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EHEC-Quelle Mensch

Medizin. - Seit Wochen fahnden Forscher unter Hochdruck nach der Quelle des EHEC-Ausbruchs in Norddeutschland. Die Behörden warnen: Gurken, Salat, Tomaten und Sprossen könnten mit dem Erreger verseucht sein. Aber die Kernfragen sind bislang ungeklärt: Woher kommt der EHEC-Stamm O104 überhaupt? Und wie ist der Keim überhaupt in unsere Nahrungsmittel gelangt? Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Mensch die Quelle des Ausbruchs ist.

Von Marieke Degen | 09.06.2011
    Der EHEC-Stamm O104:H4. Für Lothar Beutin ist das ein alter Bekannter: Vor zehn Jahren ist er dem Keim zum ersten Mal begegnet, damals hat er am Robert-Koch-Institut gearbeitet.

    "Wir haben das Instrumentarium aufgebaut, um EHEC zu erkennen, hauptsächlich von Shiga-Toxinen. Das war nicht so einfach, das musste man selber machen, heute gibt es viele Kits von der Industrie. Damals haben wir eben für Laborärzte oder Krankenhäuser solche Untersuchungen gemacht, und da war das einer der vielen Fälle, ich hab mir den Einsendezettel noch angesehen, ich hab den noch da."

    Auf dem Zettel stand nicht viel. Eine Probe von einem Mädchen aus Köln, sechs Jahre alt und schwer krank: Durchfall und HUS. Lothar Beutin und seine Kollegen konnten den Keim genau bestimmen, Typ O104:H4. Ein neuer Stamm. Ein Einzelfall, hat Lothar Beutin damals gedacht.

    "Und so kam der in unsere Sammlung und blieb eigentlich ein Exot, bis heute. "

    Heute leitet Lothar Beutin das nationale Referenzlabor für E.coli am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. O104:H4 ist in den letzten Jahren immer mal wieder aufgetaucht.

    "Es gab auch Isolate 2005 oder 2006 in Korea, und es gab auch einen Ausbruch, habe ich heute gerade erfahren, einen Ausbruch in Georgien, im Kaukasus 2009."

    Erst jetzt, wo der Keim in Norddeutschland grassiert, erst jetzt haben sich die Forscher das Erbgut des Erregers mal ganz genau angesehen. Die große Überraschung: O104:H4 ist kein klassischer EHEC-Erreger. Es handelt sich um eine Mischform. Der Keim besitzt ein paar EHEC-Gene. Deshalb kann er die gefährlichen Shiga-Toxine bilden und HUS auslösen. Aber die meisten Gene stammen von einer anderen Sorte E.coli:

    "Das sind die enteroaggregativen E.Coli, kommen weltweit vor, die machen lang anhaltende Durchfälle, sind sehr am Menschen spezialisiert, sozusagen als Wirt."

    EHEC-Erreger leben im Darm von Rindern, Schafen und Ziegen. Doch die enteroaggregativen E.coli, die kommen nur beim Menschen vor. Die Mischform O104:H4 ist noch nie bei Tieren gefunden worden. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass ein Mensch den Keim ausgebrütet hat, im Darm, wo sich Billiarden von Bakterien tummeln. E.coli-Bakterien tauschen ganz gerne Gene aus. So könnte O104 irgendwann einmal entstanden sein. Das bedeutet aber auch: Wahrscheinlich hat ein Mensch den Keim in die Nahrungskette geschleust und den Ausbruch in Norddeutschland verursacht.

    "Im Produktionsprozess, wie man im Englischen so schön sagt, from farm to fork, vom Gutshof bis zur Gabel, kann viel passieren. Und wir wissen nicht, wo - da gibt’s auch verschiedene neuralgische Punkte, je nach Lebensmittel, wo das verschmutzt worden sein kann. Wo das auch größere Chargen sein können."

    Der Sprossenbetrieb in Bienenbüttel steht da immer noch unter Verdacht. Drei Mitarbeiterinnen waren an EHEC erkrankt, eine davon bereits im Mai.

    "Es ist ja so, wenn da wirklich Personal ist, egal jetzt Frauen, Männer, die diesen Keim in sich tragen, dann gibt es natürlich eine Zeit, wo die gar nicht merken, dass sie krank sind."

    Trotzdem können sie da schon Keime ausscheiden und so ganz unbewusst Lebensmittel verseuchen.

    "Nicht jeder, der aufs Klo geht, wäscht sich danach die Hände, man sieht das ja nicht, wenn der aus dem Klo rauskommt, sag ich mal, dann ist das natürlich möglich. Und da müsste man gezielt gucken, an welchem Punkt der Sprossenproduktion könnten da größere Mengen theoretisch kontaminiert werden, so nennt man das."

    Sprossen werden in großen Bottichen angesetzt, bei einer Temperatur von 37 Grad. Für E.coli-Bakterien ist das ideal. Auf diese Weise könnte eine große Charge Sprossen verseucht worden sein. Aber ob das wirklich so passiert ist, das kann Lothar Beutin noch nicht sagen. Auf seiner Laborbank liegen hunderte von Proben aus dem Sprossenbetrieb, die Forscher untersuchen sie alle auf O104:H4.

    "Und wir hoffen, dass wir da noch was finden. Hoffen insofern nicht, um den Betrieb schlechtzumachen, sondern um die Sache zu erklären."

    Bis jetzt haben sie den Keim aber noch nicht gefunden.