Donnerstag, 28. März 2024

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Ehekrieg-Klassiker
Herrische Verführerin und winselnde Bittstellerin

Martin Kusej inszeniert den Ehekrieg-Klassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" am Münchner Residenztheater. Die vier Schauspieler bieten dabei einen spannungsvollen Theaterabend, der sehr vom Text lebt.

Von Rosemarie Bölts | 19.09.2014
    Das undatierte Foto zeigt eine Probenszene aus dem Stück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf". Zum Spielzeitstart der Münchner Residenztheaters hat Intendant Martin Kusej den legendären Absacker von Edward Albee auf die Bühne gebracht.
    Szene aus "Virginia Woolf" am Münchner Residenztheater. (picture alliance / dpa / Münchner Residenztheater / Andreas Pohlmann)
    Die offizielle Party am College ist vorbei. Jetzt, zuhause in den eigenen vier Wänden, geht die Hölle aber erst richtig los:
    "Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Wer hat Angst vor Virginia Woolf?"
    "FUN AND GAMES" werden in großen, giftgrünen Lettern auf dem Bühnenvorhang zum Saisonstart angekündigt. Von wegen "Spaß und Spiele"! Es ist in Edward Albees Stück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" 2 Uhr in der Früh. Und was darin Martha und George an Essenz ihrer 23-jährigen Ehe abziehen, ist ein Gruselschocker der besseren - also ihrer -Kreise. Er glanzloser Professor für Geschichte, sie frustrierte Hausfrau und ewige Vatertochter des Direktors des Colleges. Sie ersparen einander nichts, jeder Satz eine Gemeinheit, jedes Wort ein Schlag unter die Gürtellinie, jede Bewegung eine Provokation. Als "Spiele mit festen Regeln" bezeichnen Martha und George ihre Grausamkeiten. Es ist Sado-Maso vor der scheinheiligen Fassade der Bürgerlichkeit, in der der gute Ton den vernichtenden Untertönen gewichen ist:
    - "Martha!"
    - "Er sollte abgerichtet werden, er sollte einmal in Papas Fußstapfen treten. Papa fand das auch keine schlechte Idee, bis er sich seinen Schwiegersohn genau angesehen hat."
    - "Hör auf!"
    - "Einen Dreck werde ich! Denn du hast ja einen großen Mund! Denn du bist ein Versager! Versager!"
    - "Ich habe dir gesagt, du sollst aufhören!"
    Hohe Qualität der schauspielerischen Leistung
    Nach so langer Übung funktioniert das am besten vor Publikum. Vor den beiden jungen "Gästen" Nick und Honey und dem älteren Premierenpublikum im voll besetzten Residenztheater, das sich, gemessen am verhaltenen Schlussapplaus, durchaus betroffen fühlen konnte. Das ist nicht so sehr das Verdienst der Inszenierung an sich, sondern die Konzentration auf die hohe Qualität der vier Schauspieler. Sie machen die Spannung des Abends aus, weil sie den wuchtigen Text buchstäblich verkörpern, allen voran die zur "Schauspielerin des Jahres" gekürte Bibiana Beglau. Eben noch herrische Verführerin, ist sie im nächsten Moment winselnde Bittstellerin, um abrupt wieder als Salonlöwin Gift zu sprühen, zu keifen, zu brüllen, oder zwischendrin ermattet mit Ehemann George auf dem Boden zu liegen. Kein Sieg für niemanden:
    - "Es gibt keinen Scheißpunkt, an dem wir beide uns treffen können, schon lange nicht mehr."
    - "Mit einem Nichts kann man sich auch nicht treffen. Und du bist ein Nichts."
    - "Ich warne dich, Martha, ich reiße dich in Stücke."
    - "Totaler Krieg."
    - "Total."
    Norman Hacker als George ist Bibiana Beglau absolut ebenbürtig. Ein Schlaffi im angesagten schwarzen Anzug mit Polohemd und versoffenem Gesicht, der sich nur noch mit Zynismus erbarmungslos gegen sich und andere wehren kann. Johannes Zirner als blonder Recke mit geschwollener Brust und beflissenem Karrierebewusstsein gibt den verklemmten Aufsteiger. Und das neue Ensemblemitglied Nora Buzalka spielt das spitzbusige Dummerchen in ihrem Etuikleid so unbedarft bis zum Geht-nicht-mehr ewig weglächelnd, dass einem jeglicher Lacher im Hals stecken bleibt.
    Der Text ist alles
    Der Text ist alles. Und so hat Regisseur und Hausintendant Martin Kuseij auch inszeniert. Eine Art Laufsteg ist die schmale, weiße Bühne. Davor, genauer darunter, liegen Haufen von zerbrochenem Glas. Gläser und Flaschen sind auch die einzigen Requisiten, die die Protagonisten dauernd in der Hand halten und in regelmäßigen Abständen ins Glasscherbentrümmerfeld kippen. Hinreichende Symbolik. Soweit, so gut.
    Nicht so gut die weißen, unbearbeiteten Baumarktplatten, die nichtssagend als Kulisse fungieren. Noch weniger gut das Stückeln des Textes in einzelne Tableaus. Immer dann, wenn der Text dramatisch auf den Höhepunkt zuläuft, wird er durch Blackout auf der Bühne und Neonlicht gegen Publikum unterbrochen. Das hat fulminant in Kuseijs Inszenierung der "Bitteren Tränen der Petra von Kant" funktioniert. Bei "Virginia Woolf" wirkt es eher kraftlos. Wenn nicht diese Schauspieler wären!