen, aber das ja auch nur spielen. Als Kind spielt man ja den Imperator oder Räuber und Gendarm, man spielt das alles, und am nächsten Tag ist man ein Goldfisch."
    Kurator Bernhard Schwenk stimmt zu: "Wir sind eingezwängt, wir sind nicht mehr die Kinder, die alles nachgespielt haben, die sich den freien Gedanken hingeben. Das haben wir alle verlernt. Jonathan Meese hat es behalten und vielleicht können wir davon etwas lernen."
    Von Meese lernen, heißt auch: das Absurde als Normalität zu akzeptieren; das Häßliche als schön zu empfinden; und auch den Dilettantismus zur Kunst zu erheben.
    Titel leider vergessen
    Wenn er davorsteht und das Sujet erläutert, bei dem er, seine Mutter, der Opernkomponist Richard Wagner und klassische Mythen immer wieder zentral sind und als Begriffe dabei stehen, dann fragt man sich schon, wie ernst er das alles meint, wie ernst der Betrachter das alles nehmen darf.
    Meese: "Hier gibts ein Bild, das bei meiner Mutter in der Wohnung hängt, jetzt schon seit zehn Jahren: Diese brennende Burg, die Nibelungenhalle, hier sieht man das Schiff von Odysseus, hier sieht man mich und ich lösche das Feuer oder befeuere es - das weiß man nicht… das weiß man alles nicht."
    Reporter: "Wie ist der Titel des Werkes?"
    Meese: "Den habe ich jetzt vergessen. (lacht) Ich habe so viele Titel gemacht. Wir können ihm ja einen neuen Titel geben…"
    Reporter: "Wie würden Sie es spontan benennen?"
    Meese: "Hagen von Tronje ist Chef von Deutschland."
    Herausforderung für den Besucher
    Der Hagen, der Siegfried im Nibelungenlied ermordet hat. Auf dem Bild ist er nicht wirklich zu erkennen. Überhaupt, Kunstästheten wird das alles nicht gefallen. Vieles sieht aus wie infantile Kritzeleien, manches als wäre ein Topf Farbe umgefallen. Die Nähe zur Outsider-Kunst ist offensichtlich: Jede Regel ist für Meese Ansporn zum Regelbruch. Das gilt natürlich auch für kunstakademische Prinzipien, die er lustvoll bricht, zum Beispiel, wenn er über Plagiate, Pulp-Fiction-Romane oder das Collagieren von High und Low philosophiert.
    Die Münchner Ausstellung zeigt: Jonathan Messe ist kein Mephisto des Nationalsozialismus, er ist kein Betrüger und erst recht kein Zyniker. Meese ist ein Phantast, ein Geschichtenjunkie, vielleicht sogar ein Utopist. Und er will nur spielen.