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Ehrenamt statt Seminar

Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg verbindet Ehrenamt und Studium: In dem Programm Engagiert.Studiert wird Hochschülern eine ehrenamtliche Aufgabe vermittelt wie Hausaufgabenhilfe oder Seniorenbetreuung. Diese wird ihnen als Studienleistung angerechnet.

Von Mark Michel | 21.01.2010
    "Hallo, wie geht es im neuen Jahr, Herr Drewes? Haben Sie Silvester allein gefeiert?"

    "Nein, mit zwei Leuten. Meine Bekannten aus Neustadt waren hier gewesen."

    Wolfgang Drewes und Ina Maihöfner sind schon fast so etwas wie alte Bekannte.
    Alle paar Wochen treffen sie sich, unternehmen gemeinsam Dinge und sprechen darüber, wie es Wolfgang Drewes gerade in seinem Leben ergeht. Der 66-Jährige alleinstehende Mann ist auf Hilfe angewiesen.

    "Haben sie sich schon entschieden, wie sie das mit der Pflege machen?"

    "Ja der Umgang mit Herrn Drewes ist schon eine Herausforderung. Gerade schon, ihn wirklich einfach nur zu verstehen, ihm zu vermitteln, dass er ein Selbstgefühl dafür bekommt, dass man ihn eben auch versteht und dass man mit ihm auch super-schön Zeit verbringen kann. Und mit meiner Hilfe kriegen wir das gut hin."

    Ina Maihöffner ist ehrenamtlich bei Wolfgang Drewes. Und doch ist es ein Teil ihres Studiums, denn sie nimmt am Programm Engagiert.Studiert teil; einer gemeinsamen Initiative der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Freiwilligen Agentur Halle-Saalkreis. Ein Semester lang belegt Ina Maihöffner in ihrem Fachbereich Gesundheits- und Pflegewissenschaft, ein sogenanntes ASQ-Modul.

    "ASQ-Modul, das kling nicht gerade prickelnd oder spannend. Aber die allgemeinen Schlüsselqualifikationen, das verbirgt sich ja dahinter, haben die Aufgabe, dass wir die Studierenden am Anfang ihres Studiums ausbilden, von Dingen, wo wir annehmen, sie sind wichtig. Das ist wissenschaftliches Schreiben, das ist Reden, das ist Präsentieren, aber es ist natürlich auch so etwas wie bürgerschaftliches Engagement, oder lassen sie mich sagen, die Fähigkeit sich vor Ort zu verankern, sich zu orientieren, sich an dem Ort, an dem man studiert, ein Stück weit in das Gemeinwesen einzubringen."

    Raus aus dem Elfenbeinturm und hinein in die soziale Wirklichkeit. Holger Backhaus-Maul, Soziologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat das Projekt Engagiert.Studiert gemeinsam mit der Freiwilligen Agentur in Halle ins Leben gerufen. Studierende leisten ehrenamtliche Arbeit in den Einrichtungen der Stadt und bekommen das in ihrem Studium angerechnet. Für viele eine willkommene Alternative zum Studienalltag.

    "Man sitzt nicht im Hörsaal oder Seminarraum und bekommt da so frontal Informationen zugeworfen, sondern: Man kann sich wirklich frei entscheiden, welche Projekte will ich begleiten. Und es erweitert den Blick, man kann über den Tellerrand hinausschauen. Das ist schon interessant. Das muss man schon versuchen und sich trauen!"

    100 Plätze stehen in diesem Semester für freiwillig engagierte Studierende zur Verfügung. Das Spektrum reicht von Integration von Migranten über Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen bis hin zur Freiwilligenarbeit in Bosnien. Koordiniert wird das Ganze von der Freiwilligen Agentur Halle-Saalkreis. Ines Jaschinski-Kramer, die Projektleiterin von Engagiert.Studiert.

    "Es geht nicht um den rein egoistischen Anspruch: Es ist gut, Engagiert.Studiert für die Vita zu machen, oder gut, weil es in den Bachelorstudiengang passt. Sondern uns als Agentur geht es tatsächlich darum: Wir wollen hier eine lebendige Zivilgesellschaft. Und, dass das Spaß macht, das wissen wir aus unseren Erfahrungen."

    Für die Studierenden bedeutet Engagiert.Studiert aber auch Mehraufwand, zeitlich und organisatorisch. Denn die Uni verlangt eine Dokumentation und am Ende des Semesters muss jeder sein Projekt in einem Portfolio vorstellen. Trotzdem gibt es für Engagiert.Studiert mehr Bewerber als Plätze. In anderen Lebenswelten eintauchen, Ideen einbringen und praktisch arbeiten - all das will Engagiert.Studiert für die Studierenden.

    "Wir brauchen tatsächlich vielmehr Leute, die wieder anfangen, nach rechts und links zu kucken und sich nicht nur sich um sich selber kümmern. Es muss tatsächlich wieder geübt werden, etwas gemeinsam mit anderen zu machen und Spaß zu haben - und Freude zu haben, dem rechts und links zu helfen, ohne gleich die Frage zu stellen, was bekomme ich dafür."

    Das Projekt scheint nachhaltig zu verlaufen, denn rund 60 Prozent der Studierenden engagieren sich auch nach Ablauf des Semesters freiwillig weiter. Ina Maihöffner ist eine von ihnen. Doch erst einmal plant sie den nächsten Ausflug mit Wolfgang Drewes.

    "Wir wollten ja in diesem Jahr zum Volksmusikkonzert, Herr Drewes? Was sind denn da so ihre Favoriten?"

    "Kastelruther Spatzen, ja. Die Flippers habe ich schon gesehen."