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Ehe zweier Künstler

In ihrer Doppelbiografie "Jackson Pollock und Lee Krasner" zeichnet Ines Janet Engelmann die komplizierte symbiotische Beziehung des Künstlerpaares nach. 1941 lernen Krasner und Pollock die Bilder ihres Gegenübers in der Ausstellung "American and French Paintings" kennen. Tief beeindruckt stellt Lee Krasner sich und ihre Kunst bald hinten an. Sie bleibt an Pollocks Seite, erträgt seine Trunksucht, hilft ihm, fördert ihn.

Von Simone Hamm | 03.01.2008
    Als sie 21 Jahre alt ist, portraitiert sich Lee Krasner: große Augen, volle rote Lippen, eine markante Nase. Fast trotzig ist ihr Blick, wie sie da vor der Leinwand steht in blauer Bluse und weißer Schürze. Es ist 1930, sie studiert an der New Yorker Zeichenakademie und an einer Kunstschule. Ihre Lehrer sind begeistert von ihr. Regelmäßig stellt sie ihre Bilder aus. Piet Mondrian lobt den starken, inneren Rhythmus ihrer Gemälde. Immer und wieder überarbeitet Lee Krasner ihre Kunst. Hier entsteht nichts spontan, ist nichts dem Zufall überlassen.

    Im gleichen Jahr kommt Jackson Pollock nach New York. Auch er malt sich selbst: Aus dem dunklen Nichts taucht das Gesicht eines verängstigten Jungen mit riesigen braunen Augen auf. Die Quelle seiner Malerei, so Jackson Pollock, sei das Unbewusste.

    1941 zeigen Krasner und Pollock ihre Bilder auf in der Ausstellung "American and French Paintings". Als Lee Krasner Pollocks Gemälde sieht, ist sie tief beeindruckt. Sie besucht ihn in seinem Atelier. Sie wird seine Gefährtin. Lee Krasner stellt sich und ihre Kunst hinten an. Sie ist an seiner Seite, erträgt seine Trunksucht, hilft ihm, fördert ihn. "Ich wäre längst schon tot, wenn es sie nicht gäbe", wird er später einmal sagen. Weil Krasner glaubt, dass es Pollock auf dem Lande besser gehen würde, (da gäbe es zumindest weniger Bars) ziehen sie 1945 nach Long Island. Sie sind arm, leben spartanisch. Über ein Jahr lang renovieren sie ihr Haus. Zum Arbeiten kommen sie zunächst nicht.

    "Jackson Pollock und Lee Krasner" heißt die Doppelbiografie von Ines Janet Engelmann. Sie zeigt die komplizierte symbiotische Beziehung zweier Künstler - und wie sie sich widerspiegelt in deren Bilder.

    " In diesem Jahr 1946 beginnen beide wieder regelmäßig zu arbeiten. Vergessen scheinen bei Pollock quälende Selbstbefragungen, düstere Gebilde aufgestiegen aus dem Inneren. "Shimmering Substance" entsteht in diesem ersten Sommer nach dem Umzug. Ein Flirren, ein Flimmer aus lockeren Schwüngen, die aus dem Handgelenk leichthin gesetzt sind. Nach und nach erschließt sich ein gelb leuchtender Kreis in eleganter Leichtigkeit... Wie ein dicker Panzer hingegen liegt die pastose Farbe in Krasners "Noon" auf der Leinwand. Ihr Bild ist gleichmäßiger, wirkt überlegter, erinnert an Mosaike. "

    Pollocks wilde Ausbrüche, Krasners ordnender Verstand finden sich wieder in ihren Werken. Auf über 50 Abbildungen sind die wichtigsten Gemälde der beiden Künstler miteinander zu vergleichen. "Shimmering substance" und "Noon" etwa sind auf zwei sich gegenüberstehenden Seiten zu sehen.

    " Beide (Künstler) arbeiten im Allover-Stil, bei dem die Leinwand relativ gleichmäßig mit abstrakten Formen überzogen ist - ohne Anfang und ohne Ende, beschränkt nur durch die Größe des Bildträgers. Ob Krasner Pollock dazu inspiriert hat oder umgekehrt, ist nicht festzustellen. Krasner wird später behaupten, Pollock habe den Allover-Stil initiiert, sie ihn unterstützt. Doch vielleicht ist das eine der Legenden, die sie retrospektiv um ihn spinnt. "

    Denn Lee Krasner arbeitet hart, vor allem an Jackson Pollocks Karriere. Pollock wird aufsteigen und von Kritikern zum größten amerikanischen Künstler erklärt werden. Lee Krasner wäre ein perfektes Beispiel für Klaus Theweleit. In seinem "Buch der Könige" schreibt Theweleit über die Frauen an der Seite großer Künstler. Sie arbeiten für die Männer bis zur völligen Erschöpfung - und bis sie fallen gelassen werden, meist für eine Jüngere, die noch nicht so abgearbeitet ist und die ihren Platz nur allzu gerne einnimmt. Wie sind, fragt Theweleit, die Kunstwerke konstruiert, für die die Frauen geopfert werden? Was sind das für Frauen, die wie Girlanden das Wirken so vieler schöpferischer Männer umranken; inspirierende, beseelende Frauen, nobilitierend Musen genannt in den Bilanzen der Wechselfälle der Kunstproduktion.

    Krasner steht Pollock stets bei. Sie ist begeistert, als er beginnt, sich ungewöhnlicher Techniken zu bedienen. Pollock arbeitet mit Stöcken, ausgetrockneten Pinseln, die er in Farbe taucht und über die Leinwand hält, ohne diese zu berühren. Dripping (Tropfen) und Pouring (Gießen) sind seine Techniken.

    " Dass Pollock seine Technik des Dripping so weit entwickeln konnte und er allmählich Anerkennung erntet, ist wesentlich Krasner zu verdanken. Ihrer Ermutigung, Fürsprache und ihrem Talent, ihm ein angenehmes Umfeld zuschaffen. "

    Ines Janet Engelmann findet keine Antwort auf die Frage, warum Krasner sich so in den Schatten Pollocks gestellt hat. Krasner ist sicher nicht so genial wie Pollock, nicht so herausragend. Aber den Vergleich mit den vielen anderen Künstlern ihrer Epoche braucht sie keinesfalls zu scheuen. Ines Janet Engelmann betont das gemeinsame Arbeiten des Paares, den wechselseitigen Einfluss, betont aber auch immer wieder die Verschiedenheit der Gemälde.

    " Seine Werke bleiben nicht ohne Einfluss auf die ihrigen, bei denen sie ebenfalls mit verdünnter Farbe arbeitet. Doch ihre undurchdringlichen Gespinste sind von einer Gleichmäßigkeit, die denen ihres Mannes fremd ist. So bilden in Continuum schwarze und weiße filigrane Flächen ein undurchdringliches, einer Dornenhecke ähnelndes, aber wohl organisiertes Muster, weit von den ungehemmten Bildfindungen ihres Mannes entfernt. "

    Jackson Pollock verausgabt sich völlig. Berühmt geworden sind Fotografien und ein Film aus dem Jahre 1950 von Hans Naumuth, die festhalten, wie Pollock arbeitet. Er schleudert Farbe auf die Leinwand, er wirkt manisch, verzweifelt, genialisch. Lange kann er nicht so kraftvoll arbeiten. Pollock gerät in eine schwere Krise. Er malt immer weniger. Er trinkt mehr und mehr. Sein Ruhm ist längst ein Fluch geworden.

    Krasner arbeitet weiter, löst sich zum ersten Mal von dem großen Jackson Pollock, macht einige Ausstellungen, verkauft Bilder. Den ganz großen Erfolg wird sie nie haben. Aber genau das gereicht ihr zum Vorteil:

    " Keinen Riesenerfolg gehabt zu haben in meinem Leben, war, am Ende, eine Wohltat. Ich kann mir nun leisten zu tun, was ich will. "

    Ines Janet Engelmann beschreibt die Entwicklung Lee Krasners von einer abhängigen Ehefrau hin zu einer eigenständigen Persönlichkeit. Wirklich befreien von Pollock kann sich Krasner erst nach dessen Tod. Engelmann schildert aber auch Pollocks Abhängigkeiten: die vom Alkohol, die von der Bestätigung seiner Frau. Die Ehe der beiden ist die Folie, auf der die Gemälde entstehen. So ist eine außergewöhnliche Künstlerbiografie entstanden, spannend, lebendig. Und eine beeindruckende Werkschau von Pollock und Krasner. Ihre Gemälde kann man nach der Lektüre sicher besser einordnen, besser verstehen. Nur eines hätte man sich gewünscht: ein sorgfältigeres Lektorat, das die kleinen Grammatikfehler verbessert hätte.

    Die Liebenden von einst sind einander nur noch Last. Pollock sucht sich eine junge Geliebte. Krasner will, dass er sich für sie oder für die andere entscheidet, nur entscheiden soll er sich. Pollock betrinkt sich immer häufiger hemmungslos und liebt es, sich dann ins Auto zu setzen und davon zu rasen. 1956 - Pollock hat seit 18 Monaten kein Gemälde mehr beendet - verunglückt er bei einem Autounfall tödlich.

    Lee Krasner wird ihn um28 Jahre überleben.1984 stirbt sie und wird neben Pollock beigesetzt.

    Ines Janet Engelmann: Jackson Pollock und Lee Krasner. Janet Engelmann. Prestel. 96 Seiten