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"Eher eine Entscheidung aus Ratlosigkeit, denn aus Überzeugung"

Die Fußstapfen von Roland Koch werden seinem Nachfolger Volker Bouffier in gewisser Weise zu groß sein, meint der Grünen-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Tarek Al-Wazir. Es sei ihm schleierhaft, wie Bouffier einen Neuanfang in der Hessen-CDU verkörpern solle.

Tarek Al-Wazir im Gespräch mit Jochen Spengler | 26.05.2010
    Jochen Spengler: In Hessen soll Innenminister Volker Bouffier die Nachfolge von Ministerpräsident und CDU-Landeschef Roland Koch antreten. Der hatte gestern überraschend angekündigt, sich in den kommenden Monaten aus allen politischen Ämtern zurückzuziehen. Der 52 Jahre alte Wirtschaftsjurist führte die Landesregierung mehr als elf Jahre. – Am Telefon ist nun Tarek Al-Wazir, Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag, der vielen als heimlicher Oppositionsführer gilt und als einer der wenigen, der dort dem Noch-Regierungschef Koch rhetorisch und intellektuell das Wasser reichen konnte. Guten Morgen, Herr Al-Wazir.

    Tarek Al-Wazir: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Sie verlieren einen Gegner auf Augenhöhe. Werden Sie ihn vermissen?

    Al-Wazir: Da denke ich seit gestern Abend drüber nach. Vermissen ist vielleicht zu viel gesagt, aber natürlich wird auch mir was fehlen, jetzt nicht inhaltlich, sondern man gewöhnt sich halt auch irgendwie aneinander im Laufe von einer so langen Zeit. Ich habe gestern eine SMS von einem Freund bekommen, der sagt, er weiß nicht, ob er sagen soll "Glückwunsch" oder "Beileid", weil er hat uns ja irgendwie auch den Triumph der Abwahl genommen, dadurch, dass er jetzt selber geht.

    Spengler: Ja. – Sie kennen ihn eigentlich wie wir alle als Polarisierer. Kennen Sie ihn auch noch anders, als ihn die Öffentlichkeit kennt?

    Al-Wazir: Er ist sicherlich jemand, der in dieser Hessen-CDU groß geworden ist im wahrsten Sinne des Wortes, und diese Hessen-CDU ist ja was Besonderes, was sich so ja auch selbst Kampfverband manchmal genannt hat. Da ist er so, wie man es denkt. Aber an bestimmten Punkten ist er sehr viel klüger und sehr viel nachdenklicher, als er es nach außen zugegeben hat.

    Ein Beispiel: Ich weiß, dass er vor Jahren schon angefangen hat, mit Professoren über die Frage zu diskutieren, ob nicht eigentlich ein muslimischer Religionsunterricht nötig ist. Das ist nun was, was man von Roland Koch nicht unbedingt erwartet. Er ist dann allerdings wieder typisch Koch und Hessen-CDUler gewesen, weil er sich nicht getraut hat, es umzusetzen mit seiner absoluten Mehrheit, weil er einfach in seiner Fraktion Leute hat, gegen die er sich auch nie gewehrt hat, die gesagt haben, so etwas geht nur über meine Leiche. Insofern: Er ist klüger, als es manchmal nach außen scheint, und auch nachdenklicher, als es manchmal nach außen scheint.

    Spengler: Ich spüre aus Ihren Worten einen gewissen Respekt?

    Al-Wazir: Das ist so. Es gibt so etwas wie einen professionellen Respekt, der unser Verhältnis auch immer geprägt hat, wobei natürlich auch dazu gehört die Art und Weise, wie er ins Amt gekommen ist, Stichwort Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, oder wie er 2008 versucht hat, es zu behalten, Stichwort Kampagne Jugendkriminalität. Ich wurde mal gefragt, ob ich ihn für einen Rassisten halte; ich habe gesagt, ich würde ihn niemals als Rassisten bezeichnen, aber was ich ihm immer vorwerfe ist, dass er mit solchen Gefühlen spielt, die es bei anderen Leuten gibt.

    Spengler: Vor zwei Jahren, wenn Sie das schon ansprechen, 2008 war es, hat Roland Koch ja mit einem sehr umstrittenen Wahlplakat für die CDU geworben. Darauf stand "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen". Hat Sie das eigentlich persönlich verletzt?

    Al-Wazir: Als ich das damals erfahren habe, dass das der Slogan der CDU für die letzten zwei Wochen sein sollte, war meine erste Reaktion eher, jetzt fällt ihm gar nichts mehr ein. Ich habe das immer versucht, auch wegzuhalten, und natürlich haben auch wir mit der Person Koch auf Plakaten Wahlkampf gemacht. Der Punkt ist, dass wir in Hessen immer eine sehr – wie soll man sagen? – vergiftete politische Atmosphäre auch hatten, weil diese Hessen-CDU in dieser Linie Dregger, Kanter, Koch sich ja auch noch was darauf einbildet, dass sie sich nicht modernisiert. Insofern, sage ich mal, ist es so, dass wir ja auch sehr heftig die Klingen gekreuzt haben, und das ist nun alles andere als mit dem Florett abgegangen.

    Aber man sieht daran, dass gestern schon wieder einstimmig und ohne Gegenstimme und ohne Enthaltungen dann quasi der neue Anführer bestimmt wurde, dass sich das hier wahrscheinlich auch nicht ändern wird, weil Volker Bouffier gehört ja nun seit 1999 zur Regierung dazu, hat jede Entscheidung mitgetroffen und sich schon 1977 im Landesvorstand der Jungen Union mit Roland Koch sozusagen verbündet. Insofern geht das hier mehr oder weniger nahtlos weiter, was ein bisschen schade ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, weil die inhaltlichen Probleme natürlich nicht gelöst werden.

    Spengler: Herr Al-Wazir, lassen Sie uns Volker Bouffier noch etwas aufsparen. Ich wollte noch ein bisschen bei Roland Koch bleiben. – Sie selbst haben es ja vor einem Jahr abgelehnt, für die Grünen nach Berlin zu wechseln, aus Rücksicht auf die Familie. Nötigt Ihnen das nun Respekt ab, wenn Roland Koch jetzt sagt, es gibt auch noch ein Leben ohne Politik für mich?

    Al-Wazir: In gewisser Weise schon, dass er diesen klaren Schnitt zieht, wobei Koch wäre nicht Koch, wenn er nicht auch ganz kühl kalkulieren würde, wie es politisch denn für ihn weitergehen könnte. Er kommt offensichtlich nicht nach Berlin, weder als Finanzminister, noch in eine halböffentliche Position als Bundesbankpräsident. Das lässt Angela Merkel nicht zu.

    Spengler: Sie glauben, das wollte er?

    Al-Wazir: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er das wollte, weil nach elfeinhalb Jahren als Ministerpräsident ist es natürlich relativ logisch, dass er das Gefühl hat, dass er das nicht ewig sein kann, und er denkt natürlich auch vom Ende her, er kann nicht im Herbst 2013 nach 15 Jahren als Ministerpräsident noch mal antreten, er würde das verlieren. Insofern ist natürlich auch in gewisser Weise eine kühle Kalkulation dabei. Dass es persönliche Beweggründe auch gibt, das ist sicherlich so.

    Spengler: Nun war Roland Koch immer einer, der klar Position bezogen hat, ob man sie nun geteilt hat oder nicht. Gibt es das zu wenig in Deutschland?

    Al-Wazir: In gewisser Art und Weise schon, weil das System Merkel ja quasi das genaue Gegenteil ist, also keine Position beziehen, sondern erst mal abwarten, wo die Mehrheit hingeht, und dann erklären, dass man das immer schon vertreten hat. Das ist sicherlich so. Nur bei Roland Koch war es ja auch nicht konsistent. Er hat oft, sehr oft vollmundige Ankündigungen gemacht, vor elf Jahren bei Amtsantritt "Hessen soll zum Bildungsland Nummer eins werden", oder vor zwei Jahren in den hessischen Verhältnissen, als er versucht hat, die Hessen-CDU und sich hübsch zu machen für uns Grüne, "Hessen soll zum Musterland der erneuerbaren Energien werden", und die Ergebnisse sagen eigentlich das genaue Gegenteil. Bei den erneuerbaren Energien sind wir immer noch auf dem letzten Platz der Flächenländer. Es war oft nicht so wirklich langfristig. Oft war die große Trommel dabei, die klare Position, die dann aber in der Folge, wenn der Medienrummel und der Medienmarkt sich verlaufen hatte, teilweise auch keine Konsequenz hatte.

    Spengler: Sie haben Innenminister Volker Bouffier angesprochen, der gestern Abend als Nachfolger nominiert wurde. Wird er in Kochs Fußstapfen treten können?

    Al-Wazir: Das wird die spannende Frage sein. In bestimmter Art und Weise sind die Fußstapfen ihm zu groß, was die Frage des Schnellmerkens angeht, der intellektuellen Brillanz, die Roland Koch ja sicher hatte, auch wenn ich die inhaltlichen Punkte selten geteilt habe. In anderen Punkten ist mir schleierhaft, wie er den Neuanfang verkörpern soll. Eine Regierungspartei, die elfeinhalb Jahre regiert, die muss sich irgendwie neu erfinden, sonst wird sie bei der nächsten Wahl abgewählt. Das gilt übrigens völlig unabhängig davon, welche Partei das ist. Und die Stärke des Systems Koch ist auch gleichzeitig die größte Schwäche. Da zählt Loyalität, da zählt Gefolgschaft eben mehr als Exzellenz und das führt dann dazu, dass in schwierigen Zeiten die Wagenburg sich zusammenzieht und alle immer einstimmig den jeweiligen Anführer bestimmen und ihn unterstützen, mehr oder weniger bedingungslos. Gleichzeitig ist das auch die größte Schwäche, weil da natürlich niemand hochkommt, der einen eigenen Gedanken formuliert, der mal Widerspruch äußert, und dementsprechend ist die Entscheidung für Volker Bouffier eher eine Entscheidung aus Ratlosigkeit, denn aus Überzeugung.

    Spengler: ... , sagt Tarek Al-Wazir, Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag. Danke für das Gespräch.

    Al-Wazir: Gerne!