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Ehe für alle
Viel Aufregung kurz vor dem Standesamt

Morgen soll im Bundestag über die Ehe für alle abgestimmt werden. Bei den Rechten von Verheirateten soll dann künftig kein Unterschied mehr gemacht werden, ob sie hetero oder homosexuell sind. Ein lesbisches Paar, das am Montag zum Standesamt geht, hat die Entscheidung etwas durcheinander gebracht.

Von Kemal Hür | 29.06.2017
    Ringe liegen am 28.06.2017 in Bremen auf einer Urkunde zu einer Lebenspartnerschaft. Frauen können Frauen heiraten, dürfen ihre Beziehung aber nicht Ehe nennen. Bislang unterscheidet das deutsche Gesetz zwischen heterosexuellen und gleichgeschlechtliche Paaren.
    Ehe für alle (dpa / picture alliance / Jörg Sarbach)
    "Warte, warte, nochmal. Was ist jetzt beschlossen? Ich hab gar nichts mitbekommen." "Also, Merkel hat jetzt gesagt…"
    Lilli ist völlig aus dem Häuschen, als ihre Partnerin Sabrina erzählt, dass der Bundestag morgen über die Ehe für alle abstimmen wird. Die beiden Frauen haben sich Monate lang auf den kommenden Montag gefreut. Dann platzt diese Nachricht herein. Am Montag haben sie einen Termin beim Standesamt, um ihre Lebenspartnerschaft eintragen zu lassen.
    "Und weil wir am Montag heiraten, haben die Kollegen schon Späße gemacht, von wegen, oh, ihr könnt wirklich heiraten. Und es ist nicht nur diese Verpartnerung."
    Sabrina Kutz und Lilli Dörr haben überlegt, ob sie ihren Termin für die Verpartnerung absagen und warten, bis sie später die vollwertige Ehe schließen können. Aber sie belassen es dabei; denn ihre Feier und die Hochzeitsreise sind schon lange organisiert.
    "Wenn die Abstimmung erfolgreich ist, dann, haben wir überlegt, ob wir die Standesbeamtin nicht anrufen und fragen, ob sie diese 'Homoformulare' nicht weglässt und die Termini nicht so lässt, wie sie sich gehören, nicht immer diese umständlichen Lebenspartnerschaft - anstatt Ehebausteine benutzen könnte. Ich weiß nicht, ob sie es darf, aber es wäre ja erstmal ein erster Schritt. Bis es so weit ist, dauert es ja bestimmt noch eine Weile."
    "Ja, aufschieben nicht, aber vielleicht nachholen. Vielleicht muss man dann nochmal hin, damit es dann die Ehe ist. Wir machen dann auf jeden Fall noch eine fette Party, wenn das durch ist. Ja, genau, die zweite."
    Lilli ist 24 und studiert Ergotherapie. Die zwei Jahre ältere Sabrina arbeitet als Psychologin beim Lesben- und Schwulenverband in Berlin. Die überraschende Entscheidung der Bundeskanzlerin, die Ehe für alle zu einer Gewissensentscheidung zu erklären, halten die beiden Frauen für eine Wahlkampftaktik. Merkel habe die mehrheitliche Zustimmung in der Bevölkerung erkannt und sich ihr angeschlossen. Darin sind sich Sabrina und Lilli einig.
    Einig sind sie sich auch in ihrer Haltung gegenüber dem Widerstand aus den Reihen der Union. In der Diskussion darüber aber zeigen sich ihre unterschiedlichen Temperamente. Lilli, die kleine zierliche der beiden, ist die ruhigere in der Partnerschaft. Sabrina kann ihren Ärger kaum zügeln.
    "Mir tut's nicht weh, sondern ich denke mir eher: Schade für dich, dass du es nicht anders sehen kannst, oder dass du vielleicht alte Denkmuster nicht aufbrechen kannst, oder dass du aus deiner Haut nicht kannst. So gehe ich eher damit und der Welt um."
    Vorstellung von Familie ändert sind
    "Ich sehe das tatsächlich oft anders. Es nimmt mich auch mehr mit. Ich habe oft das Gefühl, dass das darauf hinausläuft, dass am Ende jemand sagt: Ich stehe über dir. Ich bin irgendwie mehr wert als du; denn du kannst nicht Familie sein. Was ja auch immer die Hauptargumente sind. Es gibt keine Familie, also gibt es auch keinen Anspruch auf Ehe. Und das macht mich tatsächlich wütend, weil wir beide auch Familie sein wollen. Wir sind Familie zu zweit. Wir möchten vielleicht auch Kinder und sind Familie mit Kindern."
    Auch bei diesem Thema kann sich Sabrina aufregen. Denn im Unterschied zu heterosexuellen Paaren seien gleichgeschlechtliche Partner in der Adoption bis jetzt genauso benachteiligt wie bei der Anerkennung der Partnerin als gesetzlich Verantwortliche für das Kind.
    "Die Mutter, die das Kind zur Welt bringt, ist die biologische Mutter. Sie ist nach deutschem Recht auf jeden Fall die Mutter. Da es aber in Deutschland noch nicht möglich ist, Elternteil Eins und Zwei auf einer Geburtsurkunde einzutragen, sondern nur Mutter und Vater, hätte ich die Wahl entweder zu sagen, ich gebe den biologischen Vater an oder nicht. Das heißt, im nächsten Schritt muss dann die andere 'soziale Mutter' – so wird das ja genannt – das Kind adoptieren, was ja heterosexuelle Paare nicht müssen. Wenn da ein neuer Mann in die Familie kommt, ist er der Stiefvater."
    Doch sie wollen sich nicht weiter über dieses Thema aufregen; sie seien beide im gebärfähigen Alter und hätten noch Zeit für ihre Kinderplanung. Erstmal steht der Termin beim Standesamt an. Und da merkt man, dass sich die Themen von Homosexuellen und Heterosexuellen vor der Trauung nicht unterscheiden: Es geht um die Kleiderauswahl.
    "Wir müssen unbedingt zur Schneiderin. Das Hochzeitskleid ist fertig. Die Schleppe wurde abgeschnitten; ich muss es nur anprobieren."
    "Auch ein bisschen kurz vor knapp, ne?"
    "Ja, wie das manchmal eben ist. Ich hoffe, es passt noch. Die letzten Wochen habe ich ja gut gegessen."
    "Ich hab dir gesagt, das hättest du lassen sollen."
    "Ich weiß, ich weiß."