Donnerstag, 28. März 2024

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Ehe als Lebenspflicht bei Luther
"Wollüsterey" und Gattenliebe

"Mein Sinn steht der Ehe fern", schrieb Martin Luther, als er noch Mönch war. Dann heiratete er eine entlaufene Ordensfrau. Meist schrieb der Reformator recht raubeinig über die Ehe. Warum war für ihn Fortpflanzung Pflicht, Geschlechtsverkehr Sünde und seine Ehefrau "Herr Käthe"?

Von Bruno Preisendörfer | 03.10.2017
    Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) mit der Stadtkirche im Hintergrund in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt).
    Wenn es um Frauen und die Ehe ging, war Luther eher ein Raubein (dpa / picture alliance / Peter Endig)
    Als sich am 15. Juni 1525 Martin Luther in Wittenberg mit Katharina von Bora verehelicht, verliert sein sonst so geduldiger Mitstreiter Philipp Melanchthon die Fassung:
    "Unerwarteter Weise hat Luther die Bora geheiratet, ohne auch nur einen seiner Freunde vorher über seine Absicht zu unterrichten. Ich glaube, der Vorfall ist folgendermaßen zu erklären: Der Mann ist überaus leicht zu verführen, und so haben ihn die Nonnen, die ihm auf alle Weise nachstellten, umgarnt."
    Dabei hatte Luther noch im November 1524 geschrieben:
    "Bei der Gesinnung, die ich gehabt habe und noch habe, wird es nicht geschehen, dass ich heirate. Nicht, dass ich mein Fleisch und Geschlecht nicht spüre - ich bin weder Holz noch Stein, aber mein Sinn steht der Ehe fern."
    "Vorher war ich allein, nun bin ich zu zweit"
    Ordensfrauen wiederum - wie Katharina von Bora ihren Klöstern entlaufen - konnten gar nicht anders, als sich zu verheiraten. Wo hätten sie unterkommen, wie sich ernähren sollen? Viele von ihnen entstammten dem verarmten Landadel und waren von ihren Eltern nicht aus religiösen, sondern aus ganz pragmatischen Gründen in Klöstern untergebracht worden. Katharina flieht in der Osternacht 1523 mit elf weiteren Nonnen aus einem Zisterzienserinnenkloster. Für Luther ist sie, man muss es so ausdrücken, dritte Wahl. Zwei andere Ordensfrauen hatten ihn lieber doch nicht geheiratet, und auch Katharina wäre lieber mit einem Nürnberger Patriziersohn die Ehe eingegangen. Doch dessen Eltern wehren sich gegen das mitgiftlose Adelsfräulein. So bleibt der Katharina der Martin und dem Martin die Katharina.
    Und doch wird aus dieser Vernunftehe eine Liebesgeschichte. Zu den anrührendsten Äußerungen, die von Luther, dem raubeinigen Tribun der Reformation, überliefert sind, gehört eine Bemerkung aus seinen Tischreden:
    "Das erste Jahr der Ehe macht einem seltsame Gedanken. Denn wenn man am Tische sitzt, denkt man: Vorher war ich allein, nun bin ich zu zweit. Wenn man im Bette erwacht, sieht man ein Paar Zöpfe neben sich liegen, welche man früher nicht sah."
    Doch Luther wäre nicht Luther, würde er diesem sanftmütigen Staunen über die Zöpfe neben sich auf dem Kopfkissen nicht sofort hinterher poltern:
    "Ebenso verursachen die Frauen ihren Männern, wenn diese auch noch so sehr beschäftigt sind, viele unnötige Störungen."
    "Ei, soll ich so gefangen sein?"
    Und wenn erst noch Kinder dazu kommen! Gleichwohl gehört für Luther die Ehe zu den Lebenspflichten, auch wenn eine die männliche Freiheit verteidigende Vernunft noch so sehr vor ihr warnt. In Luthers Traktat "Vom ehelichen Leben" heißt es:
    "Wenn die natürliche Vernunft das eheliche Leben ansieht, so rümpft sie die Nase und spricht: 'Ach, soll ich das Kind wiegen, die Windeln waschen, Betten machen, Gestank riechen, die Nacht wachen, seines Schreiens warten, seinen Grind heilen, danach das Weib pflegen, sie ernähren, arbeiten, hier sorgen, da sorgen, hier tun, da tun, das leiden und dies leiden, und was denn mehr an Unlust und Mühe der Ehestand lehrt. Ei, soll ich so gefangen sein?'"
    Wie stark sie in Luther spricht, die Stimme dieser "natürlichen Vernunft", das ist nicht zu überhören. Aber es ist nicht die einzige Stimme, die in ihm spricht:
    "Was sagt aber der christliche Glaube hierzu? 'Ach Gott, weil ich gewiss bin, dass du mich als einen Mann geschaffen und von meinem Leib das Kind gezeugt hast, so weiß ich auch gewiss, dass dir's aufs allerbeste gefällt, und bekenne dir, dass ich nicht würdig bin, dass ich das Kindlein wiege, noch seine Windel wasche, noch sein oder seiner Mutter warte. Ach wie gerne will ich solches tun, und wenn's noch geringer und verachteter wäre.'"
    Das Eheleben wird geradezu zum Ehedienst. Kein Mann darf sich ihm entziehen, es sei denn, er wäre zur Keuschheit geboren. Und das sind die wenigsten. Luthers unaufhörliches Predigen für die Ehe im Allgemeinen und sein Einsatz für die Priesterehe im Besonderen bedeutet aber keineswegs eine Aufwertung des Leiblichen. Luther erinnert unermüdlich an das, was Paulus über das sündige Fleisch des Menschen lehrt. Der eheliche Verkehr ist für ihn nur das kleinere Übel: Besser als "die stumme Sünde" der Onanie, gesünder als das Herumhuren in Bordellen und anständiger als die "Wollüsterey" in fremden Ehebetten.
    "Ich kumm, ich kumm, ich kumm"
    Alles in allem ist der Mensch nach dem Sündenfall und nach der Vertreibung aus dem Paradies mit seiner Lust geschlagen wie mit einem Fluch. Und die Ehe ist eine Notlösung, die gewissermaßen institutionalisierte Zähmung der Sinnlichkeit:
    "Denn nun ist die Liebe nicht mehr rein, denn wiewohl ein ehelich Gemahl das andere haben will, so sucht doch auch ein jeglicher seine Lust an dem andern, und das fälscht diese Liebe. Deshalb ist der eheliche Stand nun nicht mehr rein und ohne Sünde, und die fleischliche Anfechtung ist so groß und wütend geworden, dass der eheliche Stand nun hinfort gleich einem Spital der Siechen ist, auf dass sie nicht in schwerere Sünde fallen."
    Die Fortpflanzung ist also Pflicht, der Geschlechtsverkehr aber dennoch Sünde. Wie nun verhält sich der Schöpfer zu dieser Zwangslage seines Geschöpfs? Luther nimmt an, dass Gott gewissermaßen ein Auge zudrückt.
    "Gleichwie die eheliche Pflicht nicht ohne Sünde geschieht, und doch Gott solchem Werk um der Notwendigkeit willen durch die Finger sieht, weil es nicht anders sein kann."
    Vielleicht so wie in diesem von einem anonymen Verfasser stammenden Lied: "Im Maien, im Maien, hört man die Hahnen kreien. Freu dich du schönes Bauernmaidel, wir wollen Haber saien." Haber saien, also Hafer säen, heißt es in diesem Lied, das von jungen Leuten handelt, die der Hafer sticht. Ludwig Senfl, ein Zeitgenosse Luthers, hat den anonymen Text vertont. In der zweiten Strophe heißt es:
    "Pumb, Maidlein pumb! Ich freu mich dein ganz umb und umb. Wo ich freundlich zu dir kumm, hinter dem Ofen umb und umb. Freu dich du schönes Bauernmaidel. Ich kumm, ich kumm, ich kumm!"
    "Lass sie sich nur tottragen"
    Während sich in Senfls deftigem Lied die Bauernmaid freuen soll, wird in Luthers strenger Sexualmoral das Weib aufgefordert, seine eheliche Pflicht zu erfüllen.
    "Wo nun eins sich sperrt und nicht will, da nimmt und raubet es seinen Leib, den es gegeben hat dem andern; das ist wider die Ehe, und die Ehe ist zerrissen. Darum muss hier weltliche Obrigkeit das Weib zwingen oder umbringen."
    Haben wir recht gehört? "Umbringen!" Das ist nicht etwa eine Entgleisung oder eine nicht ganz wörtlich zu nehmende Übertreibung. Es ist die tatsächliche Auffassung eines Mannes, der nicht nur das Weltliche und das Religiöse voneinander scheidet, sondern auch den Geist vom Fleisch, die Seele vom Leib, das himmlische Heil vom irdischen Glück. Die Keuschheit vor der Ehe und die Sexualpflicht in ihr werden der Kontrolle der weltlichen Obrigkeit unterstellt. Der evangelische Pfarrer gibt bloß seinen Segen dazu. Aber nur im übertragenen Sinn. Denn Luther spricht der Ehe die sakramentale Würde ab, die ihr, beginnend im 12. Jahrhundert, von der römisch-katholischen Kirche nach und nach zugeschrieben worden war – bis zur endgültigen Bekräftigung auf dem Trienter Konzil in der Mitte des 16. Jahrhunderts.
    Wie immer in wichtigen Glaubensfragen beruft Luther sich dabei auf die Bibel, in der nirgends von einer besonderen Heiligkeit der Ehe die Rede sei. So wenig wie von einer Pflicht der Priester zur Ehelosigkeit. Auch Pfarrer seien Männer, unterliegen also der "Schwachheit", wie Luther den Sexualtrieb bezeichnet. An einer anderen Stelle seiner Abhandlung – oder sollte man sagen: seiner Kampfschrift "Vom ehelichen Leben?" – äußert er mitleidige Verachtung für kinderlose Frauen und fordert die weibliche Bereitschaft zum Opfertod im Kindbett:
    "Daher man auch sieht, wie schwach und ungesund die unfruchtbaren Weiber sind; die aber fruchtbar sind, sind gesünder, reinlicher und lustiger. Ob sie sich aber auch müde und zuletzt tottragen, das schadet nicht, lass sie sich nur tottragen, sie sind drum da."
    "Die Welt kann ohne Frauen nicht bestehen"
    Wenn aber die Frau die Geburt überlebt, so Luther, soll sie den Kindern eine gute Mutter, dem Mann eine gehorsame Gefährtin und dem Haushalt eine sparsame Vorsteherin sein. Wenn das gelingt, kann sich Luther auch schon mal zu einem Lob der Frau hinreißen lassen.
    "Frauen reden über die Dinge des Haushalts mit großer Liebe und außerordentlicher Beredsamkeit, und zwar so, dass sie sogar Cicero in den Schatten stellen."
    Dieses Lob wird aber sofort zum Tadel, wenn die Frauen ihre von Gott und Luther gezogenen Grenzen überschreiten:
    "Wenn sie über ihre Haushaltsfragen hinaus über öffentliche Angelegenheit reden, so taugt das nichts. Denn wenn es ihnen auch an Worten nicht fehlt, so fehlt es ihnen doch am richtigen Verständnis für die Sache."
    Haus und Familie sind zugleich Bannkreis der Frau und Fundament des gesamten menschlichen Lebens. Darin liege Wesen und Wert der Ehe, keineswegs bloß im Kindergebären.
    "Stellt euch vor, es gäbe das weibliche Geschlecht nicht. Das Haus und was zum Haushalt gehört, würde zusammenstürzen, die Staaten und die Gemeinden gingen zugrunde. Die Welt kann also ohne Frauen nicht bestehen, sogar wenn die Männer die Kinder selbst auf die Welt bringen könnten."
    Selbst wenn die Männer die Kinder selbst auf die Welt bringen könnten, bräuchten sie immer noch Frauen, die den Abwasch machen. So ließe sich diese Haltung sarkastisch zusammenzufassen.
    "Das Bier riecht nach dem Fass"
    Luther hat bekanntlich damit kokettiert, seine Katharina als "Herrn Käthe" zu bezeichnen, im Sinne von "mein Herr, die Käthe". Ganz ähnlich, wie noch heute mancher Gatte die Gattin als "Chefin" zu titulieren pflegt.
    Doch wie es um die eheliche Machtbalance in jedem Einzelfall auch immer bestellt sein mag, mit Eva aus der Mannesrippe und der schrecklichen Erkenntnis, dass man nackt ist, fing alles an: die ganze lange Unheilsgeschichte der Menschheit mit Mord und Totschlag, Frauenraub und Eheintrigen, Erbschleicherei und Bruderkrieg, Sodom und Gomorrha. Und immer schlagen die "Weiber" der Eva nach und alle Töchter ihren Müttern. Deshalb rät Luther:
    "Wenn man heiraten will, soll man nicht nach dem Vater, sondern nach dem Leumund der Mutter des jungen Mädchens fragen. Warum? Weil das Bier im allgemeinen nach dem Fass riecht."
    Der wenig charmante Vergleich stammt unmittelbar aus Luthers Alltag. Katharina weiß: Wenn sie ihrem Doktor stets eine Kanne selbst gebrauten Biers vorsetzt, ist er glücklich. Wie sie überhaupt eine tüchtige Hausfrau ist, und außerdem eine geschäftstüchtige Vermögensverwalterin, die sie nach der Geschlechterlehre ihres Mannes gar nicht sein dürfte.
    Nachdem Luther im Februar 1546 stirbt, dick gefüttert, aber erschöpft vom ewigen Schreiben, Predigen und Organisieren der Reformation, gibt die Witwe in einem Brief noch einmal eine bewegende Liebeserklärung ab:
    "Denn wer wollte nicht billig betrübt und bekümmert sein um einen solchen teuren Mann, als mein lieber Herr gewesen ist, der nicht allein einer Stadt oder einigen Ländern, sondern der ganzen Welt viel gedient hat. Deshalb ich wahrlich so sehr betrübt bin, dass ich mein großes Herzeleid keinem Menschen sagen kann und nicht weiß, wie mir zu Sinn und zu Mut ist. Ich kann weder essen noch trinken, auch dazu nicht schlafen."