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"Eher eine Medienhacking-Aktion"

Die Nachricht über gekaufte Shitstorms, die mit Hilfe von Obdachlosen lanciert wurden, erwies sich als fiktive Geschichte. Dass allerdings sich sowohl Medienkritiker als auch PR-Agenturen solcher Methoden bedienen, erklärt Markus Beckedahl, Blogger und politischer Netzaktivist. Der Umgang mit den schnellen Informationen im Netz sei ein gesellschaftlicher, kollektiver Lernprozess.

Markus Beckendahl im Gespräch mit Michael Köhler | 07.04.2013
    Michael Köhler: In den letzten Tagen, da gab es zwei erwähnenswerte mediale Aufregungen, die beachtet wurden. Da war einmal das NDR-Fernsehinterview mit der entnervten Schauspielerin Katja Riemann, an der wohl das attraktivste die blonden Locken sind, wie der Moderator meinte, das ungewohnt viel Aufmerksamkeit genoss. Über ihn ergoss sich dann ein sogenannter Shitstorm, und auch die Feuilletons wie die "Süddeutsche Zeitung" griffen das gern auf, um über Protest und Skandal und Medien nachzudenken.

    Das gleiche Blatt ging dann aber einer fiktiven Guerilla-Agentur für organisierten Shitstorm auf den Leim, die für den "Kleinen Scheißsturm" 5000 Euro verlangt, für den großen 200.000. Der Interviewte sagte, er organisiere geballte Empörung im Netz und nutze falsche Profile von Obdachlosen. Stimmt nur alles nicht. Tags drauf kam die Richtigstellung. Was ist das, Satire, Zynismus, die Freiheit zur Unwahrheit? Was ist da los?

    Das habe ich Markus Beckedahl gefragt. Der ist netzpolitischer Blogger und Autor, Mitglied auch der Bundestags-Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft". Er hat Bücher veröffentlicht über Online-Kampagnen, Bürgerrechte im Netz. Markus Beckedahl, was ist das, Aktionskunst oder Guerilla-Marketing, habe ich ihn gefragt. Das klingt doch erst mal gar nicht so unglaubwürdig.

    Markus Beckedahl: Kommt ganz drauf an! Für mich klingt Guerilla-Marketing in der Regel schon etwas unglaubwürdig. In diesem Fall, muss man aber dazu sagen, war es eher eine Medienhacking-Aktion. Das heißt, jemand hat kreativ versucht und es auch erfolgreich geschafft, ein Thema in Medien zu platzieren durch eine ausgefallene Geschichte, die erfunden wurde. Das ist mittlerweile so im politischen Medienaktionismus-Sortiment enthalten, aber in der Regel funktionieren diese Sachen nicht. Insofern waren wir etwas irritiert und überrascht, dass das so groß wurde, wo eigentlich schon ziemlich schnell offensichtlich war, das kann so nicht funktionieren.

    Köhler: Ich greife Ihr Wortfeld auf. Das gehört zum Sortiment, sagen Sie. Ist das nur eine harmlose Mediensatire, oder ist das schon ein Stück weit das, was ich jetzt mal mit aufgeblasenen Backen "publizistisches Partisanentum" nenne?

    Beckedahl: Man muss das schon ein bisschen einordnen. Eigentlich gehört so etwas zum Standard von Public Relations. Nur in diesem Fall sind es halt bewusste Fehlinformationen, die dazu führen sollen, ein anderes Thema zu transportieren. Aber wenn man sich die Arbeit von normalen PR-Menschen anschaut, dann versuchen die natürlich auch, Themen Medien unterzujubeln, in der Regel um verkaufsfördernde Maßnahmen für ihre Kunden zu schaffen.

    Köhler: Es klingt verrückt, aber im ersten Moment dann doch glaubwürdig: Es gibt eine Agentur, die macht einen Shitstorm, sozusagen den "Kleinen Scheißsturm" für 5000 Euro und den großen für 200.000. Da wird einerseits eine Branche auf den Arm genommen, andererseits ist man ja fast versucht zu sagen, na ja, die haben eine Marktlücke gefunden. Ist das - und ich spreche ja mit Ihnen als jemand aus einem Kulturjournal - eine neue Kunstform? Ist da der Rhetorik der Satire ein neues Element hinzugefügt worden, oder ist das ganze nur einfach eine medienkritische Angelegenheit?

    Beckedahl: In diesem Fall muss man dazu sagen, es klang vor allen Dingen so glaubwürdig, weil man schon annehmen kann, dass es da draußen Dienstleister gibt, die tatsächlich solche Empörungswellen im Auftrag von Kunden inszenieren, aber auch bekämpfen werden. Die werden aber in der Regel nicht so offen damit umgehen. In diesem Fall hätten eigentlich sämtliche Alarmglocken läuten sollen, als das Thema Obdachlose noch dazu kam, nämlich die Verbindung, dass man solche Dienstleistungen anbietet, wo es sicherlich viele gibt, mit der Kombination, dass dafür ganz viele Obdachlose von der Straße geholt werden. Da hätten sämtliche Alarmglocken eigentlich klingeln müssen, weil das klingt so was von unglaubwürdig, da hätte man eigentlich mal hinfahren müssen, um sich das mal anzuschauen, um sich tatsächlich da so ein Bild zu machen.

    Köhler: Lassen Sie uns neben aller Satire und Unernst den ernsten Kern vielleicht auch mal ansprechen. Das Netz ist so frei, ja auch Unfreiheiten sich herauszunehmen, Unwahres auch verbreiten zu können. Wann ist der Moment erreicht, wo diese Irreführung zur Strategie wird, zur Desinformation, die gefährlich wird?

    Beckedahl: Ja das ist immer so eine Gratwanderung. Das kann man jetzt so verallgemeinernd nicht sagen. Propaganda gab es schon immer und auch früher, als wir noch keine Medien hatten im klassischen Sinne, sind sicherlich viele Leute auf den Marktplätzen gegen Geld oder durch Manipulation aufgestachelt worden, zum Beispiel gegen den aktuellen König oder gegen andere Menschen vorzugehen und da halt eine Empörungswelle auszulösen. Das muss man sich im Einzelfall anschauen, wo eine Grenze überschritten wird: Wann beginnen Kriegsparteien beispielsweise, die Realität zu ihren Gunsten durch Public Relations zu verändern, wann beginnen Unternehmen, quasi Kaufentscheidungen zu manipulieren.

    Köhler: Was lehrt uns die Geschichte?

    Beckedahl: Die Geschichte lehrt uns, dass es viele Geschichten gibt, denen wir gerne glauben würden, aber wir müssen trotzdem noch ein Stückchen vorsichtiger sein, was wir weiterverbreiten, vor allen Dingen als Publizisten. In diesem Fall sind ja vor allen Dingen Journalisten darauf reingefallen, die gelernt haben müssten, dass man Geschichten auch verifiziert. Wir haben aber die Herausforderung, dass mittlerweile ja fast die ganze Bevölkerung auch zu Publizisten wird, durch ein Profil in einem sozialen Netzwerk, wo jeder quasi auch ganz schnell Geschichten weiterverteilt, und wir müssen lernen, mit dieser Geschwindigkeit umzugehen. Wir müssen lernen, dass wir auch Verantwortung dafür haben, und das ist so ein gesellschaftlicher kollektiver Lernprozess. Das haben wir noch gar nicht so wirklich realisiert, dass wir den durchstehen müssen.

    Köhler: Das sagt Markus Beckedahl, Bürger und Autor von Büchern über Online-Kampagnen und Bürgerrechte.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.