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Ehrenamt statt Staat
Italiens freiwillige Kulturhelfer

Rund 800.000 Italiener verbringen einen Teil ihrer Freizeit damit, Denkmalpflege zu betreiben, Besuchergruppen durch Museen zu führen oder Schüler für Kunst und Kultur zu begeistern. Und das Ganze ohne einen Cent Gehalt dafür zu bekommen. Der Grund: Gäbe es diese freiwilligen Helfer nicht, wäre es um Italiens kulturelles Erbe schlecht bestellt.

Von Thomas Migge | 10.07.2016
    Ein Blick auf Rom mit dem Kolosseum
    Ein Blick auf Rom mit dem Kolosseum (picture-alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch)
    "Unsere Besichtigungstouren würden ohne die vielen Freiwilligen nicht funktionieren. Italiener, die bei uns einen Teil ihrer Zeit opfern, gehören allen Altersgruppen an. Viele Schüler und dann viele ältere Leute."
    Mariella Curre Caporuscio ist eine "volontaria dell'arte", eine freiwillige Helferin für die Kultur. Sie leitet die Sektion des Fondo Ambiente Italiano FAI in der toskanischen Hafenstadt La Spezia. Der FAI ist Italiens größte private Organisation zum Erhalt von Kulturgütern. Mit rund 5.000 festen freiwilligen Helfern kümmert man sich um Paläste, Kirchen und historische Parks. Die meisten von ihnen sind Kunsthistoriker, Archäologen und Restauratoren. Fachleute also, die wissen, was zu tun ist und den Einsatz von Nichtfachleuten, denn das sind ja die meisten freiwilligen Helfer, die stunden- oder tageweise Zeit zur Verfügung stellen, koordinieren und kontrollieren.
    "Was aber vor allem zählt: dass in Italien immer mehr Bürger in Sachen Erhalt unserer Kulturgüter Verantwortung übernehmen wollen. Angesichts der mangelhaften Präsenz des Staates und des Desinteresses lokaler Institutionen ist diese Hilfe enorm wichtig."
    Kulturerhalt auf freiwilliger Basis
    In keinem anderen EU-Land helfen so viele Menschen beim Erhalt ihrer historischen Monumente wie in Italien. Einer Erhebung der Tageszeitung "la Repubblica" zufolge sind es mehr als 800.000 Personen. Dazu zählen fest arbeitende Freiwillige wie Signora Caporuscio wie auch Bürger, die dann und wann einige Stunden oder ganze Tage für eine Kulturorganisation tätig sind.. In Italien existiert eine lange Liste von privaten Hilfsorganisationen zum Erhalt des kulturellen Erbes: Es sind rund 185! Tendenz steigend.
    Vorwürfe an die Politik
    Die zwei wichtigsten Gründe für den ungewöhnlichen Boom an Freiwilligenorganisationen im Kulturbereich: Der Staat investiert zu wenig. Deswegen springen immer mehr Bürger ein, um bei entsprechenden Organisationen mitarbeiten.
    Zum Thema Geld Italiens Kulturminister Dario Franceschini:
    "Die öffentliche Hand und die Bürger müssen im Fall Italiens und seiner Kultur zusammenarbeiten, denn mit Tausenden von Museen, Grabungsstätten, kunsthistorisch bedeutenden Kirchen etc. ist der Staat allein überfordert. Deshalb sind wir aufeinander angewiesen, wenn wir unsere Kulturgüter erhalten wollen."
    Der Minister mache es sich zu einfach, meint der neapolitanische Kunsthistoriker Antonio Pariante. Er nutze die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Arbeit der Freiwilligen doch nur aus, schimpft der Präsident des Comitato Civico di Santa Maria di Portosalvo, einer Bürgervereinigung, die sich um das heruntergekommene Altstadtzentrum Neapels kümmert:
    "Das größte Problem für uns, die wir unsere Kulturgüter erhalten wollen, ist das staatliche Desinteresse. Doch mit dem wachsenden Heer von Freiwilligen können wir Druck auf die Institutionen machen, mehr Geld locker zu machen. Um noch mehr Freiwillige zu bekommen, sind gerade die Schulen enorm wichtig. Deshalb sind wir auch in Neapels Schulen präsent."
    Schüler für die Kultur begeistern
    Alle großen privaten Kulturorganisationen arbeiten mit Schulen zusammen: erklären dort ihre Arbeit und werben Freiwillige an. Eine erfolgreiche Strategie: Die meisten jungen Freiwilligen im Kulturbereich kommen inzwischen aus Schulen und Universitäten. Immer mehr Schulklassen und auch ganze Schulen, das ist der neueste Trend in Italien, adoptieren historische Monumente, archäologische Grabungsstätten und auch historische Parks: Sie verpflichten sich dazu, diese Orte regelmäßig zu reinigen, zu beaufsichtigen und Geld für deren Erhalt zu sammeln.