Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Eigentlich eine Liebesgeschichte"

Margarethe von Trotta reize die Konfrontation einer starken Frau mit einer starken dunklen Macht, glaubt Rüdiger Suchsland in Bezug auf ihre neue Filmbiografie "Hannah Arendt". Doch auch die Beziehung der jüdischen deutsch-amerikanischen Philosophin zu Heidegger sei sehr zentral im Film.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Michael Köhler | 05.01.2013
    Michael Köhler: Das markante Profil der Schauspielerin Barbara Sukowa, die schon in vielen Filmen Margarethe von Trottas spielte, ist auf Litfass-Säulen im Moment zu sehen: Zigarette in der Hand, der Blick ins Weite - darunter der Schriftzug "Hannah Arendt". Wer nicht viel Weiteres weiß, entnimmt diesen Zeichen: ein ernster Film über eine ernste Frau, ein sogenanntes BioPic.

    Die 1906 geborene deutsche Jüdin aus Hannover studierte erst bei Martin Heidegger in Marburg Philosophie, in den sie sich verliebte und umgekehrt. Sie ging nach Heidelberg, sie promovierte bei Karl Jaspers 1928 über Augustins Liebesbegriff. 1938 wurde ihr die Staatsbürgerschaft entzogen. Über Portugal und Frankreich floh sie dann nach Amerika, wurde Professorin, nahm die Staatsbürgerschaft an.

    Sie schrieb über den Totalitarismus in Europa und war Beobachterin des Eichmann-Prozesses 1961 in Jerusalem gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann. Aus dieser Begegnung entstand ihr Buch "Eichmann in Jerusalem. Über die Banalität des Bösen".

    O-Ton Hannah Arendt: "Nun, ein Missverständnis ist das folgende: Man hat geglaubt, was Banales ist auch alltäglich. Ich habe es so nicht gemeint. Ich habe keineswegs gemeint, der Eichmann sitzt in uns, jeder von uns hat den Eichmann und weiß der Teufel was. Nichts dergleichen!"

    Köhler: Hannah Arendts bekannte eindringliche Stimme von 1964. - Auf diese Zeit und dessen Bedeutung für die Aufarbeitung der Vergangenheit auch in Deutschland konzentriert sich der Film der Regisseurin Margarethe von Trotta. Deshalb habe ich Rüdiger Suchsland gefragt: Heißt das etwa, die Liebesaffäre zwischen ihr und Martin Heidegger 1924 kommt nicht vor?

    Rüdiger Suchsland: Doch, es kommt vor. Sowieso ist dieser Film eigentlich eine Liebesgeschichte, könnte man sagen – in dem Sinne nämlich, dass es nicht zuletzt um die Beziehung zwischen Hannah Arendt und ihrem Mann, ihrem zweiten Ehemann geht, Heinrich Blücher, ebenfalls Emigrant, mit dem sie in New York zusammenlebte. Und diese Heidegger-Episode, die kommt natürlich auch vor.

    Die kommt fast aus meiner Sicht ein bisschen zu deutlich vor, weil wir in, ich glaube, drei oder vier Rückblicken jeweils die junge Hannah Arendt sehen, in verschiedenen Momenten, wo sie Heidegger zum ersten Mal trifft, wo er sein Haupt in ihren Schoß legt und solche Sachen. Und das kommt immer dann, wenn Hannah Arendt denkt, und das wirkt ein bisschen so, dass dann diese starke Frau plötzlich ein kleines Mäuschen ist, das sich doch noch an den großen Meister von vor 30 Jahren zurückerinnert.

    Köhler: Obwohl sie sich ja von ihm getrennt hat im doppelten Sinne. Sie hat auch mit ihm gebrochen, hat ihn zwar noch mal besucht in den 50ern, weil er die berühmte Rektoratsrede gehalten hat. Jemand, dem sie aber die Treue ein Leben lang gehalten hat, war Karl Jaspers. Diese spröde Existenzphilosophin, diese große politische Theoretikerin, wie stellt Margarethe von Trotta sie dar, als einsame Frau, als antitotalitäre Denkerin? Wie zeichnet sie sie?

    Suchsland: Es gibt verschiedene Passagen und verschiedene Momente von Hannah Arendt, die ja auch eine facettenreiche Persönlichkeit war, und Margarethe von Trotta versucht schon, diese Facetten in irgendeiner Form unter einen Hut zu bringen.

    Zunächst einmal zeigt sie sie natürlich als eine schon 1960, wo der Film einsetzt, berühmte Denkerin – insbesondere berühmt durch ihr Buch über Elemente des totalitären Handelns -, und aus diesem Grund interessiert sie sich sowieso für alles, auch ihr privates Schicksal als Jüdin, die aus Deutschland emigrieren musste, die kurz im Lager interniert war, die dann 18 Jahre lang ohne Pass gelebt hat in den USA, aber nur als Flüchtling.

    Die interessiert sich natürlich für Eichmann in dem Moment, wo der in Argentinien gekidnappt wird vom Mossad, dem israelischen Geheimdienst, wo ihm dann in Israel der Prozess gemacht wird. Sie bittet den "New Yorker", sie bewirbt sich bei dieser berühmten intellektuellen Zeitschrift "New Yorker" darum, über den Prozess berichten zu dürfen, und sie ist zu diesem Zeitpunkt schon Professorin, hat Lehraufträge. Sie ist umringt von einem großen Freundeskreis.

    Ich finde, das ist eigentlich das vielleicht Allerbeste an diesem Film, der mir insgesamt gut gefallen hat, dass dieses Milieu der deutsch-jüdischen Emigranten auch in den Facetten, auch in dem Privaten, wie die reden, was die essen, wie so die Beziehungen untereinander sind – es gibt natürlich auch Liebesbeziehungen, es gibt Feindschaften -, das wird alles ziemlich gut gezeigt, sehr intensiv, man hat da eine sehr lebendige Vorstellung von.

    Köhler: Sie war mit Benjamin befreundet auch in den frühen Jahren?

    Suchsland: Ja.

    Köhler: Wie zeigt ein Film, den man, glaube ich, in ihrem Genre, in ihrem Sujet ein Biopic nennt, so etwas? Margarethe von Trotta hat es ja mit den starken Frauen: die bleierne Zeit, oder wir denken an Gesine Cresspahl aus den "Jahrestagen". Ist sie an der starken, unabhängigen, großen Denkerin interessiert, wie zeichnet sie sie?

    Suchsland: Ja. Ich glaube, das ist einer der Punkte, die sie reizen, und dann schon diese Konfrontation einer starken Frau mit etwas anderem, einer starken dunklen Macht, wenn wir das so nennen wollen, dem Bösen, verkörpert in Adolf Eichmann, der ja als Leiter der Abteilung vier im Reichssicherheits-Hauptamt einer der Verantwortlichen für die Shoa war, für die Judenvernichtung, und sie will sich dem stellen, gewissermaßen, wie Siegfried sich dem Drachen stellt.

    Gleichzeitig ist sie auch eine Frau, die dann privat immer wieder in schwachen Momenten gezeigt wird von Margarethe von Trotta. Ich glaube tatsächlich, dass es Gemeinsamkeiten gibt - Rosa Luxemburg könnte man auch nennen, Hildegard von Bingen – zu den anderen Frauenfiguren. Und gleichzeitig ist es dann doch so, dass sie immer wieder auch in ihrer Stärke, in ihrer Unabhängigkeit, auch in ihrem Alleinsein gezeigt wird, weil sie ja dann in eine Situation kam durch die Kontroverse über ihren Text, der sehr umstritten war, auch gerade innerhalb dieses genannten Milieus deutsch-jüdischer Emigranten, dass sie allein gegen alle stand zwischendurch, dass eine regelrechte Kampagne gegen sie ausgeführt wurde.

    Und man sieht dann, dass Hannah Arendt eigentlich sich durchsetzt, dass sie auch bereit ist, Freundschaften zu opfern zum Beispiel, dass sie an das, wovon sie überzeugt ist, nicht nur glaubt, sondern dafür auch wirklich einsteht. Auch das kann man dann einen existenzphilosophischen Ansatz nennen. Damit sympathisiert Margarethe von Trotta ganz eindeutig.

    Köhler: Ein Film über die heldische, die antitotalitäre Denkerin – das hält der Film durch und das trägt er auch, ohne dass es dabei ein Durchhänger gibt. Woran liegt das, an Frau Sukowa, der Darstellerin, alleine?

    Suchsland: Nein, ich glaube, eher gerade nicht. Barbara Sukowa finde ich, ehrlich gesagt, nicht die Idealbesetzung dafür. Sie ist ein ganz anderer Typ. Sie ist viel ätherischer, wenn man so will, weiblicher auch, weniger down to earth, weniger eine starke Frau, sondern sie hat etwas Zerbrechliches. Es kommt dann so zu bestimmten Manierismen.

    Hannah Arendt hat eine ganz verrauchte Stimme, Barbara Sukowa raucht ganz viel, eigentlich permanent, und hat einen schrecklichen deutschen Akzent, wenn sie Englisch spricht. Man sieht sie manchmal Englisch sprechen und das soll, glaube ich, so ein bisschen das Hannah Arendtsche Moment ihr von außen geben, aber auf mich hat das nicht ganz überzeugend gewirkt. Das ist eigentlich der Schwachpunkt des Films.

    Köhler: Abschließend: Warum dieser Film über diese Frau jetzt? Es gibt keine großen Jubiläen. Ist es die Serie der großen Frauengestalten, die interessiert? Man kann auch sagen, Margarethe von Trotta ist selber eine in die Jahre gekommene Sozialdemokratin, macht einen Film über eine säkulare, sozialdemokratisch-sozialisierte Jüdin, eine wichtige deutsche Denkerin. Warum diese Frau, dieses Thema jetzt von Margarethe von Trotta?

    Suchsland: Ich glaube, sie will deutlich machen, dass wir solche Intellektuelle brauchen, dass das im Grunde etwas ist, was unserer Zeit fehlt, und sicherlich gibt es da auch die Identifikation einer intellektuellen Frau für eine andere. Dagegen ist ja nichts zu sagen.

    Ich glaube, dass sicher Margarethe von Trotta auch gewissermaßen an der eigenen Tradition arbeitet, indem sie in ihrem Werk immer wieder auf bestimmte Traditionen zurückkommt, auf den guten Kommunismus in Rosa Luxemburg, auf die Philosophie in Hildegard von Bingen und Hannah Arendt jetzt und auf diese Emigration in so einer Figur Gesine Cresspahl nach Johnson, die in den USA ist.

    Also auch dieses Polyglotte, Globale der Weiblichkeit, das kommt hier, glaube ich, auch ganz gut raus, und da ist auch Hannah Arendt eine Figur, die immer wieder ihre Identitäten gewechselt hat und gewissermaßen im positiven Sinn heimatlos war.

    Köhler: Warum wir wieder ein Interesse an dieser Radikaldemokratin haben - Rüdiger Suchsland über Margarethe von Trottas Film "Hannah Arendt", der kommende Woche in die Kinos kommt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.