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Edward Hopper im Visier

Das Werk des amerikanischen Malers Edward Hoppers wurde in Deutschland bisher zwar selten gezeigt, dennoch sind seine Bilder als Inbegriff amerikanischer Lebensweise präsent. Sein wohl bekanntestes Gemälde ist die Barszene "Nachtschwärmer" aus den 40 er Jahren. Zu sehen sind zwei Herren mit Hut, der weißgekleidete Barkeeper und eine Frau im roten Kleid. Inmitten einer ausgestorbenen Stadtlandschaft treffen wir die Gruppe in einer mit Neonlicht ausgeleuchteten Bar an - als wären sie soeben einer Filmszene entsprungen. Man erinnert sich nicht zuletzt deshalb an das Bild, weil sein großformatiger Druck als Wandschmuck für Cafés und Restaurants dient. Zwar nur nebenbei wahrgenommen, bleibt dem Gast viel Zeit, immer wieder einen Blick auf die Szene zu werfen, die eine Art Spiegel zu seiner eigenen Situation zu bilden scheint.

Von Andrea Gnam | 13.12.2004
    Hoppers Interesse gilt öffentlichen Räumen, die als Durchgangsstationen den Alltag der mobilen Arbeitsgesellschaft prägen und lassen ihn so zum frühen Chronisten des modernen Lebens werden. Tankstellen und Selbstbedienungsrestaurants, Kinos und Vorstädte, Hotelzimmer, Büros und Zugabteile sind die Schauplätze seiner Szenarien. Mark Rothko, der als abstrakter Maler gegenüber dem Realisten Hopper eine geradezu konträre Bildauffassung zu verkörpern scheint, schätzte sein Werk. Aber auch der Schriftsteller Peter Handke und der Regisseur Wim Wenders berufen sich in ihren Arbeiten auf Hoppers Gemälde.

    Zwei Bände klären das Rätsel der breiten Zustimmung auf, die Hoppers Werk in seiner kühlen Emphase erfahren hat: ein bei Schirmer/Mosel erschienener Essayband von Mark Strand und der von Sheena Wagstaff bei Hatje Cantz herausgegebene Katalog zur in Köln gezeigten Hopper-Retrospektive. Mark Strand schreibt zu 30 Gemälden begleitende Essays. Ihnen sind kleinformatige, aber präzise Abbildungen in Taschenspiegelgröße gegenübergestellt. Strands kurzen Texte bilden - im besten Sinne - eine leichthin präsentierte Schule der Wahrnehmung.

    Strand interessiert sich für das Spiel von Nähe und Ferne, das dem Betrachter in Hoppers Bildern in Bann zieht. Es gleicht der Erfahrung des Kindes, das auf dem Rücksitz des elterlichen Autos "flüchtige Blicke auf eine rasch vorüberziehende Welt" wirft. "Sie war still" und "kümmerte sich nicht im geringsten darum", so Strand, "ob ich zu diesem oder jenem Zeitpunkt zufällig vorbeifuhr". Eine ähnliche Faszination übten die Bilder Hoppers aus, manche Details, so der Wald hinter einer Tankstelle erinnerten an "Bäume an denen wir mit einer Geschwindigkeit von siebzig oder achtzig Kilometern pro Stumde vorbeifahren". Strand zeigt die geometrische Ordnung die in Hoppers Bildern diesen Eindruck hervorrufen. So weist er beispielsweise auf das wiederkehrende Trapez hin, das von der Architektur gebildet oder zwischen den Personen aufgespannt wird oder das eigenwillige, Form setzende Licht. Ähnlich wie Hopper dies mit dem Betrachter tut, spielt Strand in seinen Essays mit der Grenze zwischen Erzählen und Inszenieren: "Dieses Bild ist so merkwürdig" heißt es an einer Stelle über "People in the sun", dass ich manchmal glaube, die sitzenden Personen betrachten nur eine gemalte und keine wirkliche Landschaft, aber das stimmt selbstverständlich nicht." Allein schon wegen solcher Sätze empfiehlt sich das Buch dem Leser aufs schönste.

    Die Beiträge zum Ausstellungskatalog zeigen dann die Wurzeln Hoppers in der Beschäftigung mit Impressionismus und Kino. Während seiner frühen Europaaufenthalte ließen die Werke von Edgar Degas ihre Spuren, vor allem in der Wahl der Bildausschnitte. Diese sind, so ließe sich hinzufügen und damit auch die Brücke zum Film schlagen, bei Degas auf die Auseinandersetzung mit der Fotografie zurückzuführen. Hopper entfernt nach und nach alles Nebensächliche aus seinen Interieurs. Er klärt und reduziert, so dass von hier aus auch wieder deutlich wird, weshalb Mark Rothko, wie in einem anderen Beitrag vermerkt wird, dessen "Diagonalen" schätzt: "Ich hasse Diagonalen, aber ich mag Hoppers Diagonalen. Es sind die einzigen Diagonalen, die ich mag".

    Der eigentliche Schlüssel zu seinem Werk aber, so die übereinstimmende Bilanz der Beiträge, ist Hoppers Leidenschaft für das Kino, die ja auch Handke und Wenders mit ihm teilen. Seine Sujets der existentiellen Einsamkeit scheinen dem Film Noir zu entstammen, die Figuren sind nach der Filmmode der 30 er Jahre gekleidet. Die Lichtführung mit den messerscharf begrenzten Lichtflächen ist kinematographisch, die Bilder erscheinen wie Standfotos einer "eingefrorenen Filmhandlung". Die Neugier auf die Geschichte, die den Betrachter vor Hoppers Gemälden unweigerlich befällt: was mag sich vor der Szene abgespielt haben? Wie geht es weiter? wird angefacht, aber nicht befriedigt. Brian O'Doherty vergleicht sie mit der Erfahrung, die ein Kinobesucher macht, der - wie zu Hoppers Zeiten üblich - zu einer bereits laufenden Kinovorstellung ins Non Stopkino kommt: die Akteure, die Handlung, der Text erscheinen reichlich mysteriös. Ähnlich ergehe es dem Betrachter von Hoppers Kunst: "Seine Figuren, so betont undramatisch sie auch erscheinen mögen, befinden sich stets in einer Situation, die auf ein Drama hin angelegt zu sein scheint". Dies erklärt den lakonischen Stachel in Hoppers Bildern, die Neugier wecken, dann aber den Dingen ihren Lauf lassen, ohne sich um den zurückbleibenden Betrachter weiter zu kümmern.