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Eigene Formen, eigene Inhalte

Nur vereinzelt findet aktuelles serbisches Theater den Weg nach Deutschland. Unter welchen Bedingungen arbeiten Theaterleute in Serbien zehn Jahre nach dem Sturz Miloševics und welche Themen und Formen beschäftigen sie? Einblicke in die serbischen Theaterszene.

Von Grit Friedrich | 18.08.2010
    Am Bitef-Theater in Belgrad läuft mit großem Erfolg das Choreodrama "We are too many. Die jungen Performer sprechen eigene Texte, es gibt Live-Slamdichtung und ein Minifamiliendrama, das im Chatroom entstanden ist. Das Stück von Dalija Acin ist eine Absage an bekannte Theaterformen. WE ARE TOO MANY passt damit perfekt in den Spielplan des Bitef-Theaters. Findet die Theaterleiterin Jelena Kajgo:

    "Ich wollte das Bitef-Theater in seine ursprüngliche Richtung bewegen, es sollte experimenteller werden. Denn das, was man dort in den letzten Jahren sehen konnte, unterschied sich nicht von den Stücken in den meisten anderen Belgrader Theatern. Ich wollte mutige Inszenierungen auf einem hohen Qualitätsniveau zeigen. Wie diese Produktion zum Beispiel. Ich schätze die Arbeit von Dalija Acin und musste ihr Raum geben."

    Das Bitef-Theater steht wie eine bizarr geformte Backsteinfestung am Rande eines Gemüsemarktes im Belgrader Zentrum. Der Name Bitef ist ein schillernder, denn schon seit 1967 existiert das gleichnamige internationale Theaterfestival. Es hat über Jahrzehnte die großen Theaternamen der Welt nach Belgrad gebracht, doch dieser Kulturimport hatte kaum einen Einfluss auf die serbische Theaterästhetik. So der Theaterkritiker Ivan Medenica.

    "Es gab lange Zeit eine Lücke zwischen der lokalen Szene und den Tendenzen, die das Bitef Festival gezeigt hat. Die jungen Autoren und Regisseure vergleichen sich heute nicht mehr mit den wichtigen serbischen Namen, sondern mit ihren Kollegen in Europa. Das wurde auch möglich durch den politischen Wechsel und das Ende der Isolation."

    Trotz aller Euphorie über die neuen Freiheiten ist Serbien auch zehn Jahre nach Miloševic nicht wesentlich aus seiner politischen und sozialen Krise herausgekommen: Die meisten Stadttheater setzen nach wie vor auf klassische Stücke und Spielweisen. Für Nikola Zavisic, der in Prag Regie studiert hat, ist dieser Rahmen viel zu eng.

    "Jetzt können wir uns theoretisch bewegen, aber Überreste des alten Regimes haben überdauert, wir sind nicht mehr durch physische Grenzen eingeschlossen, sondern durch mentale Grenzen. Was mir hier nicht gefällt, ist der Fakt, dass die Leute so selbstzufrieden sind und so stolz auf das, was sie machen. Sie haben keine Vergleichsmöglichkeiten, sie wissen nicht, was in Europa oder in der Region passiert."

    Nikola Zavisic ist Mitte dreißig und gehört zu einer Gruppe junger erfolgreicher Regisseure, die in Belgrad vor allem am Mali Pozorište arbeiten. Die Choreografin Dalija Acin beschreibt dieses Haus als einen Ort zum Atmen, im streng hierarchisch organisierten Theaterbetrieb der serbischen Hauptstadt.

    "Die einzige Person, die aus dieser institutionellen Theaterwelt herausragt, ist Anja Suša! Sie leitet das Kleine Theater Duško Radovic und ist Kuratorin beim Bitef Festival. Ihre Intendanz endet bald, und wenn sie das Theater verlässt, wird ein dunkles Zeitalter anbrechen."

    Doch auch das von Kritikern und Publikum gleichermaßen geliebte Mali Pozorište hat große finanzielle Probleme. Genau wie alle anderen Häuser und die freie Kulturszene sowieso. Umso mehr ist das Kinder- und Jugendtheater Belgrad auf die Kooperation mit Partner aus dem Ausland angewiesen. Anja Suša:

    "Unser Budget wurde um 40 % gekürzt im Vergleich zum Vorjahr, alle Institutionen haben das erlebt. Was wir hier machen, ist aber mehr das Resultat unserer Hartnäckigkeit und Ideen, als das Ergebnis einer irgendwie gearteten Kulturpolitik. Es gibt bei uns keine ausgearbeitete Kulturpolitik."

    Generell hat Theater in Serbien nach dem Sturz von Slobodan Miloševic an Bedeutung verloren sagt die Theaterleiterin Anja Suša. Und trotzdem bietet es Entdeckungen. Wie die Texte von Milena Markovic. Erst Anfang August feierte sie als Drehbuchautorin beim Filmfestival in Locarno Erfolge mit der serbisch-schwedisch-deutschen Koproduktion "Beli, Beli Svet". Doch Milena Markovic schreibt nicht fürs Ausland. Ihre Stücke werden von wichtigen serbischen Regisseuren inszeniert und schaffen es leider zu selten auch auf deutsche Bühnen:

    "Meine Figuren kommen immer vom Rande der Gesellschaft. Alles ist intensiver am Rande und auch ich bewege mich am Rand. Weil ich eine Künstlerin bin, weil ich eine Frau bin und weil ich in einem Land lebe, das am Rande liegt. Meine Ideologie ist die des Randes. Das interessiert mich am meisten, denn das ist poetischer und inspiriert mich mehr als alles andere."