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Ehrenmorde in Großbritannien

James Brandon und Salam Hafez haben in Großbritannien ein Phänomen untersucht, das hierzulande als Ehrenmorde bekannt geworden ist. Sie nennen es "Crimes of the Community: Honour-based violance in the UK". Der Befund wurde vom Centre for Social Cohesion herausgegeben, das sich eben mit kulturellen Unterschieden und Spaltungstendenzen in der Gesellschaft befasst. Heinrich Maetzke bespricht den Band.

21.07.2008
    Saamiya ist noch einmal davongekommen. Um ein Haar wäre die 16-jährige pakistan-stämmige Britin eines von den Mädchen geworden, die jedes Jahr aus England in die Heimat der Eltern verschleppt werden - und spurlos verschwinden. Weil ihre Eltern entdeckten, dass sie einen Freund hatte, brachten sie Saamiya nach Pakistan, um sie dort zu verheiraten. Gegenwehr war zwecklos, berichtet das Mädchen später:

    Während der islamischen Zeremonie stand mein Vater hinter mir. In der Hand hielt er eine Pistole, die auf meinen Rücken zielte, damit ich nicht "nein" sagte.
    Zum Glück hatte in Birmingham jemand die Behörden alarmiert. Beamte des britischen Außenministeriums brachten das Mädchen wieder nach England. Saamiyas Geschichte steht in einer neuen britischen Studie über "Gemeinschaftsverbrechen - Ehrengewalt in Großbritannien". Herausgegeben hat sie das Londoner Zentrum für Sozialen Zusammenhalt, in dessen Beirat auch zwei Bischöfe sitzen. Die Autoren, James Brandon und Salam Hafez, sind Journalisten und gute Kenner der islamischen Welt. Jetzt beschreiben sie, wie islamische Vorstellungen von Ehre in England einziehen und das Land verändern:

    Als Folge davon werden jeden Tag in Großbritannien Frauen von ihren eigenen Familien mit physischer Gewalt bedroht, mit Vergewaltigung, Mord, Verstümmelung, und eben mit Zwangsverheiratung,
    heißt es in der Studie. Häusliche Gewalt kommt überall auf der Welt vor. Aber Ehrenverbrechen, erklären Brandon und Hafez, sind etwas völlig anderes:

    Während bei häuslicher Gewalt Ehemänner gegen ihre Frauen gewalttätig werden, wird bei Ehrengewalt eine Frau Opfer ihrer eigenen Söhne, Brüder, Schwestern und der ganzen Verwandtschaft.
    Immer geht es dabei um die Beherrschung der Frauen, und um Abgrenzung von der britischen Gesellschaft. Ausgangspunkt aller Ehrengewalt, bis hin zum Ehrenmord, ist die Zwangsehe.

    Rund zwölf Ehrenmorde werden jedes Jahr in Großbritannien registriert. Viele weitere bleiben mutmaßlich unentdeckt. Ein Sozialarbeiter aus Newcastle weiß von Frauen, die ins Ausland gebracht wurden und einfach verschwanden. Ein Kollege aus Nottingham hat eine andere, entsetzliche Beobachtung gemacht:

    Wir kennen viele Frauen, die an Verbrühungen gestorben sind, ohne dass ordentlich untersucht wurde, ob es ein Unfall war oder Mord.
    Vor zwei Jahren erregte der Fall der aus Pakistan stammenden 25jährigen Geschäftsfrau Samaira Nazir Aufsehen. Weil sie einen Afghanen heiraten wollte, wurde sie von Vater, Bruder und Cousin mit 17 Stichen und einem Schnitt durch den Hals getötet. Brandon und Hafez analysieren die schreckliche Tat:

    Ihre kleinen Nichten wurden gezwungen, den Mord anzuschauen, damit sie später keinen westlichen Lebensstil annehmen. Der Schnitt durch den Hals erinnert an ein Schaf, das geschlachtet wird und soll sagen, dass Frauen Besitz und Eigentum sind.
    Die kleine Studie aus London ist auch ein Buch über eine westliche Gesellschaft, die ihre Werte nicht mehr verteidigt. Weil in den britischen Behörden viele Einwanderer arbeiten, werden geflüchtete Mädchen oft an ihre Familien verraten. Sozialarbeiter haben sogar Angst, mit ihren Schützlingen zur Polizei zu gehen, sagt die Leiterin eines Frauenhauses:

    Wir gehen nicht zur Polizei, wenn bestimmte asiatische Beamte Dienst tun, weil manche von ihnen Täter sind.
    Politiker meiden das Thema. Schulen hängen Informationsplakate über Zwangsheirat nicht auf - aus Angst, die Eltern ihrer Schüler zu beleidigen. Die Schlussfolgerung der beiden Autoren ist düster:

    Ehrengewalt ist kein einmaliges Problem der Einwanderer der ersten Generation mehr. Ehrengewalt ist ein einheimisches und permanentes Phänomen geworden.
    In England aufgewachsene Einwanderkinder und -enkel, warnen Brandon und Hafez, haben oft Auffassungen, die noch traditioneller sind als die ihrer Eltern. Ein trauriges Beispiel dafür ist das, was ein 21jähriger Einwanderersohn über Männern und Frauen denkt und ganz offen ausspricht:

    Ein Mann ist wie ein Goldbarren und eine Frau wie ein Stück weiße Seide. Wenn Gold schmutzig wird, dann wischt man es einfach ab. Aber wenn ein Stück Seide schmutzig wird, dann kriegt man es nie wieder sauber - und dann kann man es gerade so gut wegschmeißen.

    James Brandon/Salam Hafez: Crimes of the Community: Honour-based violence in the UK. Hg vom Centre for Social Cohesion, 161 Seiten, 15 Pfund