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Eifersucht und Brudermord

Schon im vergangenen Jahr hatte Simon Rattle für seine Opernfestspiele in Salzburg nicht eben leichte Kost gewählt, sondern führte Benjamin-Brittens See-Drama "Peter Grimes" zu seiner Salzburger Premiere. Dabei war das Frühjahrsfestival von Herbert von Karajan 1967 mit dem Ziel gegründet worden, einen eigenen "Ring der Nibelungen" aufzuführen. Mit Wagner will Rattle dann auch ab dem nächsten Jahr beginnen – nun erst einmal Debussys "Pelléas et Mélisande".

Von Jörn Florian Fuchs | 09.04.2006
    Betritt man zur Osterfestspielzeit das Foyer des Großen Festspielhauses in Salzburg, ist es ratsam, eine Sonnenbrille aufzusetzen. Denn man taucht hinein ins Blitzlichtgewitter, das die vollzählig versammelte Boulevard-Journallie veranstaltet und dessen begierigstes Ziel in diesem Jahr vor allem blondierte Damen mit Sabine-Christiansen-Frisur waren. Im Mittelteil des Foyers angelangt, findet sich eine Ausstellung, die offenbar neue, exklusive Sommermode zeigt: weiße, mit Brillanten bestickte Anzüge für die Herren, ein knallrotes Abendkleid für die Dame. Doch ein bisschen aufdringlich diese Werbung, denkt man sich – und betritt den Zuschauerraum.

    Als sich der Vorhang hebt, da sieht man nun nochmals den Designerschick aus dem Foyer, nun jedoch auf der Bühne. Jetzt tragen Pelléas, Golaud und Arkel die weißglitzrigen Blazer und Hosen, Mélisande im roten Cocktailkleid wirkt da wie ein Fremdkörper. Man könnte auch sagen: Mélisande ist das verletzte, verblutende Wesen – schon von Anfang an. Die Mitglieder der hellweißen Festgesellschaft halten sie sich tunlichst vom Leib, wohl auch, um eventuelle Reinigungskosten für ihre Anzüge zu sparen.

    In Stanislas Nordeys Salzburger Pelléas-Inszenierung stehen Entfremdung und Fremdheit im Mittelpunkt, die Figuren wirken allesamt einsam und verlassen. Sie gehen langsam auf und ab oder stehen vor einer Landschaft aus riesigen, an Bücher erinnernde Skulpturen, die beständig, vor allem aber während der Debussyschen Zwischenmusiken im Kreis herum gefahren werden. Ein Buch ist dabei immer im Vordergrund, es öffnet sich und gibt den Blick frei auf anfangs sehr monochrome Farbfelder – gleißendes Weiß. Im Verlauf des Abends verschmutzt sich dieses Weiß und wird grauer. In einem anderen Buch liest beziehungsweise sieht man Mélisande auf einem Podest, umringt von unzähligen weiteren roten Kleidern, ein wieder anderes Buch zeigt reliefartige Abdrücke dreier Menschen, es sind die Greise, vor denen Mélisande aus der Grotte flieht.

    Nordey setzt vor allem auf die Wirkung dieser großformatigen Bilder, weniger auf eine genaue Personenführung. In den ersten drei Akten ist die Hauptprotagonistin die Rampe, erst nach der Pause, als sich Pelléas und Mélisande für einmal wirklich näher kommen und dieser kurze Glücksrausch vom eifersüchtigen Golaud empfindlich, vielmehr tödlich gestört wird, da gelingt die Feinsteuerung der Figuren. Und an diesem Punkt ist auch die Bühne am Eindringlichsten: bewegliche Wandteile fahren heran, werden gegeneinander und hintereinander geschoben. Sie sind mit unterschiedlichen Rottönen bemalt, wobei man unweigerlich an blutige Schüttbilder à la Hermann Nitzsch denken muss.

    Claude Debussy hat bei seiner Vertonung der Maeterlinck-Vorlage ein meist eher ruhig dahinfliefendes Klanggemälde geschaffen, Simon Rattle hingegen dirigiert das gefühlvolle Seelendrama an manchen Stellen fast wie ein Seestück Benjamin Brittens. Vor allem in den beiden Schlussakten braust das Orchester heftig auf, das Blech knallt und extreme Crescendi sorgen für Höreindrücke, die man von der impressionistischen Kompositionsweise Debussys eigentlich nicht erwartet. Einzelne, teilweise sehr stimmungsvolle Effekte fügen sich bei Rattle und seinen Berliner Philharmonikern letztlich nicht zu einem wirklich stimmigen Ganzen.

    Sängerisch beachtlich war das Rollendebüt von Angelika Kirchschlager, die – mit einigen wenigen Abstrichen in der Höhe – eine wunderbar zerbrechlich-zarte Mélisande gab. Eines fehlt ihr jedoch: Sie ist kein so ätherisch-schwebendes Wesen wie in Libretto und Partitur vorgesehen. Simon Keenlyside interpretierte Pelléas als schüchternd-verklemmten jungen Mann, mit erstaunlich wandlungsfähigem Bariton.

    Überragend jedoch Josè van Dam, ein Grandseigneur in der Rolle des Golaud: Zwischen warm dahinfließendem Timbre und heftigem Verzweiflungs- und Neidgesang bewies der mittlerweile über 60-Jährige, was es heißt, eine Rolle vollständig zu verinnerlichen.