Freitag, 29. März 2024

Archiv

Edward Albee am Frankfurter Schauspiel
Eine Art allegorischer Totentanz

"Wer hat Angst vor Virginia Woolf?": Diese Frage ist auf Theaterbühnen bereits oft gestellt worden. Stephan Kimmig hat sich dennoch an eine Neuinszenierung des Literaturklassikers von Edward Albee am Schauspiel Frankfurt gewagt. Der große Wurf ist ihm damit aber nur teilweise gelungen.

Von Cornelie Ueding | 09.11.2015
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (Hessen), aufgenommen am 09.12.2013.
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Immer wenn wir spielen, wird's ernst - dass es besonders ernst wird, wenn das Professorenpaar Martha und George eines seiner längst zum ehelichen Ritual gewordenen Spiele in Gang setzt, ist spätestens seit der legendären Verfilmung des Erfolgsstückes mit Liz Taylor und Richard Burton bekannt. Und es bedarf eines triftigen Grundes oder einer Idee, wenn man dieses etwas abgehangene Gesellschaftsstück einmal mehr auf die Bühne – ja: wuchtet.
    Der Ausdruck liegt nahe, denn Stephan Kimmig begnügt sich weder was die ebenso massive wie schlauchartig schmale Breitwandbühne noch was die Spieldauer von nahezu vier Stunden betrifft mit Kammerspiel-Dimensionen. In Frankfurt gemahnt diese giftspritzende Ehehölle eher an ein Inferno. Nach etwas schleppendem Beginn mutiert das Stück zu einem wahren Pandämonium der wechselweisen Demütigungen, Verletzungen und Zersetzungen.
    Das junge Nachwuchspärchen, das eher zufällig in die Maschinerie dieses seit 23 Jahren eingespielten emotionalen Gruselkabinetts gerät, hat von Beginn an keine Chance, trotz phasenweise munterer Versuche zu kontern. Am Ende dieses an die Substanz gehenden Abends werden sie von den bösartigen Protagonisten wie wertlose Spielsteine verächtlich beiseitegeschoben.
    Stehparty ohne Mobiliar
    Nach und nach wird eine Idee erkennbar, die Kimmig bei diesem "Play Albee" geleitet haben mag: raus mit dem alten Plüsch – Stehparty ohne Mobiliar. Hell ausgeleuchtet an der Rampe. Und weg mit den neckisch-charmanten Spielchen, die den Beteiligten in der guten alten Kintoppzeit gelegentlich sogar noch Spaß machten und zumindest die Illusion eines Sie-küssten–und –sie–schlugen–sich–Gefühls nicht gänzlich auslöschten.
    Corinna Kirchhoff agiert als Martha wie eine schlankfedernde, blonde, stets sprung- und schlagbereite extrovertierte Aggressionsbombe. Wolfgang Michael schlurft als George nur scheinbar versponnen und ein wenig schusselig zur Hausbar, ist de facto aber, tückisch lauernd, ein virtuoser Zyniker, ja Sadist. An routinierter Abgebrühtheit und Kälte stehen sich die beiden in nichts nach.
    Jedenfalls anfangs. Doch der Eintritt des jungen Paares, Nick und Honey, Lukas Rüppel und Katharina Bach, erst verlegen, dann, weil karriere-orientiert, stets lachbereit, wirkt wie ein Katalysator und bewirkt bei George einen unerwarteten Schub an Gemeinheit: Lateinische Liturgieverse zitierend mutiert er zu einem süffisanten Monstrum des Infamen. Er verhöhnt nicht nur den gescheiterten Beinahe-Lover seiner Martha, sondern erzählt – sichtlich im Rausch seiner neuerworbenen Deutungshoheit – die Geschichte so zu Ende, wie er es will: Sein Todesstoß sitzt. Als er Martha die Nachricht vom Tod ihres fiktiven Sohns, eines Phantoms aus Sehnsucht und Lebenslüge überbringt, nein, genüsslich einflößt, kann er sich seines Sieges gewiss sein: Die sich bis dahin unbezähmbar vulgär und vital Gerierende wird zu einer lebenden Toten, verkümmert zu einem kraftlosen Bündel Mensch.
    Etwas Wichtiges bleibt auf der Strecke
    Man ahnt es, Kimmig hat zu einem großen Wurf angesetzt und wollte nichts weniger als das Stück neu entdecken und darin Dimensionen großen metaphysisch dimensionierten Theaters freisetzen. Eine Art allegorischen Totentanz um die Todsünde des falschen Spielens mit dem Leben, ein morality play in drei Akten auf die Bühne stellen. Textgetreu bis zum Bühnentod: Jede Nuance wird wieder und wieder ausgeschlürft und bis zum Exzess repetiert. Statt schneller Schnitte - unendliche Repetition. Statt exzessiver Dynamik - eine Art Banalität des Bösen im eigenen Heim.
    Sicherlich gut gedacht. Der Preis dafür ist freilich hoch. Nicht nur bespielt er, von einzelnen Gängen im zweiten Teil abgesehen, nur die rechte Seite der sehr breiten Bühne des Frankfurter Schauspiels und ein kleines, in den Zuschauerraum vorgeschobenes Podest, sodass man sich fragen muss, wie einem erfahrenen Regisseur solch ein handwerklicher Fehler passieren kann. Vor allem aber bleibt etwas ganz Wichtiges auf der Strecke. Die Lust. Die Lust an dem, was diese Figuren und wir als ihre Voyeure am liebsten tun: Spielen.