Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

EEG-Reform
"Nur vier Prozent der Unternehmen werden entlastet"

Es drohe eine schleichende Abwanderung der energieintensiven Industrie und der Verlust vieler Jobs, wenn nach den Maßgaben der neuen EEG-Umlage ein Viertel der bisher entlasteten Unternehmen keine Unterstützung mehr erhielten, warnte BDI-Präsident Ulrich Grillo im DLF. Dadurch könnte "ein wesentlicher Teil der europäischen Wertschöpfungskette" beschädigt werden.

Ulrich Grillo im Gespräch mit Christine Heuer | 08.04.2014
    Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
    Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. (dpa/Vincent Isore)
    Christine Heuer: Die Große Koalition will heute ihre Änderungen zur Energiewende im Kabinett beschließen. Das ist eine hoch komplexe Materie. Deshalb nur so viel zu den Inhalten: Die Förderung erneuerbarer Energien soll wegen der hohen Strompreise etwas gedeckelt, Ausnahmen und Erleichterungen für die Industrie sollen beschnitten werden. Darüber klagen die Unternehmen in Deutschland laut und heftig, besonders in der Metallverarbeitung und in der Großchemie. Es gibt aber auch kleine und mittelständische Unternehmen, die sich ernsthafte Sorgen um ihre Zukunft machen.
    Am Wochenende hat Ulrich Grillo, Präsident beim Bundesverband der Deutschen Industrie, wegen der EEG-Umlage vor einer schleichenden Abwanderung energieintensiver Unternehmen aus Deutschland gewarnt. Jetzt ist er am Telefon mit uns verbunden. Guten Morgen, Herr Grillo.
    Ulrich Grillo: Guten Morgen, Frau Heuer.
    "Unternehmen haben das 20- bis 40fache der heutigen Zahlen zu leisten"
    Heuer: Wie viele Unternehmen haben Deutschland wegen der Umlage denn schon verlassen?
    Grillo: Die genaue Zahl wissen wir nicht. Aber das ist, wie das gute Beispiel zeigt, ein schleichender Prozess. Das ist nicht von heute auf morgen, aber es wird dann immer mehr abgebaut. Wir sehen, dass die energieintensive Industrie in den letzten Jahren noch 85 Prozent der Abschreibungen reinvestiert hat. Das heißt, wir sehen einen schleichenden Kapitalverzehr, und das macht uns schon große Sorgen.
    Heuer: Ja, Sie machen sich Sorgen, weil Brüssel die Ausnahmen für die Industrie kappen möchte. Aber gerade die energieintensiven Unternehmen sollen ja weiterhin geschont werden.
    Grillo: Ja. Aber die Frage ist, in welcher Form. Die bisherigen Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, führen zu einer Verteuerung der Energie, gerade auch für die energieintensiven Industrien. Es ist an eine Begrenzung auf fünf Prozent beziehungsweise 2,5 Prozent der Bruttowertschöpfung gedacht. Das heißt, dass teilweise die Unternehmen das 20- bis 40fache der heutigen Zahlen zu leisten haben, und das ist schlichtweg nicht möglich und das wird zu großen Problemen führen.
    Heuer: Ja aber wir reden darüber, dass knapp ein Viertel derjenigen Firmen, die jetzt einen Rabatt bekommen, darauf künftig verzichten sollen.
    Grillo: Ja. Ein Viertel sind immerhin 25 Prozent. Wir reden über 500 Unternehmen, und wenn man sieht, dass die energieintensive Industrie insgesamt 800.000 Mitarbeiter direkt beschäftigt, ist ein Viertel davon schon eine bedeutende Zahl. Und es geht ja nicht - das ist immer wichtig - um die Industrien als solche, das ist kein Selbstzweck. Es geht letztlich - und das hat das Beispiel sehr gut gezeigt - um die Beschäftigten, auch um das soziale Engagement der Unternehmen, aber vor allem um die Beschäftigten, die wir beschützen müssen.
    Heuer: Sie sagen, diese 25 Prozent, das ist eine bedeutende Zahl. Unbestritten! Ich nenne jetzt noch eine andere Zahl: 2014 werden 20 Prozent mehr Unternehmen von der EEG-Umlage befreit als 2013. Reden wir also im Grunde über ein Nullsummenspiel? Der Bund hat es gegeben, die EU wird es wieder nehmen?
    Grillo: Nein, wir reden eben leider nicht um ein Nullsummenspiel. Das wäre einfach. Wir reden um eine weitere Belastung. Vielleicht sind im Jahr 2014 einige Unternehmen da reingekommen, die nicht berechtigt waren für die Entlastung. Das sind, wie man so schön sagt, schwarze Schafe. Missbrauch muss man selbstverständlich ausschließen. Aber die Unternehmen, die drin sind, die müssen auch weiter befreit sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass immerhin 96 Prozent aller deutschen Unternehmen die volle EEG-Umlage zahlen. Das heißt, "nur" vier Prozent sind befreit.
    "Brüssel darf deutsche Industrie nicht verscheuchen"
    Heuer: Sie bleiben dabei, es muss so bleiben, wie es im Moment ist, und können sich einen Kompromiss nicht vorstellen?
    Grillo: Natürlich müssen wir Kompromisse schließen und müssen wir warten, was in Brüssel, was in Berlin heute entschieden wird. Aber ich betone noch mal: Ich mache mir Sorgen um die deutsche Industrie. Und wenn Brüssel auch erklärtermaßen die europäische Industrie fördern will, ja den Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung von 15 auf 20 Prozent erhöhen will, dann kann es nicht sein, dass man auf der anderen Seite dann die Industrie verscheucht und gerade die deutsche Industrie, die ein wesentlicher Teil der europäischen Wertschöpfungskette ist, dann beschädigt.
    Heuer: Je weniger aber die Industrie bezahlt, Herr Grillo, umso mehr bezahlen die privaten Verbraucher. Finden Sie das gerecht?
    Grillo: Von den derzeit 22 Milliarden EEG-Umlage zahlt die Industrie, die Wirtschaft immerhin noch mehr als die Hälfte, der Bürger rund 30 Prozent. Ich möchte mal ein anderes Beispiel aufmachen: Die Entlastung der Industrie – das sind rund fünf Milliarden – kosten heute jeden Haushalt pro Monat vier Euro, also wahrscheinlich – ich bin nicht mehr Raucher – weniger als eine Schachtel Zigaretten oder zwei Gläser Bier.
    Heuer: Für manche ist das viel, Herr Grillo.
    Grillo: Das ist richtig viel, aber das führt dazu, dass 800.000 Arbeitsplätze direkt - zusätzlich muss man noch die zählen, die indirekt sind -geschützt werden. Insofern ist das meines Erachtens eine sehr gute Investition.
    "Es geht vor allem um die Beschäftigten"
    Heuer: Aber die Industrie wird entlastet, sie bekommt außerdem Steuersubventionen, und die Bürger zahlen dafür die Zeche. Verstehen Sie nicht den Unmut bei den privaten Verbrauchern?
    Grillo: Wir dürfen nicht über Subventionen reden. Es sind Entlastungen von Belastungen, die vorher draufgepackt worden sind. Und noch mal: Das ist eine gute Investition. Diese 800.000 Arbeitsplätze, wenn wir mal annehmen würden, dass sie nach und nach in die Arbeitslosigkeit gehen würden, dann wäre das pro Arbeitslosigkeit, pro Arbeitslosen 20.000 Euro, also 16 Milliarden Euro, die das kosten würde. Eine bessere Investition als fünf Milliarden Entlastung kann ich mir gar nicht vorstellen als Unternehmer. Und noch mal: Es geht wie gesagt nicht um die Industrien. Es geht vor allem um die Beschäftigten. Das darf man nicht vergessen bei allem.
    Heuer: Sie haben gesagt, Herr Grillo, dass die Energiekosten auf international wettbewerbsfähigem Niveau bleiben müssen in Deutschland, weil sonst diese schleichende Abwanderung droht. Im Moment sind die Strompreise so niedrig wie zuletzt 2005.
    Grillo: Ihr Beispiel zeigt doch genau das Gegenteil. Es kommt nicht auf die Strompreise absolut an. Wenn die gesunken sind, ist das gut.
    Heuer: Deutlich!
    Grillo: Es kommt auf den Vergleich zu den Nachbarländern an, und in Frankreich sind sie genauso gesunken wie in Deutschland. Da waren sie aber vorher schon niedrig. Und Ihr Beispiel sagt ja ganz klar, über die Grenze nach Frankreich sind die Strompreise unabhängig von den Belastungen aus EEG sehr viel niedriger. Wir zahlen in Deutschland im Durchschnitt in der Industrie 14 Cent, in Frankreich sind es neun Cent pro Kilowattstunde.
    Italien und Deutschland haben die höchsten Industriestrompreise
    Heuer: Klar! Die haben den Atomstrom, auf den die Deutschen ja verzichten wollen.
    Grillo: Wie auch immer, woher die Unterschiede kommen: Fakt ist, dass wir in Deutschland mit Italien und Deutschland die höchsten Industriestrompreise haben, und darauf müssen wir reagieren.
    Heuer: Höher als im Mittel Europas?
    Grillo: Ja.
    Heuer: Der BDI hält dieses Jahr einen Wirtschaftszuwachs von mindestens zwei Prozent für gut möglich. Warum sollten Unternehmen, denen es so gut geht, eigentlich abwandern, Herr Grillo? Die Lage ist doch gar nicht schlecht.
    Grillo: Insgesamt ist die Lage Gott sei Dank gut, und das hilft ja auch. Aber es gibt auch ein Sprichwort: Die größten Fehler werden gemacht, wenn es einem gut geht. Wir müssen an die Zukunft denken und insofern müssen wir diese gute Konstitution, die wir heute haben, erhalten und da die richtigen Entscheidungen treffen, und dazu gehört unter anderem auch ein vernünftiges Energiekostenkonzept.
    Heuer: Und wenn Ihnen jetzt Umweltschützer vorrechnen, wie Greenpeace das tut, dass die Ausbremsung der Energiewende 20.000 neue Jobs, innovative Jobs, und drei Milliarden Euro Wertschöpfung bis 2020 gefährdet, was sagen Sie dann? Wie sehr schadet das denn dem Standort Deutschland?
    Grillo: Dann sage ich da entgegenhaltend, wenn wir die EEG-Kosten nicht vernünftig umlegen auf die Betroffenen, dann verlieren wir 800.000 Jobs mindestens direkt in der energieintensiven Industrie, und ich muss sagen, das ist für mich ein großer Verlust und da mache ich mir große Sorgen.
    "Ein vernünftiges Energiekostenkonzept muss her"
    Heuer: Die Bundesregierung verhandelt mit Brüssel. Kurz zum Schluss: Was genau erwarten Sie von Berlin in dieser Auseinandersetzung?
    Grillo: Ich erwarte, ich hoffe, einen vernünftigen Kompromiss. Sie haben es vorhin erwähnt. Natürlich geht es um einen Kompromiss. In den letzten Tagen und Wochen habe ich viele Gespräche geführt und ich weiß und bin auch dankbar, dass gerade Wirtschaftsminister Gabriel und auch die Bundeskanzlerin selbst sich schon um die deutsche Industrie kümmern und intensiv mit Brüssel diskutieren, und insofern hoffe ich, ein vernünftiges Ergebnis im Laufe der nächsten Tage zu erhalten.
    Heuer: BDI-Präsident Ulrich Grillo -ich danke Ihnen für das Interview, Herr Grillo.
    Grillo: Gerne! Danke! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.