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Ehrfurcht auslösende Meisterwerke

Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt eine Ausstellung niederländischer Kunst des 16. und 17.Jahrhunderts. Die Werke stammen aus dem Besitz des Londoner Sammler-Ehepaars Fassbender. Die Stärke der Hohenbuchau Collection" besteht weniger in spektakulären Einzelwerken als vielmehr in einer großen Breite.

Von Christian Gampert | 09.11.2013
    Wenn man bedenkt, dass bis vor Kurzem rund 1500 Raubkunst-Bilder in einer Münchner Wohnung lagerten, den Blicken der Öffentlichkeit und dem Zugriff der rechtmäßigen Besitzer entzogen, dann ist man gerührt über Geschichten, wie sie Johann Kräftner, der Direktor des Wiener Liechtenstein-Museums, zu erzählen weiß. Vor Jahren habe er ein älteres Ehepaar kennengelernt, das enttäuscht vor den verschlossenen Türen seines Museums gestanden habe und das er dann eher aus Mitleid durch die Säle führte. Beim Abschied hätten die beiden beiläufig erwähnt, sie seien übrigens auch Sammler, ob er die Bilder mal anschauen wolle.

    Kräftner wollte - und was als "kleine Sammlung" angekündigt war, entpuppte sich bei einem Besuch in London als großartiger Querschnitt durch das niederländische "goldene Zeitalter", zum Teil mit großformatigen Arbeiten. Seit 2007 befindet sich diese "Hohenbuchau Collection", benannt nach dem Familiensitz des reichen Ehepaars Faßbender, nun in der Obhut der Fürstlichen Sammlungen Wien, als Dauerleihgabe. Wenn die Stuttgarter Staatsgalerie jetzt ein Konzentrat von etwa 80 Werken dieser Sammlung zeigt, dann stellen sich zwei Fragen. Erstens: Wie konnte es, ganz im Geheimen, zu dieser Sammlung kommen? Die Antwort ist einfach: in den 1970er- und 80er-Jahren konnte der Kenner noch zu erschwinglichen Preisen niederländische Kunst erwerben, heute ist der Markt fast leergekauft. Zweitens: Wieso macht die Stuttgarter Staatsgalerie es sich so einfach und zeigt eine ganze Sammlung? Auch hier muss man zugeben: Ein Kurator, der hundert Leihanfragen an große Museen verschickt, könnte über weite Strecken keine bessere Auswahl treffen. Obwohl man im Titel mit "Brueghel, Rubens und Ruisdael" prunkt, besteht die Stärke der "Hohenbuchau Collection" weniger in spektakulären Einzelwerken als vielmehr in einer großen Breite, die alle Gattungen abdeckt und den Meisterstücken weniger bekannter Künstler zu Geltung verhilft.

    Denn die flämische und niederländische Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts ist eine Kunst der Kooperativen, der Gilden, der Werkstätten, in denen man sich schulen und spezialisieren konnte auf Stillleben, Interieur, Porträt, Landschaft. So wie heute völlig unbekannte Webdesigner die erstaunlichsten Dinge leisten, so arbeiteten im Goldenen Zeitalter Tausende von Malern an metaphorisch aufgeladenen Blumenstillleben oder an düsteren Porträts. Hier das Großartige vom Konfektionierten zu scheiden, ist auch Kunst. Allerdings führt die 1581 blutig erkämpfte Unabhängigkeit der nördlichen Provinzen der Niederlande von Spanien zu zwei unterschiedlichen Entwicklungen: Während im kaufmännisch erfolgreichen Holland das Weltliche in den Vordergrund tritt, blüht in den südlichen flämischen Provinzen der Barock mit der katholischen Kirche als Auftraggeber und der religiösen italianisierten Historienmalerei als dominierendem Genre.

    Die Kuratorin Elsbeth Wiemann erzählt das in überschaubaren Kapiteln, nach Gattungen geordnet, und hängt die Bilder wirkungsvoll vor dunkelgraue oder dunkelgrüne Wände. Im Grafikkabinett präsentiert der Kurator Hans-Martin Kaulbach als Querverweis Niederländer-Zeichnungen aus den Beständen der Staatsgalerie, und zwar vor allem solche, die als virtuose Rohform das später folgende Gemälde (aus der Hohenbuchau Collection) schon vorwegnehmen - etwa eine heilige Familie von Jacob Jordaens oder nahsichtige Landschaften von Jacob van Ruisdael.

    Aber egal, ob man vor einem Seestück von Simon de Vlieger steht oder vor einem Prunkstillleben von Abraham van Beyeren, vor einem mikroskopisch anmutenden Natur-Arrangement von Otto van Schrieck oder einer Flusslandschaft von Jan van Goyen: Es überkommt einen eine fast kindliche Ehrfurcht vor der Meisterschaft dieser Künstler, vor dem Farbenreichtum, den Schatten, der Lust am Detail in diesen aufplatzenden Stillleben, dem auch selbstgefälligen Ernst in den Porträts. Die opulenten religiösen Belehrungsszenen des flämischen Barock sind allerdings deutlich schwächer als die Wahrheit der sichtbaren Welt, die in Holland in Landschaft und Interieur dann den Siegeszug antrat. Mit Jan Mandyns "Versuchung des hl. Antonius" gibt es sogar ein surreal anmutendes Trauma-Bild à la Hieronymus Bosch in der Ausstellung. Man möchte hineinschreiten in die farbliche Wollust mancher dieser Bilder, in die Früchtestillleben, in die weiten Landschaften - und steht dann doch in respektvollem Abstand vor dieser fremden, vergangenen Welt.