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Egon Bahr gestorben
Wegbereiter des "Wandels durch Annäherung"

Egon Bahr ist tot. Der SPD-Politiker starb im Alter von 93 Jahren. Als Bundesminister zwischen 1972 und 1976 war Bahr eine der prägenden Mitgestalter der Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt. Zudem gilt er als Wegbereiter der Ostpolitik, die später zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas führte.

20.08.2015
    Der SPD-Politiker Egon Bahr prägte die Politik in der Regierung Brandt.
    Der SPD-Politiker Egon Bahr prägte die Politik in der Regierung Brandt. (imago stock & people)
    Bundespräsident Gauck würdigte die Verdienste des SPD-Politikers bei der Annäherung an Osteuropa. Damit sei Bahr ein bedeutender Akteur der deutschen Nachkriegsgeschichte gewesen, schrieb Gauck in einem Kondolenzbrief an Bahrs Witwe.
    "Mit großer Bestürzung und tiefer Trauer haben wir in der letzten Nacht vom Tode Egon Bahrs erfahren", sagte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Die deutsche Sozialdemokratie und viele Menschen in Europa trauerten um einen "mutigen, aufrichtigen und großen Sozialdemokraten, den Architekten der deutschen Einheit, Friedenspolitiker und Europäer", sagte Gabriel.
    Auch Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher würdigte Egon Bahr für dessen politisches Wirken. "Dieser Mann hat sein Leben drei großen Zielen gewidmet: Der Freiheit Berlins, der Einheit Deutschlands und dem Frieden in Europa", sagte Genscher im Deutschlandfunk.
    Bahr prägte den "Wandel durch Annäherung"
    Die Karriere des 1922 im thüringischen Treffurt geborenen SPD-Politikers war eng mit Willy Brandt verknüpft. Bahr wirkte unter Brandt unter anderem als Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Mit Moskau und Warschau verhandelte Bahr über Verträge zu einem Gewaltverzicht und zur Normalisierung der Beziehungen. Im Jahr 1972 wurde er Bundesminister für besondere Aufgaben. Nach dem Rücktritt Brandts im Jahr 1974 wurde Bahr unter Nachfolger Helmut Schmidt (SPD) Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
    Die Annäherung an Moskau und die DDR war eine wichtige Voraussetzung zur späteren Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas. Bahr sei ein großer Vordenker mit einzigartiger politischer Tatkraft gewesen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) würdigte Bahr als mutigen Kämpfer für Frieden, Freiheit und Verständigung in Europa gewürdigt. "Als Architekt der Ostpolitik hat er gemeinsam mit Willy Brandt Deutschland und Europa verändert und Geschichte geschrieben." Bahr war erst Ende Juli noch in Moskau und hatte sich dort zusammen mit dem Ex-Sowjetpräsidenten Michail Gorbatschow für ein Ende der Entfremdung zwischen Deutschland und Russland in der Ukrainekrise ausgesprochen. 2014 sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: "Kohl hat geerntet, was Brandt gesät hat."
    Trauer auch bei anderen Parteien
    Der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Gregor Gysi, erklärte: "Mit Egon Bahr geht ein großer deutscher Politiker." Zunächst - wie er ihm selbst gesagt habe - ein "Kalter Krieger", sei er schließlich "für geregelte vernünftige Beziehungen zur Sowjetunion, zu ganz Osteuropa einschließlich der DDR" eingetreten. "Wandel durch Annäherung war sein Ziel, mehr Wandel, als wir alle erlebt haben, war letztlich nicht zu erreichen. Schon seit 1990 suchte er auch das Gespräch mit meiner Partei, mit mir."
    SPD-Vize Ralf Stegner erklärte: "Egon Bahr war ein großer Sozialdemokrat, kluger Friedenspolitiker und engagierter Europäer. Der frühere Bundesminister, Weggefährte, Berater und Freund Willy Brandts hat nicht nur die Weichen für die neue Art von Entspannungspolitik gestellt, sondern sich in seinem ganzen Leben unermüdlich für Frieden und Entspannung eingesetzt." FDP-Chef Christian Lindner twitterte: "Die neue Ostpolitik war ein Verdienst von Egon Bahr. Die Freien Demokraten trauern um einen großen Mann." Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, nur wenigen Politikern sei es vergönnt, mit einer Idee die Welt zu verändern und noch zu erleben, wie sie Wirklichkeit werde.
    Deutschlandradio-Intendant Steul: "Verneigen uns vor einem großen Kollegen"
    Bevor der gelernte Journalist Bahr in die Politik wechselte, hatte er lange Zeit als Bonn-Korrespondent für den Sender RIAS gearbeitet. Willi Steul, Intendant des RIAS-Nachfolger Deutschlandradio, würdigte Bahr als großen Kollegen. "Deutschland verliert mit Egon Bahr einen Politiker, der wie nur wenige das Momentum der Geschichte erkannt und mitgestaltet hat", so Steul weiter.
    (nch/tön/nin)