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Edathy: Wulff unterschätzt Dimension der Kreditaffäre

Diese Taktik habe man schon bei Karl-Theodor zu Guttenberg erlebt: Auch der Bundespräsident gebe immer nur das zu, was man ihm nachweise, rügt SPD-Politiker Sebastian Edathy. Damit schade Christian Wulff dem Ansehen seines Amtes.

Sebastian Edathy im Gespräch mit Bettina Klein | 21.12.2011
    Bettina Klein: Ein weiteres Detail wird also heute Morgen gemeldet im Zusammenhang mit dem 500.000 Euro-Kredit für den damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Christian Wulff. Am Telefon ist jetzt Sebastian Edathy, SPD-Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Rechtsausschuss. Er stammt aus Hannover und hat in der Nähe seinen Wahlkreis. Guten Morgen, Herr Edathy.

    Sebastian Edathy: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Wir haben das Zitat aus der "Welt" gehört. Die Modalitäten wurden gemeinsam besprochen, das Darlehen von Frau Edith Geerkens gewährt. So wird ein Rechtsanwalt von Christian Wulff in der Zeitung "Die Welt" zitiert. Sind für Sie damit jetzt alle Fragen beantwortet?

    Edathy: Das Problem, das ich habe mit dem Gebaren von Herrn Wulff, ist, dass er gewissermaßen im Tagesrhythmus öffentliche Verlautbarungen über seine Anwälte herausgibt. Das ist sehr unbefriedigend. Ich glaube, dass wir aktuell die Schwierigkeit haben, dass Herr Wulff die Dimension des Vorgangs völlig unterschätzt. Er taktiert und damit macht er die Dinge dann noch viel schlimmer, als sie eigentlich sein müssten. Wenn er Fehler gemacht hat und er würde sie einräumen und er würde sie lückenlos einräumen, die Karten auf den Tisch legen, dann könnte man darüber reden, ob man darüber hinwegsehen kann. Aber wenn er den Eindruck erweckt, er gibt immer nur das zu, was man ihm nachweist, was man ihm nachweisen kann, und sonst nichts und er hält da was zurück, dann ist das schädlich auch für das Ansehen seines Amtes.

    Klein: Welche Frage ist denn für Sie konkret noch offen?

    Edathy: Na ja, er hat 2008 ja diesen Kredit aufgenommen. Was es mit diesem Kredit auf sich hat, ist ja offenkundig noch nicht ganz klar. Er hat ja immer bestritten, dass Herr Geerkens damit irgendetwas zu tun hätte; das revidiert er nun seit wenigen Stunden. Er ist dann gefragt worden, zwei Jahre später, als er noch Ministerpräsident war, 2010 im Landtag, hatten sie Beziehungen zu Herrn Geerkens gehabt geschäftlicher Art; das hat er bestritten. Insofern stellt sich zum einen die Frage, ob er mit der Annahme eines zinsverbilligten Kredites gegen geltendes Recht in Niedersachsen, das Ministergesetz verstoßen hat, und ob er 2010 möglicherweise in Niedersachsen sogar gegen die Verfassung verstoßen hat, indem er dem Landtag zumindest nicht die volle Wahrheit gesagt hat, um nicht ein schlimmeres Wort, nämlich das von der Lüge zu verwenden.

    Klein: Aber ob er gegen das Ministergesetz verstoßen hat, ist ja insofern nicht klar, als noch nicht genau feststeht - und so habe ich auch den Vorsitzenden der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Herrn Schostok, verstanden -, inwieweit es denn tatsächlich jetzt einen Amtsbezug gegeben hat bei diesem Kredit.

    Edathy: Das ist richtig. Aber insofern wäre es ganz hilfreich, wenn Herr Wulff sich dazu äußert, warum Herr Geerkens, wenn es keinen Amtsbezug gegeben hätte, von Herrn Wulff mehrfach auf Ministerpräsidenten-Dienstreisen ins Ausland mitgenommen worden ist. Das ist zumindest anrüchig. Und dasselbe gilt auch für die Urlaubsreisen, die Herr Wulff jetzt auch eher auf Druck hin offenbart hat, weil da mit einer Anfrage im niedersächsischen Landtag gedroht worden ist. Ich glaube, es ist wirklich sehr misslich, dass der Bundespräsident selber an andere in der Vergangenheit und auch aktuell hohe Ansprüche, was Anstand und Moral betrifft, formuliert, die er offenkundig möglicherweise für sich selber nicht gelten lassen möchte, und das ist das Riesenproblem, das wir haben. Das Amt des Bundespräsidenten lebt wie kein anderes von der Integrität und der Autorität des Amtsinhabers. Und Herr Wulff muss nicht nur als Person ein vehementes Interesse daran haben, dass da keine Zweifel an ihm aufkommen können; er hat auch eine Verantwortung gegenüber der Republik, dass es solche Zweifel nicht geben darf.

    Klein: Was sagen Sie, was muss jetzt passieren? Eine persönliche Ansprache, darunter machen Sie es nicht?

    Edathy: Ich denke zumindest, dass der Bundespräsident es seinem Amt und der Öffentlichkeit gegenüber schuldig ist, sich klar zu erklären, alle Dinge auf den Tisch zu legen und da keine Nachfragen offenzulassen. Wenn ich jetzt lese in den aktuellen Zeitungen, bei der Einsichtnahme in dieser Anwaltskanzlei, was die Kreditunterlagen betrifft, dass man dem nicht entnehmen kann, ob der Kredit überhaupt ansatzweise zurückgezahlt worden ist, ob diese Raten wirklich geleistet worden sind, dann wirft das wieder neue Fragen auf. Wir haben das bei Herrn zu Guttenberg erlebt: Erst wird dementiert, dann wird behauptet, es gäbe Missverständnisse, das eigene Verhalten des Amtsträgers sei fehlinterpretierbar, dann wird eine Teilentschuldigung vorgenommen. Das ist alles eine Taktik. Ich weiß nicht, wer Herrn Wulff berät, aber es scheinen offenkundig keine Leute zu sein, die es gut mit ihm meinen.

    Klein: Was empfehlen Sie denn Ihren Kollegen jetzt im Landtag von Niedersachsen? Der Ältestenrat hat ja gestern getagt, diese Sitzung war relativ schnell zu Ende und jetzt stehen ja weitere parlamentarische Möglichkeiten den Abgeordneten zu Gebote. Wie sollen die weiter vorgehen?

    Edathy: Ich war gestern sehr überrascht. Es hat für mich keine Hinweise gegeben, dass CDU und FDP mit ihrer Mehrheit im Ältestenrat in Niedersachsen die Beratung verhindern, indem sie dort mit Mehrheit beschließen, dass sie abgebrochen wird. Das kann auch nicht im Interesse von Herrn Wulff sein. Ich weiß nicht, ob man da nicht mal Rücksprache gehalten hat, denn was passiert denn jetzt: Jetzt wird das im Januar ins Plenum des Landtages von Niedersachsen gebracht. Wenn es da keine befriedigenden Aussagen gibt, gibt es möglicherweise einen Untersuchungsausschuss. Möglicherweise wird wenigstens eine oder zwei Fraktionen aus dem Landtag von Niedersachsen sich an den Staatsgerichtshof in Bückeburg wenden, um da Aufklärung zu verlangen. Das ganze verzögert doch nur die Aufklärung. Das schlimmste ist doch, wenn wir jetzt in eine Situation kommen, wo in den nächsten Tagen und Wochen alle Leute lachen, wenn Herr Wulff öffentlich zu Anstand und Moral aufruft. Das muss doch jetzt vom Tisch. Also da hat auch die Opposition kein Interesse daran, dass das Amt Schaden nimmt. Ich will das auch persönlich sagen: Ich habe kein Interesse daran, dass nach Herrn Köhler zum zweiten Mal ein Bundespräsident in Deutschland vorzeitig zurücktreten muss. Ob er das muss, muss er sich ja wohl mittlerweile selber fragen, diese Frage muss er sich selber stellen. Seine Parteifreunde in Niedersachsen haben ihm jedenfalls gestern keinen Gefallen getan. Ich gehe auch davon aus, dass alle Fraktionen im niedersächsischen Landtag ein gemeinsames Interesse daran haben, zusammen festzustellen, ob sie belogen worden sind oder nicht, und nicht zu sagen, das verschieben wir erst mal ein paar Wochen und das wird dann anderswo geklärt.

    Klein: Aber von der Sache her würden Sie sagen, das kommt jetzt in den Landtag, noch mal ins Plenum, nach der Weihnachtspause. Darum ging es ja, dass der Ältestenrat deswegen einberufen werden musste, weil eben kein anderes Gremium zur Verfügung stand in dieser Zeit im Augenblick. Sie sagen, wenn das im Januar im Landtag, im Plenum in Hannover auf den Tisch kommt, dann kann es da aufgeklärt werden, damit wären Sie dann auch zufrieden?

    Edathy: Na ja, die Frage ist halt, ob es dann aufgeklärt wird, ob da geblockt wird von der Landesregierung oder nicht, ob dort kooperiert wird. Jedenfalls tut das dem Amt nicht gut, es tut Herrn Wulff nicht gut, es tut der Sache nicht gut, und insofern war das Agieren gestern kontraproduktiv und nicht im Interesse von Herrn Wulff.

    Klein: Herr Edathy, wie viel Schaum vor dem Mund kann sich die SPD eigentlich leisten, wenn es um die vielleicht nicht ganz glückliche Nähe oder Freundschaft zwischen Spitzenpolitikern und Unternehmern vielleicht gerade in Niedersachsen geht?

    Edathy: Ich glaube, dass es an der Stelle gar nicht um Parteipolitik geht. Es geht darum, dass ein Amt, in dem das Wort des Amtsinhabers die zentrale Rolle spielt, dass ein solches Amt auch verlässlich ausgeführt werden muss. Und ich bin der Letzte, der sagt, wenn Herr Wulff Fehler gemacht hat und sich dazu bekennt, dass man das dann nicht auch akzeptieren kann und eine Entschuldigung auch annehmen kann.

    Klein: Es geht nicht um Parteipolitik! Offenbar auch Herr Maschmeyer ...

    Edathy: Er behauptet aber, er hat keine Fehler gemacht. Ja also das ist schon richtig! Ich meine, ...

    Klein: Ich würde da gerne noch mal bleiben, Herr Edathy, bei dem Punkt, es geht nicht um Parteipolitik. Darum ging es offenbar auch nicht Herrn Maschmeyer, denn der hat immerhin 650.000 D-Mark damals spendiert für die Aussage, der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein, und da ging es um Gerhard Schröder, der praktisch gegen Christian Wulff angetreten ist. Also muss sich die SPD möglicherweise da auch ein bisschen zurückhalten, weil sie selber eigentlich auch nicht ganz sauber geblieben ist in solchen Angelegenheiten?

    Edathy: Ich finde, Dinge, die nicht gut gelaufen sind, die kann man nicht miteinander aufwiegen, sondern die kann man allenfalls summieren als mögliche Fehler. Und ich halte das schon für problematisch, diese Nähe auch zu anderen Parteivertretern, die Herr Maschmeyer pflegt.

    Klein: Auch bei Ihrer eigenen Partei?

    Edathy: Durchaus auch! Aber wenn ich jetzt höre, dass Herr Maschmeyer darum gebeten hat, bei den Rechnungen für Anzeigen für ein Buch von Herrn Wulff - übrigens ein Buch, das im Landtagswahlkampf in Niedersachsen eine Rolle gespielt hat, wo die CDU selber einige tausend Exemplare aufgekauft und unter die Leute gebracht hat -, wenn Herr Maschmeyer gegenüber dem Verlag von Herrn Wulff gesagt hat, ihr habt mir eine Rechnung geschickt für eine Anzeige, das möchte ich so nicht, schickt mir bitte eine Rechnung über eine Beratungsleistung, das heißt, der Verlag von Herrn Wulff hat sozusagen Beratungsleistungen gegenüber Herrn Maschmeyer in Rechnung gestellt, anstatt die von Herrn Maschmeyer bezahlten Anzeigen, dann ist das mehr als problematisch. Man lässt sich auch nicht als Ministerpräsident von jemandem, den man nicht privat kennt, sondern aufgrund seines Amtes, von dem lässt man sich nicht umsonst in den Urlaub einladen. Ich meine, so viel Geld und so viel Anstand muss man schon noch selber haben als führender Repräsentant unseres Landes, dass man auf solche Angebote nicht eingeht und dass man sie schon gar nicht sucht.

    Klein: Die Meinung von dem SPD-Politiker Sebastian Edathy. Er ist Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages und stammt aus Hannover, hat dort in der Nähe auch seinen Wahlkreis. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Edathy.

    Edathy: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.